Zwanglose Blätter, Nr. 80, vom 20. Dezember 1848

4525:8 oder Slaventhum kräftig erinnert: unter der Zwangherr¬ schaft von ehemals waren sie Oesterreicher gewesen, und können es mithin durch freien Entschluß in dem zukünf¬ tigen Oesterreich wieder werden. Aber der Magyar weif sich nicht darauf zu besinnen, daß er je Oesterreicher ge¬ wesen sei; denn er hat von jeher nur als Magyar ge¬ golten, von jeher nur einen König von Ungarn, aber keinen Kaiser von Oesterreich gekannt. Wie sonderbar steht nun dieser unklaren Romantik der nationalen Bestrebungen die Begriffsverwirrung gegenüber, die in der Politik der Krone herrscht! Der Unklarheit des Gemüthes dort entspricht hier die Unklarheit des Kopfes. Die nie zu sühnende Schuld der dynastischen Politik Oester¬ reichs besteht darin, daß sie anfangs in die politischen Irrthümer ihrer Völker eingieng, und nachdem sie dadurch die Verwirrung des Volksurtheiles auf's Höchste gesteigert hatte, ihre eigene Inkonsequenz an ihren Nationen auf grausame Weise strafte. So fand sie am Ende keine an¬ dere Sprache, als die Kanonen, um sich ihren Völkern verständlich zu machen. In den Märztagen schwenkte der Kaiser selbst die deutsche Fahne vor dem jauchzenden Volke, er ordnete seibst die Wahlen für das Frankfurter Parla¬ ment an, und ließ sogar den Erzherzog Johann als Reichs¬ verweser dahin abgehen. Jetzt forderte Windischgrätz im Namen des Kaisers die Aussteckung der schwarzgelben Fahne in Wien, und verhöhnte durch die Hinrichtung Robert Blums vor aller Welt die deutsche Nationalversammlung. Auch die Magyaren wurden so lange als möglich in dem Wahne erhalten, daß die Dynastie in ihre Politik eingehe; das verwegene Spiel wurde sogar so weit getrieben, daß man den Erzherzog Stephan seinen berühmten Feldzug gegen den „lieben Baron“ Jellachich antreten ließ. Jetzt hat der Letztere im Vereine mit Windischgrätz dazu beige¬ tragen, die Wiener durch die Tapferkeit seiner kroatischen Schaaren zum schuldigen Gehorsame zurückzubringen. So wie damals in Stephans Person der Erzherzog mit dem Palatin in einen sonderbaren Widerspruch gerieth, als er in die Aufforderung des ungarischen Reichstages, sich an die Spitze der magyarischen Truppen zu stellen, einwil¬ ligte — so wird jetzt in der Person des Erzherzogs Jo¬ hann ein ähnlicher Widerspruch eintreten, wenn er als Reichsverweser die Beschlüsse der deutschen Nationalver¬ sammlung in Bezug auf die Hinrichtung Blums Oester¬ reich gegenüber wird erequiren sollen; und es ist nicht leicht abzusehen, welchen Wirren wir entgegen gehen, ehe unser Verhältniß zu Deutschland definitiv entschieden wird. Einige Worte aus Berlin über Preußens neue Verfassungsurkunde. Wir sind heute als konstitutionelle Staatsbürger auf¬ gewacht, da gestern Abend unerwartet plötzlich die Auf¬ lösung der Nationalversammlung erfolgt und die oktroyirte Verfassung*) das Licht der Welt erblickt hat. Die Aktenstücke, um welche es sich handelt liegen vor Ihren Augen, hier haben sie einen gewisser¬ maßen betäubenden Eindruck hervorgerufen. Man hat das nicht erwartet, was freiwillig gegeben wurde, und über¬ sieht im ersten Augenblicke, daß eigentlich noch nichts fest steht, daß diese Verfassung nichts ist als ein Verfassungs¬ entwurf, der nun mit zwei Kammern wieder vereinbart werden soll, was seine großen Schwierigkeiten haben dürfte, und daß — um sprichwörtlich zu reden — nicht Alles Gold ist, was glänzt! Aber man hält den Sperling in der Hand immer für besser, als die Taube auf dem Dache, und wird in der nächsten Zeit sich auch nicht eher davon überzeugen, daß Vieles zu wünschen übrig bleibt, bis man praktisch die Mängel kennen lernt. Die Verfassung, wie sie vorliegt, ist ein wunderliches Gemisch von demokra¬ tischen, aristokratischen und bureaukratischen Gedanken, die fast nirgends zum vollen Durchbruche kommen, und fast alle ihre Widerhaken haben. Man hat den ersten Regie¬ rungsentwurf, den Camphausen einbrachte, zusammen¬ gemischt mit den Entwürfen der Kommission und der Cen¬ tralabtheilung, und dann allerlei Abänderungen hinzuge¬ *) Diese Bezeichnung ist unrichtig. Es ist nichts als ein Verfassungsentwurf, für König und Voll nicht früher von verbindender Kraft, als bis Ersterer densel¬ Die Red. ben beschworen hat than. Die Worte „von Gottes Gnaden“ sind der Eingangsformel wieder hinzugefügt worden, so ist auch der §. 1 wieder hergestellt, wie er war, nach welchem alle Landestheile in ihrem gegenwärtigen Umfange das Staatsgebiet bilden, und den Polen keine besonderen Ver¬ fassungsrechte zustehen. Der Adel ist gar nicht erwähnt, §. 4 sagt nur, daß keine Standesvorrechte stattfin¬ den (die Worte: keine Standesunterschiede sind gestrichen.) Der Adel wird daher weiter grünen und blühen, wie bisher, und nichtsnutzige Adelige auch fernerhin zu Bürgerlichen degradirt werden. — Die Presse ist frei, und dieser §. 24 ist der klarste und beste in der ganzen Verfassung. Er ist wörtlich aus dem Entwurfe der Cen¬ tralabtheilung übergegangen, wie überhaupt Alles, was anerkennungswerth für das Volk ist und dessen Rechte und Freiheit begründet, aus den Arbeiten der National¬ versammlung herrührt. Die Volksversammlungen sind durch Polizeiverbote und Anmeldungen 24 Stunden vorher, sehr wesentlich beschränkt, dagegen hat man die Vereine unangetastet gelassen. Das wichtige Kapitel über Kirche und Schule, die Freiheit des Unterrichtes und die unentgeltliche Ertheilung desselben in den Volksschulen ist ebenfalls aus den Arbeiten der Nationalversammlung an¬ genommen worden. Dem Könige ist das unbedingte Veto zugesprochen, was der liberalen Parthei großen Schmerz erregen wird. Die Abgeordneten der ersten Kam¬ mer sollen weder Diäten noch Reisegeld erhalten. Dieß bildet einen starken Census; es können nur wohlhabende

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