Adressbuch Wiener Neustadt 1930

42 burgern blieb Neustadt ein Eckpfeiler wider Ungarn. Es teilte die Geschicke des damaligen Oesterreich: soziale Kämpfe, die furchtbare Pest von 1349, dazu kamen häufige Erdbeben, neben den aus dem Wesen damaliger Stadtverbauung zu erklärenden, hier wie überall zu verzeichnenden Feuersbrünsten. Der habsburgische Teilungs vertrag von 1379 wies dem Gebiete von Wiener Neustadt eine Sonderstellung zu die Stadt stand als Residenz der Leopoldinischen Herzoge im Brennpunkte der auf die Länderteilung folgenden Wirren. Der äußere Glanz der kleinen Residen¬ hob sich gewaltig, als aus dem steirischen Herzog Friedrich (V.) im Jahre 1440 der deutsche König wurde, der alsbald nach altem Brauche in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Freilich, die Machtfülle dieses Habsburgers war ein Hohn auf seinen Titel, er hatte oft mehr Schulden als ein Durchschnittsbürger. Die Stadt zog manchen Nutzen aus ihrer kaiserlichen Würde, Handel und Wandel mehrten sich, eine stattliche Judengemeinde gibt Zeugnis hievon. Aber jählings folgte auf diese Glanzeit die Er¬ oberung durch den Ungarkönig Matthias Corvinus. Wenn auch Maximilian I. nach dessen Tode (1490) die Stadt seiner Geburt rasch befreite, war sie doch arm und dürftig geworden. Maximilian wie einzelne seiner Nachfolger mußten einem Abwandern der Bevölkerung vorbeugen, damit die Stadt nicht die Tauglichkeit als Grenzfestung im Türkenkriege einbüße. Gleich dem übrigen Oesterreich hielt die neue lutherische Lehre in jenen harten Zeiten ihren Einzug in die tadt, um gerade hier späterhin durch en unerbittlichen Gegenreformator Melchior Khleft aufs äußerste bedrängt und förmlich ausgerottet zu werden. Gleichwie in Wien bedrohten die Türken die Stadt das erste Mal im Jahre 1529 schon 1532 kamen sie wieder. Im 17. Jahrhundert trafen die sich stets erneuernden ungarischen Aufstände Wiener Neustadt und seine Umgebung sehr schwer. 1683 brachte eine neuerliche Türkenbelagerung. Zuletzt bewährte sich die alte Festung während des Hatten 167 Kurussenkrieges, der dem spanischen Erfolgekriege parallel lief. zwei der mächtigsten ungarischen Verschwörer in Wiener Neustadt ihrLeben lassen müssen ein Ereignis, das ebensowenig wie das Blutgericht von 1522 mit der Stadt selbst in unmittelbarem Zusammenhang stand), so war Prinz Franz II. Rakocz lüger gewesen; er entwich 701 aus dem seither nach ihm benannten Turm der alten Burg und erhob sich zum Führer des magyarischen Nationalaufstandes. In jener Zeit verlieh Kaiser Leopold I. der Stadt den Beinamen „Allezeit Getreu in aller Form. Während des 16. Jahrhunderts waren die alten geistlichen Anlagen verfallen, die Gegenreformation belebte sie neu, was sich auch in ihrer äußeren, barocken Gestal¬ ausspricht. Dazu traten neuberufene Orden wie Karmeliter, Karmeliterinnen, Jesuiten in einem einer Festung keineswegs zuträglichen Ausmaße. Während nach dem Kuruzzenrummel die militärische Aufgabe der Stadt langsam verblaßte, übernahm Wiener Neustadt eine neue militärische Rolle durch den Entschluß der Kaiserin Maria Theresia, die aus der alten Burg 1751 die Militär¬ akademie schuf, die bis 1918 die alte Armee mit Offizieren versorgte. Josef II wies auch der mittelalterlichen Handelsstadt neue Wege: durch Aufhebung mehrerer Klöster schuf er Raum für Fabriken und seither hat sich Wiener Neustadt und seine Umgebung zu einem der bedeutendsten österreichischen Industriegebiete entwickelt Die Franzosenzeit (1805 und 1809), ein fürchterlicher Brand (1834) konnten das fortschreitende Wachstum der Stadt hemmen aber nicht hindern. Denn es war in ihrer Lage, der sich die neuen Verkehrswege (Eisenbahnen ebenso anpassen mußten wie einst die Straßen und auch die Idee, Oesterreich durch ein Kanalne verkehrsreicher zu gestalten, ist mit Wiener Neustadt verknüpft nicht minder als in der schrankenlosen Entwicklungsmöglichkeit für die Industrie begründet. Dies be¬ weist das Anwachsen ihrer Bevölkerung: 1805 hatte die Stadt 7835 Einwohner, 1843 (nach Einsetzen verkehrstechnischer Umwälzungen) 10.706, im Jahre 1890 (nach Errichtung zahlreicher Industrieanlagen und Wohnviertel) 23.364 vor dem Kriege 1910 samt der Garnison 30.838, während des Krieges etwa 40.000 (einschließlich der Munitionsarbeiter und Truppen), 1927 38.054 Als Eisenbahnknotenpunkt, Industrie= und Handelsvoror rat Wiener Neustadt in das 20. Jahrhundert ein, dessen erste Jahrzehnte der Stadt einen neuen Ruhmestitel einbrachten: das Wiener Neustädter Flugfeld wurde die Ge¬ österreichischen Flugwesens. burtsstätte des Zahlreiche öffentliche Bauten betonten die Bedeutung der Stadt: staatliche Gebäude, städtische, Kasernen und Industriebauten oder deren Erweiterungen. Die gesellschaftliche Schichtung der Bevölke¬ rung hatte sich längst maßgeblich verändert, deren politischer Ausdruck noch kaum, So trat die Stadt in den Weltkrieg ein. Dessen Bedürfnisse schufen aus den nahen

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