Steyrer Tagebuch Nummer 18, Februar/März 1984

5 ,, ... daß sich niemand als zu gut betrachtet für die Politik" Alt-Bundeskanzler Dr. Bruno Kreis k y hat bei verschiedenen ,' Aufent- halten in Steyr auch seine Erinnerungen an das Elend in unserer Stadt in den Dreissiger - Jahren erwähnt. Reinhard Kaufmann und Karl Pragerstorfer • sprachen darüber mit dem Steyrer Ehrenbürger in seiner Wiener Wohnung. TB : Herr Dr. Kreisky, Sie ha– ben bei Ihren Besuchen in Steyr auf Ihre Erinnerungen an Erlebnisse in den 30er Jahren hier Bezug genommen. KREISKY : Ich hab' nicht so viel erlebt . Der An– fang war das Jugendtreffen in Steyr. Das war 1930, glaub' ich. Das wird Bürgermeister Weiß genauer wissen . Es gibt aber ein paar andere auch noch. Meinem Bruder ist dort am Sportplatz eine 7 1/2-Kilo Kugel auf den Kopf gefallen. Er ist ein paar Wochen im Spital gelegen und ich hab' diese Zeit bei ihm in Steyr verbracht. Da hab' ich natür– lich nähere Beziehungen zur Jugendorganisation in Steyr bekommen. Es war eine hervor– ragende Jugendgruppe, die eine sehr intensive Bildungs– und Schulungsarbeit leistete; alles, wie Fellinger, junge Leute meines Alters, die sehr interessiert waren. TB: In Ihrer Rede zur Eröff– nung des BMW-Motorenwerks haben Sie an das Elend erin- nert. KREISKY: Steyr war damals jene Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Österreich . Deshalb haben wir das Jugendtreffen dort veran– staltet. Bürgermeister Si– chelrader galt als der Inbe– griff des politischen Wider- um Ennsleiten hat das ge- heißen, da über der Enns . Jedenfalls ist die Stadt Steyr der Inbegriff des pro– letarischen Elends einerseits und des proletarischen Wider– standsgeistes andererseits gewesen. TB: Was hat man damals wirt– schaftspolitisch gesagt? KREISKY: Nichts, nichts, nichts. Wir hatten schon vor 1934 eine sehr kon– servative Regierung, die in den Ministerratssitzungen meistens beschlossen hat, zehntausende Arbeitslose aus– zusteuern. Arbeitsbeschaf– fungsmäßig hat man fast nichts gemacht - die Höhen– strasse in Wien und die Glocknerstrasse wurden ge– baut. Das war also wirklich kein Arbeitsbeschaffungspro– gramm. Der Schilling, der sogenann– te 'Alpendollar', war von einer einzigartigen Festig– keit und Härte. Das hat nicht ausgeschlossen, daß es dane– ben auch furchtbares Elend gegeben hat. Das ähnelt ein bißl der jetzigen Situation standsgeistes. Er hat sich in Amerika - auf der einen dann nicht ganz so bewährt 1n Seite ein sehr harter Dollar, allen Phasen, glaub' ich. . auf der anderen Seite riesi- Aber damals war er die große ges Massenelend. Figur in Steyr. Die Sozialdemokratische Par- Das Elend war unbeschreiblich tei hat Programme entwickelt, Es hat fast niemand gegeben, von denen sie behauptete, sie der Arbeit hatte in Steyr. könnten einige lo.ooo Arbeits Das ganze hat dann seinen plätze schaffen. Aber das hat Höhepunkt in den Kämpfen ge- keinen Sinn gehabt, weil die funden, die mit der Bevölke- Regierung nicht bereit war, rung in Steyr geführt worden auf sozialdemokratische Vor– sind. Starhemberg ist dann so schläge einzugehen. Man hat zusagen hoch zu Roß in Steyr, sich damals auf den Konjunk- eingezogen nach den Kämpfen turzyklus verlassen, hat sich

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