Zwanglose Blätter, Nr. 22, vom 1. Juni 1848

mit bewaffneten Drohungen erzwingen, dieß war das Vergehen, welches der größte Theil der Bewohner Wiens, der National= Garde und alle Provinzen des Reiches verabscheuen, der kleine= re schuldige Theil bitter bereut. Möge es aber Euerer Majestät gefallen, befreit von allem Zwange wie auch frei von dem Ein flusse einer Umgebung, welche die Wunsche und Bedürfnisse Ihres Volkes nicht kennt, im Einverständnisse mit Ihrem Ministerrathe die, von ihm und dem intelligenteren Theile der Nation ge wünschten Aenderungen zu bewilligen, nach hergestellter Ruhe, Ordnung und Sicherheit unter dem Schutze der gesetzlichen Ge walten alles Mißtrauen zu verbannen, und nach dem Rathe Ihrer verantwortlichen Minister in die ängstlich harrende Resi denz ehemöglichst zurückzukehren. Das Reich und die Haupt= stadt würden unendlich leiden, wenn diese Rückkehr länger ver= zögert würde, als die Umstände dringend erheischen. Durch die unvermeidliche Stockung des Vertrauens, des Verkehrs würde das Land immer mehr außer Stand gesetzt, seinen äußeren Feinden zu widerstehen, während die Elemente innerer Zerrüt= tung durch die zunehmende Erwerblosigkeit sich immer drohender anhäufen würden. Während wir für die Gesinnung, die uns beseelt, den Ausdruck suchten, eilten Deputationen verschiedener Provinzen vielleicht mit verschiedenen Petitionen nach Innsbruck. Wir erlauben uns nur eine, aber höchst dringende, und flehende Bitte: unternehmen Euere Majestät nichts ohne Ein= verständniß mit ihren verantwortlichen Ministern! durch jede, die Grundsätze der Constitution verletzende Gewährung würden Euere Majesiät ein furchtbares Wort aussprechen: Reaction! ein Wort, das längst zum Losungswort der Feinde der Dyna= stie und des Volkes geworden ist, ein Wort, welches den Bür= gerkrieg entzunden, alle Schrecken der Anarchie herbeirufen das den Fluch der Revolution oder die Schmach der Knecht= schaft über Ihre treuen, dem angestammten Herescherhause mit innigster Anhänglichkeit ergebenen Völker ausschütten würde. Euerer Majestät treugehorsamsten Stände und Bürger=Ausschuß des Landes Oesterreich ob der Enns. Linz, denn 22. Mai 1848. Wir erlauben uns einige Bemerkungen an diese Ad= resse zu knüpfen. Im Ganzen ist sie ziemlich gelungen durch die Klugheit mit welcher allen, den am 15. Mai mit Waffen ausgerückten Nationalgarden, Bürger und Mitglieder der akademischen Legion Wiens angeschuldeten Schritten eben so viele edle Beweggründe untergelegt werden und somit die Form des Schrittes mißbilligt, das Ziel aber nach dem sie strebten, als ein vollkommen gerechtfertigtes, als das in jenen Tagen vor Allem anstrebenswertheste anerkannt wird, da es wie männiglich bekannt nur die Aufrechthaltung der unverfälsch= ten Freiheit war, welche durch eine unverbesserliche Men= schenklasse sich bedroht sah, die nicht zufrieden war nach wie vor schleichenden Fußes auf den glatten Parquetten des Ho= fes zu brilliren, sondern das alte, angeborene und anerzogene Gelüste nicht länger bezähmen konnte; endlich einmal wie= der den Fuß auf den so niedriggeborenen Nacken des Bür= gers und des Bauers zu setzen. Diese Menschenklasse, die ser aufgeblasene Hof=, Bureaux= und Militäradel ist es, welchen (um die Ausdrücke der Adresse zu gebrauchen der Segen der gesetzlichen Freiheit, mit fin= steren Ahnungen erfüllt. Daß die communistische Propaganda ihre Hände bei den Wiener Ereignissen im Spiele hatte und sich — vielleicht selbst tupirt als Werk= zeug der Camarilla gebrauchen ließ, stellen wir darum nicht in Abrede. Meisterhaft sind in der obigen Adresse die Hin= weisungen auf die konstitutionellen Pflichten des Kaisers, namentlich die offenen Warnungen vor jedem Schritte ohne Einverständniß mit den verantwortlichen Ministerien, vor jeder Reaktion. Somit wäre dieses Wort daß wir mit Wohldedacht schon wochenlang im Munde führen, das als Ausgeburt einer ungemäßigten politischen Fantasie vor den überklugen Stammgästen und Weinorakeln hingenom= men, von Dummen und Böswilligen unter ihnen aber gar für den Deckmantel erklärt wurde, hinter dem wir un= sere republikanischen (!) und anarchischen (!) Absichten verbergen — zu seinem historischen Rechte gekommen! Die Weltgeschichte wird von der Schandthat der Mai=Reaktion einer dem Völkerfrühling feindlichen Camarilla reden, die man den zwanglosen Blättern für Oberösterreich nie glauben wollte. Nach hundert und aber hun= dert Jahren werden es die Kinder in ihren Bücherriemen als Wahrheit in die Schule tra= gen, was man als Lüge und Verläumdung zu brandmarken wagte, als es früh und mu= thig von unseren Lippen tönte. Reaktion — hier steht der Feind! Wir halten ihm Stand mit offenem Visier! Ueber die Auffassung der Wiener=Vorgänge am 15. Mai wollen wir mit den Ständen nicht rechten. Die Akten sind geschlossen und auch hierüber wird die Geschichte das Urtheil sprechen, gegen das es keine Ap= pelation gibt, das Urtheil gegen dem keinen Monarchen das Milderungs= oder Begnädigungsrecht zusteht. Was daher den Protest gegen die Zugeständnisse des 15. Mai anbelangt, so können wir ihn lediglich als einen Protest aller Jener anerkennen, die eben damit ein verstanden sein wollen, denn Stände= und Bürgerausschuß von Oberösterreich in seiner jetzigen Gestalt ist noch immer keine vollständige Repräsentation des Volkes. Nur zwei Bemerkungen wollen wir uns noch er= lauben. Im zweiten Absatze der Adresse ist die Rede, daß es dem edlen Herzen des Kaisers nicht möglich war, das Blut seiner Büger ver= gießen zu lassen! Wir fragen: wann hätte der Kaiser das Blut seiner Bürger vergießen lassen sollen oder müssen? Etwa da sie gegenüber den schon früher aufgestellten Truppen und Kanonen nach dem Rechte der Volkswehr mit Waffen ausrückten, um auch ihrerseits der Reaktion die Zähne zu weisen? Der unglücklichste Ausdruck steht aber im ersten Ab= satze der Adresse wo als Verführte die Jugend, und dann nur noch der roheste Theil der Bevölkerung Wiens genannt wird. Um von der National= und Bür= gergarde, die sich unmöglich durch diese Ungeschicklichkeit getroffen fühlen könnte, abzusehen, müßte man fragen, ob

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