Chronik der Stadt Reichenau

Wie die Germanen die Eiche verehrten, so war die Linde der Lieblings¬ baum der Tschechen. Das tschechische Heidentum war für die römische Kirche jedenfalls nicht von so hoher Bedeutung wie der germanische Götterkult, da von ihm keiner¬ lei Feste in den Christenglauben ausgenommen wurden. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß das Christentum bei den Germanen früher Eingang fand als bei den Tschechen. Schwarzecker berichtet eine überlieferung, welche noch heute vielfach im Volke verbreitet ist und von der sich eine Abschrift bei der Familie Seiboth Mühljörge) befindet. Nach dieser Sage soll sich ein aus den Kreuzzügen heimkehrender Kriegsmann in dem hiesigen Urwald verirrt und an der Stelle, wo bis zum Jahre 1711 die alte Holzkirche stand und heute noch ein handgeschmiedetes Eisenkreuz auf einem Steinsockel steht, eine verlassene Ka¬ pelle mit Kreuz und Glocke gefunden haben und in der näheren Umgebung einige ebenfalls verlassene Holzhütten. Der Krieger soll in der Kapelle über¬ nachtet haben und in der Nacht durch ein klirrendes Geräusch aus dem Schlafe erwacht sein. Bei Tagesanbruch fand er vor einem Mauseloche her¬ ausgescharrte Gold= und Silbermünzen. Bei näherem Suchen habe er in der morschen Holzwand einen Schatz von Gold= und Silbersachen gefunden. Da der Kriegsmann heimatlos, ohne Weib und Kind war, habe er be¬ schlossen, sich an der Stelle seines Glückes für immer niederzulassen. Von weit hinter den Bergen soll er Deutsche aus Schlesien geholt haben. Nach¬ dem die Leute die verlassenen Hütten zum Bewohnen ausgebessert hatten, sei als erster Neubau eine Kirche in Angriff genommen worden. Es ist somit die Möglichkeit vorhanden, daß diese Kirche bei der damals besseren Haltbarkeit des urwüchsigen Holzes bis zu ihrer Abtragung im Jahre 1711 gestanden hat, da keine Chronik aus dieser Zeit über den Bau einer Kirche in Reichenau berichtet und der Verfasser trotz aller Nachfor¬ Bei allen Kirchen chung keinen Anhaltspunkt darüber ermitteln konnte. der weiteren Umgebung sind die Jahre der Erbauung ziemlich genau ange¬ führt, nur über den Bau unserer ersten Kirche schwebt tiefes Dunkel und ist die Annahme der Erbauung der Kirche durch den Kreuzfahrer die einzig glaubwürdige Vermutung. Wie P. Frind in seiner „Kirchegeschichte“ schreibt, sollen viele Christen vor der Verfolgung der Herzogin Drahomira in die Wälder der Gebirge geflüchtet sein und es wäre möglich, daß diese Flüchtlinge bis in unsere Ge¬ gend vorgedrungen sind und die von dem Kreuzfahrer aufgefundene Kapelle und Holzhütten von ihnen bei ihrer Rückkehr nach dem Flachlande zurück¬ geblieben sind. Auch in diesem Punkte würde die Zeit der Gründung übereinstimmen, da die Kreuzzüge im Jahre 1096 ihren Anfang nahmen und der zurückkeh¬ rende Kriegsmann wohl mehrere Jahre zu seiner Heimkehr benötigte und die Auffindung der Kapelle und die Besiedlung des Ortes durch deutsche Kolonisten in den Anfang des 12. Jahrhunderts fallen dürfte Auch der Proschwitzer Müllermeister Jäger berichtet in seiner Dorfchro¬ nik eine ähnliche Sage von Reichenau, nur ist der Zeitpunkt erst nach den Hussitenkriegen angegeben. Diese Zeitangabe widerspricht sich von selbst, da a Reichenau schon lange vor den Hussitenkriegen eine größere Ortschaft mit eigener Seelsorge war und die bestehenden Gebäude in wenigen Jahren nicht von der Bildfläche verschwinden konnten. Wiewohl in jeder auf uns vererbten Sage ein Körnchen Wahrheit zu Grunde liegt, können auch in den von Schwarzecker und Jäger verzeichneten überlieferungen wirklich geschicht¬ liche Begebenheiten enthalten sein, umsomehr, als Reichenau im Jahre 1147 43

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2