Zwanglose Blätter, Nr. 48, vom 30. August 1848

ihre Arbeitsplätze zuruckzukehren, was sie denn auch durch die Franzensallee thun wollten; da erschien Munizipalgarde, und als die Arbeiter nicht sogleich auseinander gehen wollten, sollen sie mit blankem Säbel eingehauen haben. Daß kaum ein Wi= derstand gewesen, beweisen die beigebrachten Wunden derjenigen Arbeiter und Arbeiterinnen, die im Spitale der barmherzigen Bruder in der Leopoldstadt liegen, sie finden sich alle am Rü= cken, an der Schulter, an der Seite, also Fliehenden beigebracht. Um ½ 3 Uhr wurde Allarm geschlagen, die Leopoldstädter Garde rückte in einzelnen Abtheilungen in den Prater. Gegenüber dem Bahnhofe sollen zwei Schüsse aus den Gärten auf die aufgestellte Garde gefallen sein. Die Zimmerleute brachen die einfriedenden Planken durch und suchten nach den Schießenden. Die Arbeiter der Eisenbahn sollen durch Zischen und Pfeifen das Thun der Garde verhöhnt haben, worauf diese feuerte. Gegen 6 Uhr rückten die Garden aus den übrigen Vorstädten ebenfalls heran, die akademische Legion sammelte sich auf der Universität, be= setzte die Thore und zog in einzelnen Abtheilungen ebenfalls ge= gen den Prater, die Taborlinie und den Augarten. An der höl= zernen Brücke sammelten sich die rasch avisirten Arbeiter vom Brünnelbade in der Alservorstadt. In der Tandelmarkt=, in der Sterngasse soll die Garde, ohne früher durch Trommelschlag zum Auseinandergehen gemahnt zu haben, Feuer gegeben haben. Gegen sechs Uhr stellte sich k. k. Kavallerie beim Prater in der Querstrasse, die diesen mit der Taborstrasse verbindet auf, eben so an der erwähnten hölzernen Brucke, verhielt sich jedoch voll= kommen ruhig. Während dieser Zeit hörte man, mehrere De= chargen. Verwundete wurden auf dreizehn Wägen durch die Jägerzeile gefahren, die blutend und schweigend sich in das Klo= ster der Barmherzigen bringen ließen. Man sprach um sieben Uhr von 5 Todten und 60 Verwundeten, darunter von Mehre= ren, die dem Tode nahe sind. Schon nach Mittag waren alle Läden geschlossen, unubersehbare Menschenmassen, Männer und wie jedesmal eben so viele Frauen wogten in die Leopoldstadt und zogen gegen 8 Uhr nach befriedigter Neugierde wieder zuruck. Um 9 Uhr setzte ein neuer Vorfall die Leopoldstadt in die hef= tigste Aufregung. An der Brücke, vor dem Stierhöck'schem Kas= feehause vertheidigte, von einer Gruppe umgeben, ein schlichter Mann die Arbeiter und sprach gegen das Verfahren der Mu= nizipalgarde, gegen deren Benehmen die Meinungen fast einstim= mig sind, plötzlich fühlte er einen Stich, und ein Mann entfloh. Der Getroffene druckte die Hand an die Wunde und wankte unter dem Ausrufe; „Ich habe meinen Theil und genug!“ nach dem Eckhause Nr. 1 in dem Fragnerladen seiner Schwester, wo er zusammensank, und nach zehn Minuten starb. Er war mit einer breiten Waffe in die Lunge getroffen. Mittlerweile pflanzte sich Garde auf, und einige behaupteten, der Mörder habe sich in das Bäckerhaus, anstoßend an den Gasthof zum goldenen Lamm gefluchtet; wo er auch witklich ergriffen und auf die Stadthauptmannschaft gebracht wurde. Es soll ein Bäckermei= ster aus der Ferdinandsstrasse in der Leopoldstadt sein. Gegen zehn Uhr wurde es wieder ruhig, als mir an der Ferdinands= brücke gesagt wurde: Auf der Universität haut die Munizipal= garde schon ein, die Sturmglocke wird geläutet. Ich eilte dahin um mich von der gänzlichen Grundlosigkeit dieses Gerüchtes zu überzeugen, zugleich aber auch wie wenig man Gerüchten trauen darf, die auf ferneren Punkten sich zugetragen und deren Zeuge man nicht gewesen ist. Der Commandant Koller forderte mich auf mit einer kleinen Abtheilung der akademischen Legion eine Runde durch die Stadt zu machen. Wir zogen durch alle Hauptstrassen und fanden die vollste Ruhe verbreitet. Wie wir heute vernehmen, soll die Zahl der Verwundeten auf 75 und die der Todten auf 7 festgestellt sein; bei Einigen soll man in der Tasche Steine gefunden haben, was auf einen beabsichtigten Angriff schließen läßt. Auch sollen einige Munizipalgarden am Tabor von Ar= beitern insultirt worden sein, was ihre nachmalige Erbitterung hervorrief. Wir geben hier Thatsachen, wie sie die Gerüchte uns mittheilen und die jedenfalls konstatirt werden mussen, ehe wir uns ein Urtheil erlauben. Heute Morgens um 6 Uhr wurde in der Leopoldstadt wieder Allarm geschlagen, die Thore wurden gesperrt und besetzt und sind seit 1 Uhr wieder offen. Einzelne Abtheilungen der Nationalgarde und Legion rückten gegen den Prater und die Taborlinie. Es wurde bis jetzt (6 Uhr Nach= mittag) die Ruhe nicht gestört und ist auch keine Störung mehr zu fürchten. Die Stimme eines geachteten Wiener Schriftstellers laßt sich in Frankls Abend=Zeitung über die Motive und die Bedeu= tung der Arbeiterkravalles in nachstehender Wiese vernehmen; „Wir leben in einer fieberhaften Aufregung. Seit langer Zeit war Wien nicht in einem solchen Zustande der Unruhe, wie in den letzten 3 Tagen. Allarmirende Gerüchte von allen Sei= ten; müssige Köpfe gefallen sich in Erfindungen; man übertreibt man vergrößert die Gefahr. Wir suchen aus diesem Schauplatze der Verwirrung und Beängstigung hinauszukommen, wir suchen die freie Luft auf — da tönt uns der Schreckensruf „Mord! aus tausend Kehlen entgegen. Tag und Nacht wird die Garde aufgeboten, die Arbeiter heißt es, seien vor den Thoren, Hanni= bal ante portas. — Wirklich ist es zu einem traurigen Zusam= menstoße gekommen, Blut ist geflossen, die Nationalgarde blieb, wie es vorauszusehen war, Sieger. Laßt uns die Ereignisse mit besonnenem Auge prüfen, laßt uns einen ruhigen, klaren Ueberblick über die primitiven Ursachen dieser traurigen Vorfälle gewinnen. Was gab den Anlaß dazu? Hat es sich um eine Veränderung der Staatsform gehandelt, um irgend eine drückende Steuer, um ein Wahlgesetz? Nein, wir müssen es erröthend ge= stehen, der Abzug von fünf Kreuzer Taglohn, den das Ministe= rium sich genöthiget sah, zu dekretiren, hat Wien in seinen Fugen erschuttert, hat die Hauptstadt in diesen Zustand der ge= genseitigen Erbitterung versetzt. Wir können dies von dem ge= sunden Sinne der Arbeiter nicht glauben. Sie, die in den Bar= rikadentagen uns treu zur Seite gestanden, mit uns für dieselbe Freiheit gekämpft haben, die auch ihnen zu Statten kam, sie wären so vermessen, so wahnsinnig gewesen, eines elenden Lohn= abzuges willen, den man motivirt hat, den der vernünftigere Theil unter ihnen selbst als nothwendig erkennen mußte, die Ruhe der Stadt zu gefährden und ihr Leben einzusetzen? Oder wie? wo= her das Gerücht, daß ihre Sprecher erklärt haben, sie wollten sich am Ende den Lohnabzug gefallen lassen, wenn man nur die akademische Legion nicht auflöse, ihre Beschützer von ehemals nicht entwaffne. Wie kamen sie dazu, gerade jetzt, wo die fried= liche Lösung der prinzipiellen Fragen dem verfassungsgebenden Reichstag, der auch ihre Interessen wahrt, anheimgestellt wurde, selbsthandelnd aufzutreten und Politik zu machen? Nein, wir wiederholen es, eine Intrigue lag hier zu Grunde; eine gewisse Partei — wir wollen sie nicht nennen, wir können sie nicht wir desavouiren sie — hat jener leicht zugänglichen Klasse der Bevölkerung verderbliche Einflüsterungen gemacht; ein rother Faden, der für den Augenblick unserem forschenden Auge ent= schlupft, hat sich durch diese berechnete Revolte gezogen. — Man hat Gefangene gemacht; wohlan, man nehme sie vor, man ver= höre sie öffentlich, man forsche nach den Leitern der Bewegung, und überraschende Entdeckungen werden an das Tageslicht kom= men. Wehe jenen Wühlern, wenn die Maske von ihrem treu= losen Gesichte gerissen, und das verrathene Volk genöthigt sein wird, ihre Strafe zu bestimmen! Man spricht fortwährend von dem Proletariate; ein gewisser gehäbiger Theil der Bevölkerung, der nur für seinen Seckel fürchtet, liebt es dieses Wort zu ge= brauchen, und rechnet alle Staatsbürger dazu, die eben nicht von ihren Renten leben. Dankt den Göttern, daß ihr noch nicht an die grellen Kontraste der mit Produktivkräften überfüllten Ma= nufakturländer gelangt seid! Der Kern unserer Arbeiter ist wohlgesinnt, und weiß, daß der Bauer an seinen Pflug, der Ar= beiter an die Werkstätte gehöre. Aber eine im Finstern schlei= chende Partei, der nichts heilig ist, und die fort und fort an den Grundfesten unseres jungen Staates ruttelt, um separati= stische Zwecke zu verfolgen, und im Truben zu fischen; sie ist es, die uns gern in einem Zustande der sieten Aufregung erhalten möchte, wo die Vollendung der demokratischen Staatsform nicht möglich ist, und die Ruhe der Stadt fortwährend auf einer Na= delspitze tanzt.“ Ab. Z. Verantwortlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredacteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandbök und Haas in Steyr.

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