Zwanglose Blätter, Nr. 73, vom 25. November 1848

Zwanglose Blätter aus Oberösterreich. Nro. Steyr am 25. November 1848. 73. Es kann ja nicht immer so bleiben Hier unter dem wechselnden Mond, Es blüht eine Zeit und verwelket, Was mit uns die Erde bewohnt! Altes Lied. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Der Sieg der Soldaten über Wien, die Mutter deutscher Freiheit, fängt an auch uns in den Provinzen seine süßen Früchte zu tragen. Die Armee, die sich nun den Rücken gesichert hat, beginnt gegen Ungarn zu ope¬ riren, Ungarn schließt seine Ausfuhr, der Preis des Ge¬ treides fängt bei uns an unverhältnißmäßig zu steigen, die drückendste Theurung bedroht uns. Aber Ungarn, eine Hauptabsatzquelle unserer Industrie, schließt auch seine Ein¬ fuhr, und so veröden unsere Werkstätten, Hunger und Kummer drohen schrecklich in den nahenden Wintertagen — wo ist ein Vater des Volkes? Eine friedliche Ausglei¬ chung mit Wien, wozu dieses so sehr geneigt war, hätte Volk und Fürst auf's Neue in Liebe vereinigt — aber sie wurde von Seite des Hofes nie versucht, wenn auch Ra¬ detzky in einer seiner zahllosen und aufreizenden Proklama¬ tionen behauptet, Wien habe die angebotene Ver¬ söhnung zurückgewiesen! Wer hat den Wienern eine Versöhnung angeboten? Wer? Ich frage noch einmal, noch zehnmal, noch tausendmal, und immer wird man mir die Antwort schuldig bleiben müssen. Eine Par¬ thei verleumdet Wien, belügt die Provinzen, gibt statt der Erfüllung heiliger Versprechungen kalten Hohn, wie die beabsichtigte Reorganisirung der Nationalgarde es beweist — und das soll uns Glück bringen, dieser Parthei sollen wir danken, ihrer Fahne sollen wir folgen? Aufrichtigkeit von Seite der Regierung und friedliche Beilegung der Wiener Wirren hätten einen seit lange nicht genossenen Aufschwung in Handelschaft und Gewerbe ge¬ bracht. Die Vorboten so glücklicher Zeiten fühlte schon freudiger Hoffnung voll der Geschäftsmann, und statt der Erfüllung dieser schönen Hoffnungen gab uns hochgeborene Menschenverachtung Leichen, gähnende Gräber, Füssiladen, Hunger, Kummer und eine trostlose Zukunft. Ja sie haben uns zu Grunde gerichtet, sie sollen die Genugthuung ha¬ ben, daß wir es selbst gestehen müssen. Ja sie haben uns in den Staub getreten, der Kranz von Märzveilchen, den die begeisterte Jugend sich um die Schläfe gewunden hatte, liegt in den Kanonengeleisen der Heerstraße, zerrissen, mit Blut und Gehirn besudelt - Und Roß und Reiter setzten Achtlos über ihn. Sie haben uns recht wehe gethan, sie wollten das — aber wir müssen es ihnen doch gestehen. Vor der Last des Schmerzes beugt sich der Stolz, der ihn so gerne ver¬ schwiege. Sie haben das Wort wieder in Fesseln gelegt und die Gesinnung wieder unter die Aufsicht ihrer Finanz¬ wächter gestellt, wie kontrolpflichtige Waaren. Sie haben die geliebte deutsche Fahne vom Stephansthurme gerissen und dem Wundergreise eine schwarzgelbe Standarte zu tragen gegeben. Jetzt hat er Feldwebelsrang, und muß vor jedem Lieutenant kuschen — der alte Recke, der zwei¬ mal den zahllosen Schaaren der Muselmänner, den Fein¬ den der Christenheit, widerstand. Den Feinden der Schwester des Christenthums, das heute erst seinen Titus und Dio¬ kletian fand, ist er gefallen. Man weiß, der Stephans¬ thurm beugte vor ein paar Jahren altersschwach sein Haupt, und der Hofbaurath Sprenger meinte ihn ganz vortrefflich kurirt zu haben, da der Alte in den Märztagen sein Haupt so hoch und gerade hielt. Ich selbst freute mich oft im letzten Frühlinge über die stolze Haltung des uralten Trä¬ gers der deutschen Fahne. Die schwarzgelbe Standarte trägt er aber schwer und verdrossen; mir ist's, als beuge auch er sein Haupt, das bessere Tage gesehen — und ich fürchte, der Hofbaurath Sprenger wird bald wieder zu thun bekommen. Die Zeit ist schwer. Ein junges Roß und ein alter Reiter — wen wundert's noch, wenn beide Schaden neh¬ men. Ich predige keinen Haß gegen die Sieger von Heute. Sie haben eine Schlacht gewonnen — was ist es weiter? Kriegesspiel ist ein Glücksspiel, heute mir, morgen dir; heute roth, morgen todt. Es ist überhaupt eine mißliche Sache um alle Siege der Menschen. Hinter den Kanonen jedes Feldherrn, ganz am Ende der Regimenter, reitet stets Freund Klapperbein auf seiner dürren Mähre — der hat noch jeden Sieger besiegt. Warum soll ich nun jenen Uebermüthigen hassen? Auch an seinem Herzen nagt der

304 Wurm „Sterblichkeit,“ dem seine Kugeln bei Andern bald auf der lauten Wahlstatt, bald auf dem stillen Richtplatze ein Stück Arbeit erspart haben. Und wie furchtbar schmer¬ zen vielleicht die Bisse seines Wurmes, während Herzblut und Leben den Ueberwundenen kühlend aus Todeswunden floß, in deren noch warmen Spalt schon die Weltgeschichte segnend und heiligend ihre Finger legte! Ich predige keinen Haß, aber ich klage. Ich beklage die Blindheit der Gewaltigen, welche die Hand der bleichen Furcht reichen, während ihnen von allen Seiten die Liebe winkt, mit Rosen auf den Wangen. Ich beklage die Wuth der Starken und die Feigheit der Gerechten, und wie deutscher Muth und die uraltstolze Vaterlandsliebe erstickt und begraben liegen unter Waarenballen und staubigen Aktenbündeln. Ich beklage die Träume dieses Frühlings und die Opfer des nächsten, die Verwüstung prächtiger Städte, das Wanken alter Throne und den Mangel eines Mannes in Deutschland! Aler. Jul. Schindler. Ein Blick in die Zukunft der deutsch=österreichischen Provinzen in Folge der §§. 2 und 3 Art. II. der deutschen Reichsverfassung. (Schluß.) Diesen Einwendungen gegenüber ist es vor Allem nothwendig, daß wir uns über den Begriff von „Patrio¬ tismus“ überhaupt und eines österreichischen Patriotismus insbesonders klar werden. Der Patriotismus besteht in der warmen Vorliebe eines Bürgers zu den Einrichtungen, Gesetzen, historischen Erinnerungen und zur Sprache seines Landes. So ist der Amerikaner begeistert für seine freie Union, der Franzose für sein „schönes Frankreich,“ der Engländer für „Alt=England“ und der Italiener für sein Italien, das zwar politisch vielfach getheilt, jedoch gleiche Sprache, gleiche Sitten, gleiche Geschichte und klimatische Lage ein Ganzes darbietet. Nicht so ist es jedoch mit der Gesammtmonarchie Oesterreich. Da dieselbe aus vier durch Sprache, Geschichte, Sitten und Einrichtungen von Grund aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt ist, so leuchtet ein, daß es in Oesterreich wohl Patriotismen, jedoch keinen „gesammtösterreichischen“ Patriotismus geben kann, eben weil das Gesammtösterreich kein gleichgeartetes Land, sondern ein Kompler von verschiedenartigen Ländern ist. So spricht den Magyaren gewiß Niemand Patriotis¬ mus ab, und doch stehen sie jetzt als Feinde dem Gesammt¬ österreich gegenüber, so hat der Italiener im Verlaufe des letzten halben Jahres gezeigt, wie wenig „österreichischen“ Patriotismus er besitze, und wir Deutsche, wie steht es mit uns? Wenn wir auch allerdings eine Vaterlandsliebe fühlen, dehnt sich diese auf Ungarn aus, deren Bewohner uns verachten, oder auf Italien, wo Kind und Greis in den Ruf einstimmen: Morte ai Tedesci — oder auf die Slaven, deren Uebergriffe wir fürchten? — So weit wären nur noch die Slaven übrig, als Träger des „gesammt¬ österreichischen“ Patriotismus. Und wirklich hat ihr Patrio¬ tismus, der erst im Juni unter dem slavischen Banner gegen die schwarzgelbe Fahne eine blutige Revolution unter¬ nahm, plötzlich selbst die schwarzgelbe Fahne aufgesteckt, und trägt eine warme Begeisterung für die Einheit der österreichischen Monarchie, für ein ungetheiltes Gesammt¬ österreich zur Schau. Der Umstand jedoch, daß bei dieser Einheit des österreichischen Gesammtstaates augenfällig aller Vortheil rein auf Seite der Slaven, alle Gefahr aber auf Seite der übrigen Nationalitäten besteht, erlaubt einen billigen Zweifel daran, ob das Feuer des von den Slaven zur Schau getragenen Patriotismus wohl aus einer so reinen Flamme bestehe, wie sie uns gerne glauben machen möchten. Ich einmal gestehe, daß ich an einem solchen Patriotismus viele Aehnlichkeit zu entdecken glaube, mit dem Interesse, das etwa Meister Reinecke Fuchs für einen wohlbesetzten Hühnerstall fühlt, oder wenigstens mit der Sorgfalt, mit der ein Gutsherr über die Vollständigkeit seiner Herde wacht, die ihm Milch, Wolle und am Ende auch ihr Fleisch liefern muß. Die Slaven müßten in der That viel einfältiger sein als wir sie kennen, wenn sie nicht einsehen sollten, daß gegen ihre Ueberzahl, die noch durch die hohe Stellung und Energie vieler ihrer Mit¬ glieder an Bedeutung gewinnt, die andern Nationalitäten in Oesterreich nicht aufkommen können, sondern früher oder später den Slaven zur Beute werden müssen. Nur der Furcht, es möchte ihnen diese lockende Beute entrissen wer¬ den, läßt sich die hartnäckige Weigerung der Czechen zu¬ schreiben, das Frankfurter Parlament zu beschicken; nur daraus läßt sich der Ingrimm erklären, mit dem sie, welche doch die März= und Mairevolutionen in Wien mit Jubel begrüßten und im Juni sogar nachahmten, den letzten Aufstand in Wien (am 6. Oktober) behandelten, weil er die Vormundschaft, in der bis dahin von ihnen die deutsche Parthei gehalten wurde, vernichtete, und der deutschen Sache Vorschub zu leisten schien. Daß Wien fast nur durch slavische Truppen bezwungen wurde, ist nicht zu übersehen, und es wäre auch der Mühe werth, daß der deutsche Michel etwas aufmerksamer wäre, als bisher auf die Herzensergießungen so mancher slavischen Organe, welche die Hoffnungen der Slaven, die sie sich auf un¬ sere Kosten machen, (hoffentlich etwas voreilig) an den Tag legen. Ich führe hierüber nur eine Stelle aus dem zu Paris herauskommenden Blatte: „La Pologne, Organ der gemeinschaftlichen Interessen der Slaven von Polen, Böhmen, Ungarn und des Ostens“ an. Dieses Blatt enthält am 1. November, am nämlichen Tage, an welchem Jellachich in Wien einzog, — wörtlich Folgendes: „Die Slaven kommen! Im Norden, im Süden, im „Osten sieht man ihre Fahnen flattern!“ so rief vor einigen „Tagen die deutsche Schildwache auf der Spitze des Ste¬ „phansthurmes, und dieser fürchterliche Ruf rollte mit

305 „Donnerstimme von Echo zu Echo durch ganz Deutschland „fort bis in die Mitte des bang erbebenden deutschen Par¬ „lamentes in Frankfurt. Dieser Ruf: Die Slaven kom¬ „men! sagt in der That Alles, er schildert die ganze Lage, „und man kann mit dem Dichter sagen: Zu Ende geht „ein groß' Geschick, ein neues bricht nun an. Wir hoffen (!) „der illyrische Generalissimus (Jellachich) wird unserer Er¬ „wartung entsprechen, und seine Macht zur festen Be¬ „gründung der Unabhängigkeit der slavischen Nationalitäten „anwenden. Siegen des Kaisers böhmische, mährische und „polnische Truppen im Verein mit Jellachichs Kroaten, „stellen sie die „Ordnung“ in Wien wieder her, so ist durch „diese einzige Thatsache das deutsche und das ma¬ „gyarische Element unter slavische Obervor¬ „mundschaft gebracht, und man wird ein neues „Oesterreich entstehen sehen, an dem nichts mehr „österreichisch sein wird als der Name.“ Ein anderer Artikel desselben Blattes nennt Jellachich den „Washington der Slaven!“ Allg. Ztg. Nr. 316, welche noch beisetzt: „Dasselbe Deutschland, das sich für die Polen begeisterte, das der slavischen Insurrektion in Prag seine wärmsten Sympathieen schenkte, sieht jetzt Jellachich mit seinen Kroaten in die deutsche Kaiserstadt einziehen, den Erwählten des Panslavismus.“ Der vielsagende Brief Jellachichs an die Slovanská lipa wird von den Lesern der Allg. Zeit. (Nr. 310) eben¬ falls beachtet worden sein. Ob ein so auf Eigennutz gegründeter Patriotismus diesen Namen überhaupt verdiene, oder ob die sich wi¬ derstreitenden provinziellen Patriotismen einen „ge¬ sammtösterreichischen“ Patriotismus abgeben können, dar¬ über lasse ich meine Leser entscheiden. Das Dasein eines solchen kann höchstens in diesem Sinne anerkannt werden, als man mit diesen Namen auch die unverbrüchliche Treue und innige Anhänglichkeit der verschiedenen österreichischen Volksstämme an ihr gemein¬ schaftliches Regentenhaus bezeichnen will, unter dessen Szepter sie Jahrhunderte hindurch lebten, und in der Zu¬ kunft noch eben so lange zu stehen hoffen. Aber diese An¬ hänglichkeit wird durch einen innigeren Anschluß an Deutsch¬ land nicht nur nicht gefährdet, sondern vielmehr noch befördert. Denn steht nicht ein österreichischer Prinz, der allverehrte Bruder unseres seligen Kaisers Franz I., Onkel unseres gegenwärtigen Kaisers, an Deutschlands Spitze? Bekommt nicht eben dadurch unsere Anhänglichkeit an unser angestammtes Kaiserhaus eine weitere Ausdehnung, neue Nahrung? Seit dem 27. Juni d###nd unsere Be¬ ziehungen zum übrigen Deutschland keine nichtssterreichischen mehr, sie sind österreichische geworden, wie zu jener Zeit, wo die österreichischen Regenten die deutsche Kaiser¬ krone trugen. Weit entfernt daher, die Hinneigung der deutsch österreichischen Provinzen zur deutschen Central= gewalt dem Mangel eines österreichischen Patriotismus zuschreiben zu können, müssen wir vielmehr darin, insoferne ein Prinz des österreichischen Kaiserstaates an Deutschlands Spitze steht, ein größeres Maß desselben erblicken. Wir protestiren ferner gegen die allarmirende Weise, mit welcher häufig die Zurückführung des Verbandes der deutsch=österreichischen Provinzen mit den nichtdeutschen auf das Verhältniß der Personalunion in den grellsten Ausdrücken eine „Theilung,“ ein „Zerreißen des öster¬ reichischen Gesammtstaates“ genannt wird. Das gegen¬ wärtige Kaiserthum Oesterreich war zwar schon seit lange eine Gesammtmonarchie, aber nie ein eigentlicher Ge¬ sammtstaat, sondern von jeher nur ein Kompler von mehreren unter sich abgetheilten Staaten. Ungarn besitzt bis auf den heutigen Tag noch eine von den übrigen Provinzen verschiedene Verfassung in dem Grade, daß es sogar durch eine eigene Zollgrenze von den übrigen Pro¬ vinzen geschieden ist, und daß es unseren gemeinschaftlichen Monarchen nie „Kaiser,“ sondern nur „König“ nennt.*) Den Italienern ist bereits eine abgesonderte Verfassung in Aussicht gestellt. Die übrigen Provizen besaßen eine solche theils bis in das 17. Jahrhundert, theils noch länger. Daher nannten sich auch die Regenten Oesterreichs bis zum Jahre 1804 nie Kaiser oder Könige von Oesterreich, sondern jederzeit nur Könige von Ungarn, Böhmen u. s. w. Noch vom 30. Oktober d. J. enthält die kaiserliche Antwort an die tiroler Deputation den Ausdruck: „meine Staaten.“ Insbesonders war das Verhältniß, in welchem die deutsch¬ österreichischen Provinzen zum übrigen Deutschland standen, ein ganz eigenthümliches, in das die übrigen Pro¬ vinzen nichts darein zu reden hatten. Unsere Provinzen waren früher Reichskreise und seit dem Jahre 1815 Provinzen des deutschen Bundes. An die Stelle des ehemaligen Reichsverbandes und des deutschen Staaten¬ bundes trat im heurigen Frühjahre das deutsche Bundes¬ staats=Verhältniß, zu dessen Errichtung unsere Regierung durch Anordnung der Frankfurter Wahlen auf Grund der Beschlüsse des Vorparlamentes einwilligte, ja sogar mit¬ wirkte, und wodurch im Wesentlichen nur das gewährt wurde, worauf das ganze deutsche Volk sich durch sein Blut das Recht erkauft hatte, und was die deutschen Fürsten zu gewähren durch ihre ausdrücklichen im Be¬ freiungskriege gemachten Zusagen schon lange verpflichtet waren. So wenig bisher die nichtdeutschen Provinzen gegen dieses abgesonderte Verfahren bezüglich der deutschen eine Einsprache erheben konnten, so wenig ist eine solche jetzt statthaft;**) da das was §. 2 und 3 der deutschen Reichsverfassung festsetzt, nichts Anderes ist, als die noth¬ wendige Folge der durch den Vollzug der deutschen Par¬ lamentswahlen gemachten Umgestaltung Deutschlands aus einem lockeren Staatenbunde in einen Bundesstaat, welche Umgestaltung im Grunde nur eine Rückkehr zum deutschen Reichsverbande ist, insoferne auch sie eine tausendjährige historische Berechtigung für sich hat. Schwachköpfe und gemeine Seelen pflegen, wenn sie mit Gründen nicht mehr ausreichen, zu Schimpfereien, womit sie meist einen hinreichenden Vorrath besitzen, ihre Zuflucht zu nehmen, oder Diejenigen zu verdächtigen, welche zu widerlegen sie sich außer Stande fühlen. Nur *) Letztes thun auch die Böhmen. **) Wenn sie sich mit der bloßen Personalunion nicht begnügen, so steht es ihnen ja frei, sich auch in den deutschen Bundesstaat aufnehmen zu lassen, wie es erst kürzlich mir einem Theile Posens geschah

366 als eine solche gemeine Verdächtigung muß man es an¬ sehen, wenn das Bestreben, den mehr als tausendjährigen Verband der deutsch=österreichischen Provinzen zu erhalten und nach den von Seite unseres erhabenen Monarchen erst vor etlichen Monaten durch Wort und That ertheiltem Zugeständnisse fortzubilden, ein „Zerreißen,“ eine „Theilung“ Oesterreichs nennt. Wenn man das, was an sich so ver¬ schiedenartig ist, wie die österreichischen Nationalitäten, unter sich absondert, so zerreißt man nicht, man ordnet vielmehr, löset die Fesseln des unnatürlichen Ganges, und veranlaßt dadurch freie Entwickelung, Fortbildung, Wachs¬ thum und Kräftigung der einzelnen Theile und unmittelbar auch des Ganzen. Mit weit mehr Recht können wir aber Denjenigen, welche eine Separatstellung der deutsch=österreichischen Pro¬ vinzen dem übrigen Deutschland gegenüber durchsetzen wol¬ len, den Vorwurf zurückschleudern, daß sie die tausend¬ jährige Verbindung des gesammten Deutschlands, an das uns Stammesverwandtschaft, Sprache, Gleichheit der Sitten und der Schicksale seit der grauen Vorzeit fesselt, gewaltsam „zerreißen,“ und den schönsten Theil desselben dem immer mehr um sich greifenden Slavismus preisgeben wollen. Fühlen diese Herren nicht, daß sie dabei unserem Monar¬ chen einen Wortbruch zumuthen, und daß sie das Schwin¬ gen der deutschen Fahne von seiner Seite für ein eitles Possenspiel erklären. Wir können auch den Vorwurf der Wühlerei, des Umsturzes und der Revolution, den die Deutschgesinnten häufig hören müssen, Denjenigen zurückschleudern, welche darauf hinarbeiten, ein so natür¬ liches, durch Recht und Geschichte tausendfach ge¬ schlungenes Band zu lösen. Und zu welchem Zwecke sollte dieses Band zerrissen werden? Um die verschiedenen sich einander abstoßenden Nationalitäten in die Zwangsjacke eines centralisirten österreichischen Gesammtstaates zu stecken, der noch nie da war, und dessen längerer Bestand eine Unmöglichkeit wäre. Freilich ist dafür Manches vorgear¬ beitet, freilich ist das Föderativverhältniß, in welchem ur¬ sprünglich die verschiedenen Provinzen zu einander standen, immer enger gezogen und der Form eines Gesammtstaates immer näher gebracht worden. Aber um welchen Preis ist dieses erreicht worden? Eine die Staatseinkünfte erschöpfende Menge von Truppen und Beamten mußte erhalten, der geistige Druck bis auf das Unglaublichste ausgedehnt, eine Nation durch die andere niedergehalten, der Staat fast an den Rand des Bankerottes gebracht werden. Waren diese Opfer jedenfalls viel zu groß im Vergleiche mit dem Erfolge, so müßte das Mißverhältniß noch größer für die Zukunft sein, weil die aufgestachelten Nationalitäten nach Selb¬ ständigkeit ringen, und ihre Bestrebungen nur mit noch größeren Opfern und Anstrengungen vereitelt werden könn¬ ten. Da zu solchen Oesterreich selbst jedenfalls auf die Dauer zu wenig Hülfsmittel in sich haben würde, so wäre es auf die Hülfe Rußlands, und zwar natürlich um den Preis der eigenen Selbständigkeit, angewiesen. Ob es in diesem Verhältnisse dann wirklich der „Träger der Civili¬ sation und Freiheit nach dem Osten“ sein würde, und nicht vielmehr den diabolus rotae der Freiheit in Deutschland und den Vortrab des Despotismus und der Barbarei nach Westen abgeben müßte, darüber glaube ich kein Urtheil abgeben zu dürfen. Ein Rückblick auf die letzten 30 Jahre benimmt uns hierüber jeden Zweifel. In diesem Betrachte kann man selbst Mangel an Patriotismus für das Ge¬ sammtösterreich Jenen vorwerfen, welche den Anschluß der deutsch=österreichischen Provinzen an Deutschland hinter¬ treiben würden. Denn was würde die Folge sein, wenn dieser Anschluß vereitelt würde? Zuerst müßten einmal alle unsere Deputirten das Frankfurter Parlament ver¬ lassen; soviel ist gewiß. Dann aber sind zwei Fälle denk¬ bar: entweder Deutschlands Versuch sich fester zu ver¬ einigen wird aufgegeben, und in diesem Falle werden die zersplitterten Staatlein des deutschen Westens beim ersten Anfalle eine Beute der französischen Republik werden, wie es vor einem halben Jahrhunderte geschah, und dieß um so mehr, da die Bewohner jener Gegenden zum Republi¬ kanismus sehr hinneigen. Oder: die deutsche Einheit wird vollendet; in diesem Falle werden nach Austritt der 190 österreichischen Deputirten die preußischen, 216 an Zahl, über die übrigen ein solches Uebergewicht bekommen, daß Preußen Alles durchsetzt, was es will, daß es sich der Centralgewalt bemächtigt, daß es die übrigen Provinzen in sich aufnimmt, und dann in der Lage ist, selbst die Herausgabe der Oesterreich einverleibten deutschen Pro¬ vinzen zu erzwingen. Also nochmals: Wer es mit der Gesammtmon¬ archie Oesterreich gut meint, der muß für den Vollzug des Frankfurter Parlamentsbeschlusses über §. 2 und 3 Art. II. der Reichsverfassung sein. Dadurch allein erhält Oesterreich an einem einheitlichen mächtigen Deutschland jene undurchdringliche Vormauer gegen Frankreich, deren Mangel uns in den früheren Kriegen so vielen Unfällen aussetzte;*) dadurch allein erhält auch Oesterreich einen so sichern Rücken, daß es als Träger der Civilisation und der Freiheit gegen die Donau hin auftreten kann, welche Mission dienösterreichischen Centralisten dieser Monarchie zuschreiben, ohne zu bedenken, daß, wer selbst keine Frei¬ heit pfleget, sie auch nicht verbreiten kann, daß aber kon¬ stitutionelle Freiheit in Oesterreich undenkbar ist, wenn so verschiedenartige Völker sollen in Einem Staate zusam¬ mengezwängt werden Salzb. Zeitung. *) Welche Verlegenheit wäre erst vor Kurzem für Oesterreich entstanden, wenn Triest nicht durch die Flagge der Deutschen hätte geschützt werden können? Und doch war dieser Krieg eine Spielerei gegen einen Franzosenkrieg. Mit einem Ergänzungsblatte Nr. 14 und einer poli¬ tischen Wochenschau Nr. 8. Verantwortlicher Redakteur Alex. Jul. Schindler; Mitredakteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Haas in Steyr.

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