Veröffentlichungen des Kultturamtes, Heft 36, Dezember 1985

Die Unterrichtszeit betrug in der Rhetorik täglich vier Stunden, u.zw. vormittags zwei und nachmittags zwei, in den übrigen Klassen fünf Stunden, also vormittags und nachmittag eine halbe Stunde mehr. Auch am sogenannten Vakanztag, d.i . dem oben bereits erwähnten frei– en Donnerstag, waren mindestens zwei Stunden Unterricht. Ab der obersten Grammatikklasse, der Syntaxis, war es nicht nur für den Leh– rer, sondern auch für den Schüler Pflicht, nur lateinisch zu sprechen. In der unterrichtsfreien Zeit hatten die Schüler ihre Lektionen auswen– dig zu lernen und täglich außer Samstag eine schriftliche Arbeit abzu– liefern. Wenn mehrere Feiertage kamen, kleinere oder größere Ferien ins Haus standen, wurde eine größere Stilübung aufgegeben . Jedem Lehrer wurde besonders ans Herz gelegt, in gleicher Weise für die Stu– dien der Armen wie der Reichen zu sorgen und sich das Vorankommen jedes einzelnen angelegen sein zu lassen53 ). Entsprechend dem Lehrziel sollte das Gymnasium „dem Schüler in den Grammatikklassen den richtigen, in der Humanität den schönen, in der Rhetorik den überzeugenden Ausdruck des Gedankens bringen" . In allen drei Stufen wurde der Nachdruck auf das Können gelegt; des– halb kurze Grammatiken, aber häufige und vielgestaltige Übungen nach dem alten Grundsatz: Praecepta pauca, plurima exercitatio54 ) . Die Erfüllung der Aufgabe des Gymnasiums sah die Ratio studiorum im Studium der lateinischen und griechischen Sprache. Sie setzte da– bei die Tradition des christlichen Mittelalters und des Humanismus fort. Latein blieb Hauptfach in allen Klassen . In Griechisch wurden im allge– meinen weniger Anforderungen gestellt, daher wurde ihm auch we– sentlich weniger Unterrichtszeit gewidmet. Es ging dabei nicht darum, dem Schüler ein möglichst umfangreiches Wissen zu vermitteln, son– dern ihn logisch zu schulen und zur geistigen Tätigkeit zu befähigen, wozu sich nach damaliger Ansicht, die sich übrigens noch lange halten sollte, die alten Sprachen am besten eigneten. Noch 1890 konnte Dr. Holzmüller, Direktor einer Gewerbeschule in Berlin, bei den Verhand– lungen über Fragen des höheren Unterrichts in Berlin (4.-17. Dezem– ber 1890) erklären: ,,Ich bin Mathematiker und Lehrer der Mechanik, also Realist durch und durch, aber ich warne vor aller Übertreibung der Mathematik an den höheren Schulen . Sie bewegt sich in einem engen Gedankenkreis. Der sprachliche Unterricht hat bedeutend mehr Denk– formen zur Verfügung ." Und der Physiker Hermann von Helmholtz er– klärt bei den gleichen Verhandlungen: ,,Als das beste Mittel, um die beste Geistesbildung zu erteilen, können wir für bewährt nur das Stu– dium der alten Sprachen betrachten."ss) Bis tief ins 18. Jahrhundert hinein blieben Latein und Griechisch die beiden tragenden Säulen des Gymnasialunterrichts. In diese beiden Fächer floß die gesamte „eruditio" der damaligen Zeit ein . Eine Aufglie– derung in andere Fächer kannte man nicht. Eine einzige Ausnahme bil– dete der Katechismusunterricht, der gemäß der Ratio studiorum von jedem Lehrer allwöchentlich eine halbe Stunde zu halten war und in 81

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