Zwanglose Blätter, Nr. 73, vom 25. November 1848

366 als eine solche gemeine Verdächtigung muß man es an¬ sehen, wenn das Bestreben, den mehr als tausendjährigen Verband der deutsch=österreichischen Provinzen zu erhalten und nach den von Seite unseres erhabenen Monarchen erst vor etlichen Monaten durch Wort und That ertheiltem Zugeständnisse fortzubilden, ein „Zerreißen,“ eine „Theilung“ Oesterreichs nennt. Wenn man das, was an sich so ver¬ schiedenartig ist, wie die österreichischen Nationalitäten, unter sich absondert, so zerreißt man nicht, man ordnet vielmehr, löset die Fesseln des unnatürlichen Ganges, und veranlaßt dadurch freie Entwickelung, Fortbildung, Wachs¬ thum und Kräftigung der einzelnen Theile und unmittelbar auch des Ganzen. Mit weit mehr Recht können wir aber Denjenigen, welche eine Separatstellung der deutsch=österreichischen Pro¬ vinzen dem übrigen Deutschland gegenüber durchsetzen wol¬ len, den Vorwurf zurückschleudern, daß sie die tausend¬ jährige Verbindung des gesammten Deutschlands, an das uns Stammesverwandtschaft, Sprache, Gleichheit der Sitten und der Schicksale seit der grauen Vorzeit fesselt, gewaltsam „zerreißen,“ und den schönsten Theil desselben dem immer mehr um sich greifenden Slavismus preisgeben wollen. Fühlen diese Herren nicht, daß sie dabei unserem Monar¬ chen einen Wortbruch zumuthen, und daß sie das Schwin¬ gen der deutschen Fahne von seiner Seite für ein eitles Possenspiel erklären. Wir können auch den Vorwurf der Wühlerei, des Umsturzes und der Revolution, den die Deutschgesinnten häufig hören müssen, Denjenigen zurückschleudern, welche darauf hinarbeiten, ein so natür¬ liches, durch Recht und Geschichte tausendfach ge¬ schlungenes Band zu lösen. Und zu welchem Zwecke sollte dieses Band zerrissen werden? Um die verschiedenen sich einander abstoßenden Nationalitäten in die Zwangsjacke eines centralisirten österreichischen Gesammtstaates zu stecken, der noch nie da war, und dessen längerer Bestand eine Unmöglichkeit wäre. Freilich ist dafür Manches vorgear¬ beitet, freilich ist das Föderativverhältniß, in welchem ur¬ sprünglich die verschiedenen Provinzen zu einander standen, immer enger gezogen und der Form eines Gesammtstaates immer näher gebracht worden. Aber um welchen Preis ist dieses erreicht worden? Eine die Staatseinkünfte erschöpfende Menge von Truppen und Beamten mußte erhalten, der geistige Druck bis auf das Unglaublichste ausgedehnt, eine Nation durch die andere niedergehalten, der Staat fast an den Rand des Bankerottes gebracht werden. Waren diese Opfer jedenfalls viel zu groß im Vergleiche mit dem Erfolge, so müßte das Mißverhältniß noch größer für die Zukunft sein, weil die aufgestachelten Nationalitäten nach Selb¬ ständigkeit ringen, und ihre Bestrebungen nur mit noch größeren Opfern und Anstrengungen vereitelt werden könn¬ ten. Da zu solchen Oesterreich selbst jedenfalls auf die Dauer zu wenig Hülfsmittel in sich haben würde, so wäre es auf die Hülfe Rußlands, und zwar natürlich um den Preis der eigenen Selbständigkeit, angewiesen. Ob es in diesem Verhältnisse dann wirklich der „Träger der Civili¬ sation und Freiheit nach dem Osten“ sein würde, und nicht vielmehr den diabolus rotae der Freiheit in Deutschland und den Vortrab des Despotismus und der Barbarei nach Westen abgeben müßte, darüber glaube ich kein Urtheil abgeben zu dürfen. Ein Rückblick auf die letzten 30 Jahre benimmt uns hierüber jeden Zweifel. In diesem Betrachte kann man selbst Mangel an Patriotismus für das Ge¬ sammtösterreich Jenen vorwerfen, welche den Anschluß der deutsch=österreichischen Provinzen an Deutschland hinter¬ treiben würden. Denn was würde die Folge sein, wenn dieser Anschluß vereitelt würde? Zuerst müßten einmal alle unsere Deputirten das Frankfurter Parlament ver¬ lassen; soviel ist gewiß. Dann aber sind zwei Fälle denk¬ bar: entweder Deutschlands Versuch sich fester zu ver¬ einigen wird aufgegeben, und in diesem Falle werden die zersplitterten Staatlein des deutschen Westens beim ersten Anfalle eine Beute der französischen Republik werden, wie es vor einem halben Jahrhunderte geschah, und dieß um so mehr, da die Bewohner jener Gegenden zum Republi¬ kanismus sehr hinneigen. Oder: die deutsche Einheit wird vollendet; in diesem Falle werden nach Austritt der 190 österreichischen Deputirten die preußischen, 216 an Zahl, über die übrigen ein solches Uebergewicht bekommen, daß Preußen Alles durchsetzt, was es will, daß es sich der Centralgewalt bemächtigt, daß es die übrigen Provinzen in sich aufnimmt, und dann in der Lage ist, selbst die Herausgabe der Oesterreich einverleibten deutschen Pro¬ vinzen zu erzwingen. Also nochmals: Wer es mit der Gesammtmon¬ archie Oesterreich gut meint, der muß für den Vollzug des Frankfurter Parlamentsbeschlusses über §. 2 und 3 Art. II. der Reichsverfassung sein. Dadurch allein erhält Oesterreich an einem einheitlichen mächtigen Deutschland jene undurchdringliche Vormauer gegen Frankreich, deren Mangel uns in den früheren Kriegen so vielen Unfällen aussetzte;*) dadurch allein erhält auch Oesterreich einen so sichern Rücken, daß es als Träger der Civilisation und der Freiheit gegen die Donau hin auftreten kann, welche Mission dienösterreichischen Centralisten dieser Monarchie zuschreiben, ohne zu bedenken, daß, wer selbst keine Frei¬ heit pfleget, sie auch nicht verbreiten kann, daß aber kon¬ stitutionelle Freiheit in Oesterreich undenkbar ist, wenn so verschiedenartige Völker sollen in Einem Staate zusam¬ mengezwängt werden Salzb. Zeitung. *) Welche Verlegenheit wäre erst vor Kurzem für Oesterreich entstanden, wenn Triest nicht durch die Flagge der Deutschen hätte geschützt werden können? Und doch war dieser Krieg eine Spielerei gegen einen Franzosenkrieg. Mit einem Ergänzungsblatte Nr. 14 und einer poli¬ tischen Wochenschau Nr. 8. Verantwortlicher Redakteur Alex. Jul. Schindler; Mitredakteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Haas in Steyr.

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