Steyrer Tagebuch Nummer 13, Sommer 1983

Während dieses 10tägigen Workshops, der .durch den Versuch der Herstellung eines vermittelnden und gegenseitig akzeptierenden Kl imas gekenn– ze ichnet war, begannen die Teilnehmer allmählich aufeinander zu hören, dann nach und nach sich auch gegenseitig zu verstehen und zu respekt ieren. Die große Gruppe wurde Schritt für Schritt in jeder Hinsicht eine harmonische Gemeinschaft. Nicht eine Gemeinschaft, in der alle Ansichten ähnlich waren , ganz bestimmt nicht, aber eine Gemein– schaft, in der die einzelnen mit ihreri unterschied– lichen Ansichten und Überzeugungen einander ver– standen und in der die einzelnen Menschen mit all ihrer Verschiedenheit gewürdigt und respektiert wurden. Die einzelnen wurden ermutigt, mehr Ri– siken bei der persönlichen Entwicklung in Kauf zu nehmen und konstruktive soziale Handlungen durchzuführen. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen darf man wohl folgendes feststellen: Wenn miteinander zer– strittene Parteien bereit sind , sich im gleichen Raum zu treffen und bereit sind, wirklich zueinan– der zu sprechen, dann können ein allmählich wach– sendes gegenseitiges Verständnis und mehr kon– struktive gemeinsame Handlungen fast immer er– wartet werden; die Voraussetzung hierfür ist aller– dings, daß geübte Moderatoren bzw. Vermittler an– wesend sind, die den Ausdruck der verschiedenarti– gen, feindseligen und ängstlichen Haltungen und Einstellungen verstehen und akzeptieren. Die Internationale Ebene Viel leicht denken Sie jetzt, daß all dies ganz gut in Konferenzen und gesprächswilligen Gruppen ange– wendet werden kann, daß aber eine solche Vorge– hensweise nicht auf internationale Auseinander- •· setzungen angewandt werden kann, wo wir es doch mi t großen pol itischen Systemen zu tun haben. In diesem Zusammenhang möchte ich unsere Auf– merksamkeit auf die Erfahrungen um Camp Da– vid lenken. Ich weiß nicht, ob Präsident Carter irgendeinen psychologischen Ratgeber hatte, aber die Camp David-Sitzungen hatten manche Züge in– tensiver Gruppenerfahrungen, so wie ich sie be– schrieben habe, und auch einige der Ergebnisse waren sehr ähnlich. Vor allen Dingen lief alles in– formell. .Es gab kein Protokoll, kein Bestehen auf bestimmten Ritualen, keine . förmlichen Beklei – dungsvorschriften. Die leitenden Persönlichkeiten besonders, aber auch bis zu einem gewissen Grade ihr Personal, begegneten sich einfach als Menschen. Zweitens waren da auch eine ganze Menge an Be- mühungen .um Vermittlung und Ausgleich . Ziem- 1 ich zu Beginn hörte Carter in einer sehr spannungs– geladenen und feindseligen Sitzung Sadat und Be– gin einfach zu. Dann zum Schluß der Sitzung faßte er, so wie es ein Vermittler getan haben würde, die Forderungen der beiden Kontrahenten nochmals zusammen. Der Unterschied war, daß er diese For– derungen klärend in einer ruhigen und verständnis– vollen Weise hervorheben konnte, während sie ur– sprüngl ich in sehr emotionaler Weise vorgetragen worden waren. Bei anderer Gelegenheit, als die Feindseligkeiten zwischen Sadat und Begin auf dem Höhepunkt waren, betätigt sich Carter als Ver– mittler, der Botschaften solange hin- und her– brachte, _bis die beiden einwilligten, sich wieder persönlich zu treffen. (Dayan, 1981) Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt bestand darin, daß die Konferenz in einer selbstbestimmten und pri vaten Atmosphäre stattfand. Es gab keine Zu– schauer. Keine Vertreter der Med ien waren zugelas– sen. Folglich war es nicht notwendig, für die Welt eine nach außen hin sichtbare Fassade zu errichten. Es war auch möglich, probeweise einmal neue Ge– danken zu äußern, ohne auf diese Gedanken fest– genagelt zu werden. Sie konnten einfach wie Men– schen zusammen reden. Eine andere Ähnlichkeit mit sonstiger intensiver Gruppenerfahrung bestand in dem „Druckkessel– Effekt" (..Pressure Cooker" Aspect). Zwölf Tage lang mußten diese Männer ständig miteinander um– gehen. Wenn man in längerem persönlichen Kon– takt mit jemandem umgehen muß, der ganz und gar andere Meinungen als man selbst ·hat und wenn dann auch noch eine Person anwesend ist, die als Vermittler bzw. Schlichter agieren kann, so führt das fast zwangsläufig zu einem besseren gegenseiti– gen Verständnis und zu größerer Akzeptierung der Standpunkte des anderen. Obwohl Präsident Carter alles andere als neutral war und manchmal mehr als Überzeuger bzw. .,Überreder" tätig war, hat er doch ganz und gar eine vermittelnde Funktion wahrgenommen. Zunächst gab es zwei bemerkenswerte Ergebnisse. Erstens waren diese beiden Staatsmänner, die zu Beginn ganz und gar gegensätzliche Ansichten hat– ten, in der Lage, ein größeres Abkommen über kon– struktive weitere Schritte zu schließen. Das zweite Ergebnis ist wirk lich höchst erstaunlich. Begin und Sadat waren sich zu Beginn der Konferenz gegen– seitig wirklich höchst feindselig gesonnen. Am Ende der ·zwölf Tage fühlten sie eine so große gegenseitige Sympathie, daß sie sich vor dem öf– fentlichen Fernsehen umarmten. Das scheint mir _der schlüssige Beweis zu sein, daß dieselben Pro– zesse, die in Workshop-Gruppen ablaufen, auch zwischen Staatsmännern möglich sind. Sicherlich gab es da auch Mängel. Zu nennen wäre die unzu– reichende Einbeziehung des gesamten Personals in den lnteraktionsprozeß. Man hat wohl auch nicht an das übl iche „ Wieder-Zuhause-Problem" (,,back home" problem) gedacht, in dessen Verlauf dem Teil nehmer plötzlich deutlich wird, wie weit er sich von seinem ursprünglichen Standpunkt auf eine Kompromißposition hin bewegt hat . Es gab noch andere Mängel, aber Camp David markiert einen neuen Versuch internationaler Verhand lun– gen. Es bestätigt die Möglichkeiten intensiver Grup– penerfahrungen. Es stel lt ein Modell dar, das be– nutzt und weiterentwickelt werden sollte. Anwendungsmöglichkeiten in der atomaren Situation Eröffnet dieser Prozeß der Kommun ikation und des wachsenden gegenseit igen Verständn isses irgendwelche Handlungsmöglichkeiten im Zeitalter internationaler atomarer Spannungszustände? Ich glaube ja. Dazu möchte ich ·zunächst den allgemei– neren psychologischen Zusammenha ng erläutern und mich dann spezielleren Möglichkeiten zuwen– den. In den Völkern wächst der Friedenswille. In Eu– ropa haben Millionen Menschen gefordert, die Auf– stellung atomarer Raketen zu beenden. Diese Be– wegung beginnt ihre Stärke zu fühlen. Während ich dieses schreibe, kommen Nachrichten über eine Wahl in Westdeutschland, deren Ergebnis auch von der Anti-Atomkriegs-Bewegung beeinflußt worden ist. Die US-Regierung versucht das zu diskriminie– ren, indem sie behauptet, die Bewegung sei kom– munistisch unterwandert. Aber es stellt eine Bestä– tigung ihrer Macht dar. In den Vereinigten Staaten beginnen sich die Mil– lionen gerade zu besinnen und zu bewegen. Eine Gallup-Umfrage im Juni 1981 zeigte auf, daß 72 % der amerikanischen Öffentlichkeit den Wunsch äußerten, die USA und die UdSSR sollten den Bau atomarer Waffen stoppen. Dies ist eine große Un– terstützung für ein gegenseitiges Einfrieren des Potentials an nuklearen Waffen. Ein Vorschlag, daß beide Nationen „das Testen, Produzieren und die weitere Entwicklung aller Kernwatten in einer kon– trollierbaren und von beiden Seiten eindeutig beob– achtbaren Weise beenden sollten." Und in Rußland? Wir haben da nur dürftige Infor– mationen, aber Rußland verlor zwanzig Millionen Tote und dieselbe Anzah l Verletzte im zweiten Weltkrieg. Der Schrecken des Krieges ist der russi– s~hen Bevölkerung vielleicht noch stärker ins Be– wußtsein gekommen als unserer. Zwei russische Dissidenten haben uns ein Bild der gegenwärtigen Einstellungen ihrer Landsleute gezeichnet. (Med· vedev & Medvedev, 1982) Glaubt man diesen Auto– ren, dann leben die Menschen in einer großen und verständlichen Angst vor den Verein igten Staaten. Sie haben besondere Angst vor einem ersten nukle– aren Schlag der Amerikaner. Es gibt also gute Gründe zu glauben, daß viele Mil – lionen Menschen in beiden Ländern den starken Wunsch nach Frieden haben. Wenn dieser Wunsch durch die Massen nur deutlich genug arti kuliert wird , dann kann dadurch der verhängnisvolle Kurs der beiden Reg ierungen gestoppt werden . In unse– rem Land ist das bereits einmal offenkundig gewor – den. Es war ein breiter öffentlicher Protest, der schl ießlich den Vietnam-Krieg beendet hat. Was wi r brauchen, ist eine große Volksbewegung , um diese Schritt-für-Schritt· Eskalation hin auf einen nuklearen Krieg zu verhindern . Präsident Dwight Eisenhower, nicht gerade ein feuriger Rad i– kaler, formu lierte vor vielen Jahren einmal sehr gut: ..Eines Tages wird die Forderung nach Abrü– stung durch Hunderte von Millionen gestellt wer– den, wi rd , so hoffe ich, weltwe it und unüberhör– bar werden, so daß kein einzelner, kein Volk dem widerstehen kann. Wir müssen Hunderte von Mil– lionen mobilisieren; w ir müssen ihnen ihre Wahl – möglichkeiten aufzeigen. Wir müssen vor allen Din– gen den jungen Leuten klar .machen , daß sie nicht die Opfer eines dritten Weltkrieges zu sein brau– chen." Jene Mil lionen, von denen Eisenhower sprach, be– ginnen sich zu bewegen, verlangen Gehör. Diese Bewegung sol lte zwei Ziele haben : Zum einen sollten die atomare Aufrüstung und die Be– drohungen durch atomare Waffen b'eendet werden , zum anderen sollten unverzüglich Friedensbemü– hungen eingeleitet werden. Die Notwendigkeit die- ,,Es gibt also gute Gründe zu glauben, daß viele Millionen Menschen in den USA und in der UdSSR den starken Wunsch nach Frieden haben. Wenn dieser Wunsch durch die Massen nur deutlich genug artikuliert wird, dann kann da– durch der verhängnisvolle Kurs der beiden Regierungen gestoppt werden. / N -

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2