Zwanglose Blätter, Nr. 48, vom 30. August 1848

Zwanglose Blatter für Oberösterreich. Nro. Steyr am 30. August 1848. 48. Michel! fallen dir die Schuppen Von den Augen? Merkst du itzt, Daß man dir die besten Suppen Vor dem Maule wegstibitzt? Heine. Fragen ans Ministerium. Sind wir betrogen? Sind wir es nicht? Das ist die Frage, die wir an das Ministerium stellen. Ich will in kurzen Umrissen die Wirksamkeit des Mi= nisteriums und als Schlußstein sein Verhalten in den jüng= sten Tagen zeichnen. In dem Wirkungskreise des Ministeriums des Innern ist nicht viel geschehen. Die alte politische Verwaltung mit ihren alten Mängeln, — selbst der Entwurf einer Ver= besserung liegt noch nicht vor. Die Vortheile, welcher sich namentlich die städtischen Gemeinden bis jetzt erfreuen, ha= ben sie sich, die sommerlange Erndte=Tage der Freiheit benützend, selbst angeeignet. Das Ministerium der Finanzen hat nicht das Min= deste veranlaßt in den lästigsten Steuern, z. B. in der Ver= zehrungssteuer eine Linderung einzuführen und hat einen Finanzplan vorgelegt, der als eine Fortsetzung alter Uebel= stände selbst vor dem 15. März ohne Beifall wäre aufge= nommen worden. Der Kriegsminister trägt unter seinem Ministerkleide die Uniform des alten Hofkriegsrathspräsidenten und han= delt als solcher ohne einen Begriff von Freiheit und von Deutschland. Vom Minister der öffentlichen Arbeiten ist nur bekannt, daß er um das Zudrängen von Arbeitern zu den Nothstandbauten, wo sie um theures Geld faullenzten, während die Gewerbemeister Mangel an Gesellen litten, zu verhindern, den Taglohn herabsetzte, worin er ganz Recht hatte. Der Justizminister hat einen Entwurf der Rechts= pflege publicirt, der im Wesentlichen befriedigt. Der Unterrichtsminister (eigentlich der Unterstaats= sekretär Feuchtersleben) hat in seinem Fache das Meiste geleistet, er hat die wesentlichsten Verbesserungen in den mittleren und höheren Studien bereits ins Leben gerufen. Der Handels= und Gewerbeminister beschäftigt sich eifrig mit der Gewerbegesetzgebung und hat einen Entwurf zur Errichtung von Handelskammern publizirt. Er hatte noch nie Gelegenheit in der Kammer seine Gesinnung auszusprechen, denn die Kammer fragt nie nach dem Zu= stande des Gewerbsmannes — sie ist zu lebhaft beschäftiget dem Bauer fette Suppen zu kochen. Wenn sie nur nicht zu fett ausfallen. Ueberblickt man nun alle diese Leistungen, so muß man sich gestehen, es hätte eben so leicht weniger, als mehr geschehen können. Nun noch einige Fragen an das Gesammtministe= rium, die auch den Minister des Auswärtigen, von dem ich oben nichts zu sagen wußte, angehen: Was ist für den Anschluß an Deutschland geschehen? Ist das Ministerium energisch eingeschritten, daß die ausständigen Wahlen zum deutschen Parlamente in Böhmen vorgenommen werden? Was ist zur Entfernung der gebrandmarkten Cama= rilla von der Person des Kaisers geschehen? Was ist zur Verständigung der Armee von den Frei= heiten, die jeder Staatsbürger nach dem wiederholt aus= gesprochenen Willen des Kaisers zu genießen das Recht hat, geschehen? Was ist geschehen dem hochverrätherischen Treiben des Banus Jellachich ein Ziel zu setzen? Was ist geschehen die Nationalgarde überall zu bewaffnen und ihre innere Einrichtung und ihr höchstwich= tiges Verhältniß zur Armee gesetzlich fest zu stellen und zu sanktioniren? Warum hat das Ministerium, wenn es schon den außerordentlichen Zustand Wiens und der Mo= narchie beendet glaubte, nicht den Sicherheitsaus= schuß und den Gemeindeausschuß, welche beide aus die= sem Zustande hervorgingen, zugleich aufgelöst und der Stadt Wien aufgetragen durch direkte Wahl auf breite= ster Basis einen Gemeinderath zu wählen? Warum hat es den Sicherherheitsausschuß allein aufgelöst und dem Gemeindeausschuß, der diskreditirtesten zopfigsten Patrizier= stube die Erschaffung eines Gemeinderathes überlassen?

Doblhoff gedenke deiner eigenen Worte: Der Weltgeist macht jetzt Politik. Ich schreibe diese Zeilen tief in der Nacht. Die Enns rauscht vor meinem Fenster und mir ists als wisperten die Wellen am Ufer „Sind wir betrogen? Sind wir es nicht?“ Der Himmel ist schwarz, doch Gott sei Dank! nicht schwarz= gelb. Das ist mir recht lieb und ich kann es nicht läug= nen, ich verlasse mich auf den Himmel mehr, als auf das Ministerium Dobblhoff=Wessenberg. Es steht ein Gewitter ober mir und wenn es los= bricht und die Blitze zucken und ein rother Feuerschein über den Horizont hinfliegt, dann wird der Himmel schwarz= roth=golden sein — und das ist eine recht himmlische Farbe. Es wäre doch traurig, wenn wir gar nicht deutsch sein dürften — wenn man uns zwingen wollte, unsere Fah= nen um jeden Preis in die schöne Farbenmischung „Jella= chich und seine Göttin“ zu tauchen. Aber es ist mir im= mer, als wollten wir dennoch alle deutsch sein, als ließe sich so etwas gar nicht verbieten, als könnte so etwas gar nicht verwehrt werden, weder durch Bajonnete, noch durch Camarilla=Ränke, wenn auch tupirte Minister sich dabei betheiligten. Wir wollen deutsch bleiben, wie müssen deutsch bleiben und können wir durchaus kein Ministerium finden, das Hand in Hand mit uns gehen will — so sei der Him= mel unser Minister, der schwarz=roth=goldene Himmel mit seinen Stürmen, Donnerschlägen und Blitzen. Der möge dann walten. Aler. Jul. Schindler. Was gehört vor Allem in unsere Volks= schulen? Tief betrauern wir, daß die Masse des Volkes von der Liebe zum deutschen Vaterlande noch so wenig durch= drungen ist. Der größere Theil der österreichischen Bau= ern weiß noch kaum, daß es ein Deutschland gibt, und daß dieses sein Vaterland sei. Wie sollte also die heilige Vaterlandsliebe im Volke erwachen, da es sein Vaterland noch gar nicht kennt? Die Volksschule war bisher noch ganz verwahrloset. Die deutschen Kinder lernten wohl die jüdische Geschichte, lernten die Helden der Juden kennen, aber unsere Helden, unsere mit Ruhm gekrönten Männer der Vorzeit und der Gegenwart blieben ihnen unbekannt. Das bisherige Verdummungssistem wollte kein einiges Vater= land, da es nur in der Zersplitterung der Völker bestehen konnte, es wollte und konnte nicht die freien Männer un= serer Voreltern den Kindern zum Vorbilde aufstellen, sollte es nicht aus seiner Rolle geworfen werden. Nun soll es aber mit Gottes Hilfe besser kommen. Die Schule muß sich zur wahren Bildungsanstalt umgestalten, in ihr muß der Same der Vaterlandsliebe in das weiche Herz der Kin= der gelegt werden, daß sie heranwachse in der pochenden Brust der deutschen Jünglinge und Jungfrauen und er= starke in der Seele des deutschen Mannes, des deutschen Weibes. Darum möge in Zukunft in allen deutschen Volks= schulen statt der hebräischen Geschichte die Geschichte der Deutschen gelehrt werden, sie weiset Männer auf, die hoch über den Männern der Bibel stehen, und unseren Kindern als die herrlichsten Vorbilder aufgestellt werden können. Man lehre sie die Geschichte, aber nicht nach einem regierungsmäßigen mit obligaten Fürstenlobe durch= wirkten Zuschnitte, sondern in nackter Wahrheit. Man lehre sie die deutsche Länder= und Völkerkunde, damit der Oesterreicher seine deutschen Brüder in der Stei= ermark und Tirol, am Rheine und der Elbe, an der Nord= und Südsee kennen und lieben lerne. Damit aber unsere herrliche deutsche Geschichte so recht zum Herzen der Kinder dringe, und ihr Gemüths= leben mit Tausend und Tausend der schönsten Bilder aus= schmücke und bereichere, muß sie mit Liebe aus ganzer Seele vorgetragen werden, denn nur was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, mit Einem: sie muß aus deutscher Brust vom deutschen Manne vorgetragen werden. Daher in Zukunft die Lehrer an den deutschen Volksschulen nur Deutsche sein sollen, weil weder der Slave, noch der Ro= mane, noch der Ungar für unser Vaterland erglühen können. Zu den Volkslehrern gehören auch unsere Priester! Also deutsche Priester in unsere Kirchen, und deutsche Lehrer in unsere Volksschulen! Schwarz=Roth-Gold. Zur Geschichte des Tages Nach einem Ministerial=Erlaße steht es in Antrag, die Brod= und Fleischsatzung aufzuheben, worüber die Be= hörden ihr Gutachten zu erstatten haben. Es muß ge= wünscht werden, die Volksstimmung in dieser Beziehung wahrzunehmen und sie im Wege der Presse oder durch Petitionen in Erfahrung zu bringen. In den Auslagkästen der Gewölber in Wien beginnen die schwarzrothgoldenen Bänder zu verschwinden und dafür die schwarzgelben aufzutauchen. Ein Fabrikant in einer Vorstadt beschäftiget viele Stühle mit der Verfertigung dieser schon verschollen geglaubten Povel= waare. — Es scheint, die Leute kehren den Mantel nach dem Winde, und haben wahrscheinlich Wind bekommen von der schwarzgelben Weltgegend her. Das deutsche Parlament denkt daran, den ganzen Winter noch in Frankfurt zu tagen und läßt das Winter= quartier einrichten. In der Paulskirche werden bereits Heitzungs= und Beleuchtungsapparate angebracht. Bis dies vollendet ist, sollen die Sitzungen in der deutsch=refor= mirten Kirche gehalten werden. Pf. Dem Volksfreund wird aus Böhmen geschrieben. Vor einigen Tagen wurde von der Prager Garnison im spanischen Saale auf dem Hradschin zur Feier der Siege

in Italien ein Banket gegeben, an welchem außer der Ge= neralität auch von jedem Bataillon zwei Unteroffiziere und Gemeine Theil nahmen. Unter jedem Couvert befand sich ein vier Spalten langes Gedicht, „Warnungsstimme aus Italien“ O. M. unterzeichnet (Obristlieutenant Marsano), welches bereits in ganz Oesterreich böses Blut erweckt und das Mißtrauen gegen das Militär gleichsam herausfordert. Das Banket soll im höchsten Grade brüderlich ausgefallen und Offiziere und Gemeine Arm in Arm nach Hause ge= fahren sein. — Gute Nacht! Pfefferkörner. Der Abgeordnete Umlaufft hat neulich der Kammer ein Kompliment gesagt: Er glaube im Reichstagsaale sitze die Weisheit des ganzen Reiches. Das ist aber die größte Grobheit für alle Provinzen. Da wäre z. B. Hr. Umlaufft die Weisheit von ganz Leitmeritz und die Stadt Steyr hätte gar keine Weisheit besessen, da sie sich ihr Stück Weisheit, ihren Deputirten, aus Klagenfurt verschreiben mußte. Es wäre sehr weise vom Reichstag gewesen, wenn er den Hr. Umlaufft über diese unbesonnene Aeußerung zur Ordnung gerufen hätte. Die Minister Doblhoff, Wessenberg, Bach und Schwarzer, welche auch zugleich Deputirte sind, haben als solche bis jetzt noch nicht das Wort ergriffen. Der Mi= nister des Innern, dem einst die Ungerechtigkeit der Gül= tigkeitserklärung einer Wahl vorgestellt wurde, entgegnete: obwohl er einsehe, daß in derlei Fällen nicht mit der ge= hörigen Schärfe und Gerechtigkeit zu Werke gegangen werde, könne er doch nichts dabei thun, um den Reichstag nicht in seiner Autonomie zu beschränken. Diese Ansicht des Mi= nisters ist begreiflich, aber nicht richtig. Kann er es vor seinem Gewissen verantworten, wenn er als Deputirter eine Ungerechtigkeit ohne Widerspruch hingehen läßt, oder etwa gar dafür stimmt? Wenn die Herrn Minister sich durch ihre Stellung als Abgeordnete genirt oder gar beide Würden miteinander nicht vereinbar finden, warum danken sie nicht ab? — natürlich als — Abgeordnete. Nach neueren Nachrichten über das Cölner Dom= baufest, das wir in unserem vorigen Blatte besprachen, ging es bei demselben noch zwangloser her, als wir in unserer Zwanglosigkeit schilderten. Der König von Preußen war so aufgeräumt, daß er sogar in den Gesang mit einstimmte. Der Mann ist für Deutschland Alles. Prediger, Sänger, Schauspieler und frere et — . Die deutsche Nationalversammlung hat unbedingte Rede und Preßfreiheit als ein Grundrecht des deutschen Volkes beschlossen. Nach dem einstimmigen Berichte meh= rer österreichischen Zeitungen soll es aber der Graf Cho= rinsky — Kreishauptmann in Salzburg, gewagt haben, dem dort neuantretenden Theaterpächter die Bedingung zu stellen, jedes Stück vor der Aufführung ihm, Chorinsky, zur Revision vorzulegen. Als Grund dieser Maßregel wird angegeben, der in Aussicht stehende Ruheaufent= halt (Tacitus nennt derlei sejours anders) der Kaiserin Mutter und des Erzherzogs Ludwig. Ist denn dieser Cho= rinsky unersetzlich, Herr von Skrbensky? Das Ministerium ist aufrichtig deutsch gesinnt und die Czechen in der Reitschule sind ebenso gerecht als edel. Wollen Sie ein Beispiel? Als der czechische Abge= ordnete Rieger vom Wiener=Pöbel insultirt wurde bean= tragte ein Kammermitglied ein Gesetz zur Sicherstellung der Deputirten — alle deutschen Abgeordneten unter= stützten diesen gerechten Antrag und das Ministerium ging mit Freuden darauf ein. — Als der deutsche Deputirte in Frankfurt, Kuranda, bei seiner Vermählung in Kolin von aufgestachelten Haufen insultirt worden war, beantragte Schußelka im Reichstage ein Gesetz zur Sicherung der Un= verletzlichkeit der deutschen Reichsabgeordneten in Oesterreich. Die czechischen Abgeordneten zischten diesen Antrag aus und das Ministerium fand sich nicht beru= fen darauf einzugehen! Die Zeitungen sind arge Schelme. So schreiben sie oft in der einen Spalte unsere Truppen seien bei ihrem Einzuge in die italienischen Städte von der zahllosen Men= ge mit Jubel empfangen worden, und in der nächsten Spalten ist zu lesen, daß sie die Städte leer oder wenig= stens von der besseren Klasse der Einwohner verlassen fan= den. Man bilde sich ja nicht ein, daß der Lombarde den Deutschen wird lieben lernen, besonders so lange dieser immer nur mit Feuer und Schwert und einem Heere von Beamten ihn heimsucht. Fortsetzung der Arbeiterunruhen in Wien am 23. August. „Obwohl man sich in Wien mit der Hoffnung schmeichelte am 22. die Aufregung der Arbeiter in dem Maße gestillt zu se= hen, daß kein weiterer Ausbruch mehr zu fürchten sei, so war doch der 29. d. M. reich an unverhofften und höchst traurigen Begebenbeiten. Nach den neuesten Wiener Berichten zogen ge= gen Mittag vom Arbeitsplatze im Prater die Männer und Wei= ber gegen die Jägerzeile heran, um einen wunderlichen Leichen= zug zu begehen. Auf einer Bahre lag eine Figur aus Lehm in Lumpen gehüllt, an der Brust hing ihr ein Blatt, auf dem zu lesen war, „der Kreuzerminister.“ Die Leidtragenden erzählten, der arme Mann hätte 4 kr. verschluckt, am 5. sei er aber erstickt. Die Weiber trugen Hacken und Schaufeln wie brennende Fa= ckeln aufrecht. Mehrere Herren, unter ihnen zwei der akademi= schen Legion sprachen ihnen, über den fantastischen Aufzug la= chend zu, nicht wie es die Absicht war, durch die Jägerzeile zu ziehen, um kein Aufsehen zu verursachen, sondern wieder auf

ihre Arbeitsplätze zuruckzukehren, was sie denn auch durch die Franzensallee thun wollten; da erschien Munizipalgarde, und als die Arbeiter nicht sogleich auseinander gehen wollten, sollen sie mit blankem Säbel eingehauen haben. Daß kaum ein Wi= derstand gewesen, beweisen die beigebrachten Wunden derjenigen Arbeiter und Arbeiterinnen, die im Spitale der barmherzigen Bruder in der Leopoldstadt liegen, sie finden sich alle am Rü= cken, an der Schulter, an der Seite, also Fliehenden beigebracht. Um ½ 3 Uhr wurde Allarm geschlagen, die Leopoldstädter Garde rückte in einzelnen Abtheilungen in den Prater. Gegenüber dem Bahnhofe sollen zwei Schüsse aus den Gärten auf die aufgestellte Garde gefallen sein. Die Zimmerleute brachen die einfriedenden Planken durch und suchten nach den Schießenden. Die Arbeiter der Eisenbahn sollen durch Zischen und Pfeifen das Thun der Garde verhöhnt haben, worauf diese feuerte. Gegen 6 Uhr rückten die Garden aus den übrigen Vorstädten ebenfalls heran, die akademische Legion sammelte sich auf der Universität, be= setzte die Thore und zog in einzelnen Abtheilungen ebenfalls ge= gen den Prater, die Taborlinie und den Augarten. An der höl= zernen Brücke sammelten sich die rasch avisirten Arbeiter vom Brünnelbade in der Alservorstadt. In der Tandelmarkt=, in der Sterngasse soll die Garde, ohne früher durch Trommelschlag zum Auseinandergehen gemahnt zu haben, Feuer gegeben haben. Gegen sechs Uhr stellte sich k. k. Kavallerie beim Prater in der Querstrasse, die diesen mit der Taborstrasse verbindet auf, eben so an der erwähnten hölzernen Brucke, verhielt sich jedoch voll= kommen ruhig. Während dieser Zeit hörte man, mehrere De= chargen. Verwundete wurden auf dreizehn Wägen durch die Jägerzeile gefahren, die blutend und schweigend sich in das Klo= ster der Barmherzigen bringen ließen. Man sprach um sieben Uhr von 5 Todten und 60 Verwundeten, darunter von Mehre= ren, die dem Tode nahe sind. Schon nach Mittag waren alle Läden geschlossen, unubersehbare Menschenmassen, Männer und wie jedesmal eben so viele Frauen wogten in die Leopoldstadt und zogen gegen 8 Uhr nach befriedigter Neugierde wieder zuruck. Um 9 Uhr setzte ein neuer Vorfall die Leopoldstadt in die hef= tigste Aufregung. An der Brücke, vor dem Stierhöck'schem Kas= feehause vertheidigte, von einer Gruppe umgeben, ein schlichter Mann die Arbeiter und sprach gegen das Verfahren der Mu= nizipalgarde, gegen deren Benehmen die Meinungen fast einstim= mig sind, plötzlich fühlte er einen Stich, und ein Mann entfloh. Der Getroffene druckte die Hand an die Wunde und wankte unter dem Ausrufe; „Ich habe meinen Theil und genug!“ nach dem Eckhause Nr. 1 in dem Fragnerladen seiner Schwester, wo er zusammensank, und nach zehn Minuten starb. Er war mit einer breiten Waffe in die Lunge getroffen. Mittlerweile pflanzte sich Garde auf, und einige behaupteten, der Mörder habe sich in das Bäckerhaus, anstoßend an den Gasthof zum goldenen Lamm gefluchtet; wo er auch witklich ergriffen und auf die Stadthauptmannschaft gebracht wurde. Es soll ein Bäckermei= ster aus der Ferdinandsstrasse in der Leopoldstadt sein. Gegen zehn Uhr wurde es wieder ruhig, als mir an der Ferdinands= brücke gesagt wurde: Auf der Universität haut die Munizipal= garde schon ein, die Sturmglocke wird geläutet. Ich eilte dahin um mich von der gänzlichen Grundlosigkeit dieses Gerüchtes zu überzeugen, zugleich aber auch wie wenig man Gerüchten trauen darf, die auf ferneren Punkten sich zugetragen und deren Zeuge man nicht gewesen ist. Der Commandant Koller forderte mich auf mit einer kleinen Abtheilung der akademischen Legion eine Runde durch die Stadt zu machen. Wir zogen durch alle Hauptstrassen und fanden die vollste Ruhe verbreitet. Wie wir heute vernehmen, soll die Zahl der Verwundeten auf 75 und die der Todten auf 7 festgestellt sein; bei Einigen soll man in der Tasche Steine gefunden haben, was auf einen beabsichtigten Angriff schließen läßt. Auch sollen einige Munizipalgarden am Tabor von Ar= beitern insultirt worden sein, was ihre nachmalige Erbitterung hervorrief. Wir geben hier Thatsachen, wie sie die Gerüchte uns mittheilen und die jedenfalls konstatirt werden mussen, ehe wir uns ein Urtheil erlauben. Heute Morgens um 6 Uhr wurde in der Leopoldstadt wieder Allarm geschlagen, die Thore wurden gesperrt und besetzt und sind seit 1 Uhr wieder offen. Einzelne Abtheilungen der Nationalgarde und Legion rückten gegen den Prater und die Taborlinie. Es wurde bis jetzt (6 Uhr Nach= mittag) die Ruhe nicht gestört und ist auch keine Störung mehr zu fürchten. Die Stimme eines geachteten Wiener Schriftstellers laßt sich in Frankls Abend=Zeitung über die Motive und die Bedeu= tung der Arbeiterkravalles in nachstehender Wiese vernehmen; „Wir leben in einer fieberhaften Aufregung. Seit langer Zeit war Wien nicht in einem solchen Zustande der Unruhe, wie in den letzten 3 Tagen. Allarmirende Gerüchte von allen Sei= ten; müssige Köpfe gefallen sich in Erfindungen; man übertreibt man vergrößert die Gefahr. Wir suchen aus diesem Schauplatze der Verwirrung und Beängstigung hinauszukommen, wir suchen die freie Luft auf — da tönt uns der Schreckensruf „Mord! aus tausend Kehlen entgegen. Tag und Nacht wird die Garde aufgeboten, die Arbeiter heißt es, seien vor den Thoren, Hanni= bal ante portas. — Wirklich ist es zu einem traurigen Zusam= menstoße gekommen, Blut ist geflossen, die Nationalgarde blieb, wie es vorauszusehen war, Sieger. Laßt uns die Ereignisse mit besonnenem Auge prüfen, laßt uns einen ruhigen, klaren Ueberblick über die primitiven Ursachen dieser traurigen Vorfälle gewinnen. Was gab den Anlaß dazu? Hat es sich um eine Veränderung der Staatsform gehandelt, um irgend eine drückende Steuer, um ein Wahlgesetz? Nein, wir müssen es erröthend ge= stehen, der Abzug von fünf Kreuzer Taglohn, den das Ministe= rium sich genöthiget sah, zu dekretiren, hat Wien in seinen Fugen erschuttert, hat die Hauptstadt in diesen Zustand der ge= genseitigen Erbitterung versetzt. Wir können dies von dem ge= sunden Sinne der Arbeiter nicht glauben. Sie, die in den Bar= rikadentagen uns treu zur Seite gestanden, mit uns für dieselbe Freiheit gekämpft haben, die auch ihnen zu Statten kam, sie wären so vermessen, so wahnsinnig gewesen, eines elenden Lohn= abzuges willen, den man motivirt hat, den der vernünftigere Theil unter ihnen selbst als nothwendig erkennen mußte, die Ruhe der Stadt zu gefährden und ihr Leben einzusetzen? Oder wie? wo= her das Gerücht, daß ihre Sprecher erklärt haben, sie wollten sich am Ende den Lohnabzug gefallen lassen, wenn man nur die akademische Legion nicht auflöse, ihre Beschützer von ehemals nicht entwaffne. Wie kamen sie dazu, gerade jetzt, wo die fried= liche Lösung der prinzipiellen Fragen dem verfassungsgebenden Reichstag, der auch ihre Interessen wahrt, anheimgestellt wurde, selbsthandelnd aufzutreten und Politik zu machen? Nein, wir wiederholen es, eine Intrigue lag hier zu Grunde; eine gewisse Partei — wir wollen sie nicht nennen, wir können sie nicht wir desavouiren sie — hat jener leicht zugänglichen Klasse der Bevölkerung verderbliche Einflüsterungen gemacht; ein rother Faden, der für den Augenblick unserem forschenden Auge ent= schlupft, hat sich durch diese berechnete Revolte gezogen. — Man hat Gefangene gemacht; wohlan, man nehme sie vor, man ver= höre sie öffentlich, man forsche nach den Leitern der Bewegung, und überraschende Entdeckungen werden an das Tageslicht kom= men. Wehe jenen Wühlern, wenn die Maske von ihrem treu= losen Gesichte gerissen, und das verrathene Volk genöthigt sein wird, ihre Strafe zu bestimmen! Man spricht fortwährend von dem Proletariate; ein gewisser gehäbiger Theil der Bevölkerung, der nur für seinen Seckel fürchtet, liebt es dieses Wort zu ge= brauchen, und rechnet alle Staatsbürger dazu, die eben nicht von ihren Renten leben. Dankt den Göttern, daß ihr noch nicht an die grellen Kontraste der mit Produktivkräften überfüllten Ma= nufakturländer gelangt seid! Der Kern unserer Arbeiter ist wohlgesinnt, und weiß, daß der Bauer an seinen Pflug, der Ar= beiter an die Werkstätte gehöre. Aber eine im Finstern schlei= chende Partei, der nichts heilig ist, und die fort und fort an den Grundfesten unseres jungen Staates ruttelt, um separati= stische Zwecke zu verfolgen, und im Truben zu fischen; sie ist es, die uns gern in einem Zustande der sieten Aufregung erhalten möchte, wo die Vollendung der demokratischen Staatsform nicht möglich ist, und die Ruhe der Stadt fortwährend auf einer Na= delspitze tanzt.“ Ab. Z. Verantwortlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredacteur F. W. Arming. Druck und Verlag von Sandbök und Haas in Steyr.

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