Linzer Tages-Post vom 6. August 1905

Nr. 32 » Jahrgang M5. Sonntag, 6. August. Unterhaltungsbeilage — - Nachdruck sämtlicher Artikel verboten. Die Stadkpfarrkirche in Steyr. Von Josef Harter (Hleyr). (Mit zehn Abbildungen nach Aufnahmen von E. Pcietzel in Stehr.) (Schluß.) ^km Jänner 1599 wurde die Stadtpfarrkirche gesperrt, die protestantischen Prediger zogen mit Weib und Kind bei grimmiger Kälte und unter allgemeiner Trauer der Bürgerschaft ab. Am 21. Februar gleichen Jahres wurde die Kirche neu eingeweiht und von da ab wieder katholischer Gottesdienst ge ­ halten. Bei den kirchlichen Funktionen mußten auf Anordnung des Landeshauptmannes zwei Kommisfäre anwesend sein, dennoch kam es öfter zu ärgerlichen Auftritten, wobei ein solcher am Osterdienstag leicht von gewalttätigen Folgen hätte begleitet sein können, der deutlich zeigte, daß die Bürger der neuen Lehre noch nicht entsagt hatten. Zwischen Kaiser Rudolf und seinem Bruder Matthias war ein Streit ausgebrochen; letzterer erteilte den Ungarn Religionsfreiheit, worauf Oesterreich das gleiche Ansuchen stellte, aber nicht erst auf die Einwilligung wartete. Stehr öffnete eigenmächtig neuerdings dem Protestan ­ tismus die Tore der Stadtpfarrkirche und er ­ richtete abermals das Gymnasium. Obwohl der Garstener Abt bemüht war, dies zu ver ­ hindern und Beschwerde führte, konnte er keinerlei Zugeständnisfe erhalten, denn am 19. März 1609 genehmigte Matthias auch für Oesterreich freie Religionsübung. Den rast ­ losen Bemühungen des Abtes Antonius II. gelang es, am 29. Juli 1616 die Bruder ­ hauskirche und am 9. September 1617 die Spitalskirche für den katholischen Gottesdienst wieder zu gewinnen, trotzdem um selbe Zeit nur achtzehn katholische Familien in Steyr ansässig waren. Am 23. Mai 1618 begann in Prag jener unheilbringende Krieg, der ganz Europa in seinen Grundfesten erschütterte und mit ihm erlosch Steyrs Glanz und Ansehen. Kaiser Ferdinand II. nahm nach Kräften die Gegen ­ reformation in seinen Erbländern vor. Am 1. Oktober 1624 wurde eine Reformations ­ kommission zu Linz eingesetzt, die am neunten Tage bereits in Steyr eintraf und auch in den folgenden zwei Jahren des öfteren dahin zrr Untersuchung kam. Die protestantischen Prediger und Lehrer mußten die Stadt ver ­ lassen. Der Magistrat wurde mit Katholiken besetzt, aber die katholische Bevölkerung war auf sechzehn Familien zusammengeschmolzen, die nur arme Handwerker waren. Die Bürger konnten wählen, entweder katholisch zu werden oder auszuwandern. Alles wurde daher weg ­ genommen und verbrannt, was an die neue Lehre erinnerte, sowie sämtliche sektischen Bücher mußten abgeliefert werden, wobei aus Steyr zwanzig Wagen voll weggesührt wurden. Die Einwohner wurden mit Gewalt gezwungen, dem katholischen Gottesdienste in der Stadt ­ pfarrkirche beizuwohnen, auch dursten die Handwerker ohne ausdrückliche Bewilligung des Bürgermeisters und ohne Anwesenheit eines Kommissärs keine Zusammenkünfte ver- anstalten. Nicht minder wurde das Fastengebot mit aller Strenge eingeschärft, die Zünfte mußten sich Fahnen für das Fronleichnamsfest anschaffen, von denen noch heute einige bei der Prozession mitgetragen werden. April 1627 war die letzte Frist; alle Bürger sollten zum alten Glauben zurückgekehrt oder ausgewandert sein, zuvor noch alle Steuern und das Freigeld erlegt haben. Um diesen kaiserlichen Befehl zu vereiteln, forderte der protestantische Steyrer Stadtrichter Wolfgang Madlseder den Bauernanführer Stephan Fadinger heimlich auf, mit seinen Bauern gegen Steyr vorzurücken, wo er am 31. Mai 1626 seinen Einzug hielt und sich im Rathause von den Bürgern huldigen ließ. Die Katholiken mit den meisten Priestern waren geflohen und ein protestantischer Prediger erschien zur Freude der Steyrer im Bauernlager. Der Jubel sollte nicht lange dauern. Am 17. August siegten die kaiserlichen Truppen bei Neuhofen und Ebelsberg und am 22. August zog Oberst Löbl vor Steyr, wo die Bauern geflohen waren, nachdem sie das Schloß, die Stadtpfarrkirche, die Klöster der Dominikaner und Kapuziner, sowie jenes von Garsten auf die Kunde vom Anrücken der kaiserlichen Truppen geplündert hatten. Da die Bauern auch ihre eigenen Glaubens ­ genossen arg bedrückten, so waren die Bürger froh, die Bürde abzuschütteln und Übergaben bereitwilligst die Schlüssel der Stadt; die aus 500 Mann bestehende Bauernwache zog rasch ab und die Katholiken kehrten in die Stadt zurück, wobei fortan der Gottesdienst von ihren Priestern gefeiert wurde. Im Mai 1627 verließen die vermöglicheren Bürger die Stadt, weil die zur Glaubensänderung festgesetzte Bedenkzeit mit 9. Juni ablief und ließen sich in Augsburg und Regensburg nieder. Vir Stackpsarrlcjrche in Siepr: 6rsbstew äer SsmMe Suetprot in äer nöräiichen Vorhalle. Als ein Wahrzeichen der religiösen Wirren ragte die Ruine des stolzen Domes Steyrs aus einem Kranze zer ­ fallener Häuser empor. 1628 begann Abt Antonius II. rüstig den Weiterbau, da seit dem 1522 erfolgten Brande wenig oder gar nichts geschehen war. Zuerst trachtete man, alles hinauszuschaffen, was an die Protestanten erinnerte, deren Grabdenkmäler und Epitaphien wurden hinaus ge ­ worfen, ein neues Pflaster gelegt, welches 1898 durch das jetzige ersetzt wurde, und das große, einsache Tonnengewölbe des rückwärtigen Teiles 1630 vollendet. Eine in lateinischer Sprache verfaßte Aufschrift über dem Hauptportale bezeugt dies folgendermaßen: „Oei tsr Oxtimi ^.uspioio, I). I). ^.sAräü, 6olo- irmuui katrooiuio, ^uZustissimi Oassaris esiäiuanäi pistats st muuiüosutia, Vsusrabiiis I'. uo Oui. Hui Xutouii ^kkatis Oarstsusis oura st inckustria, Ksuatus kopuli^n« Kt/reums ^axilio, Lasilisu praessus torniss kos ckouata st tota rsuovuta S8t. ^uuo Verbi iuoar- uuti LIVOXXX." Gegenwärtig ist die Inschrift verschwunden und nur mehr als alte Tradition auf das jetzige Geschlecht gekommen. Die Kirche wurde gereinigt und gemalt. Der rückwärtige Teil weist noch Spuren einer Grisaillemalerei auf, die Reichs ­ adler, Stadtwappen und schweres barockes Rankenwerk ent ­ hielt, bei der 1857 erfolgten Restaurierung jedoch übertüncht wurde. Die wunderbar spätgotischen Chorfenster wurden wegen Aufstellung riesiger Barockaltäre vermauert und der Musikchor um einen konvexen Vorsprung vergrößert. Der kunstgewandte Benediktiner-Frater Marion Rittinger von Garsten verfertigte im Vereine mit dem Bildhauer Peter Thurnier den Hochaltar, für welchen der Garstener Hofmaler Karl von Reselfeld das Altarbild malte, das die Anbetung der heiligen Dreikönige darstellt und auf 1000 Gulden zu stehen kam. Der Laibacher Diözesanpriester Franz Xaver Chrismann, der damals im Rufe eines tüchtigen Orgel ­ bauers stand, baute die Orgel, welche 300 Gulden gekostet haben soll; auch wurde für den Preis von 1070 Gulden eine neue Kanzel angeschafft. Diese Kircheneinrichtungsstücke wurden 1857 bis auf die Orgel entfernt, deren Kasten 1893 das gleiche Geschick teilen mußte, die Pfeifen jedoch sind noch jetzt in Funktion. Nur das Hochaltarbild und die aus Holz geschnitzte Kommunionbank sind erhallen geblieben; sie werden in der Margaretenkapelle, welche in unmittelbare Nähe sich befindet, aufbewahrt, wo sie in bedauernswertester Weise der all ­ gemeinen Besichtigung verschlossen sind. Die Kosten für den Weiterbau wurden teils aus dem Kirchenvermögen, teils durch Legate bestritten, wobei auch die Hälfte jener 6000 Gulden mitverwendet wurde, welche infolge der protestantischen Kirchenverwaltung wieder zu ersetzen waren. Auch Kaiser Ferdi ­ nand bedachte den Bau mit einer Spende von 3000 Gulden, das Kloster Garsten und die Steyrer Bürgerschaft spendeten Geld und Materialien. Außerdem wurde die ebenfalls durch den Brand zerstörte Margaretenkapelle wieder hergestellt und der Bau eines Pfarr- Hofes auf den Ruinen des allen begonnen, der aber bald aus Geldmangel ins Stocken geriet, bis Abt Anselm Angerer I. den Magistrat bewog, ihn auszubauen. 1687 wurde er nach den Plänen des italienischen Baumeisters Marx vollendet. 1688 fand die feierliche Uebertragung der Reliquien der Märtyrerin Kvlumba von Garsten in die Stadtpfarrkirche statt; ein altertümliches Gemälde im Stadt ­ museum schildert den Pomp der Prozession. Zwei Jahre später stiftete Freiherr von Riesenfels die Zügenglocke, welche bei dem Turmbrande 1876 schmolz. Um selbe Zeit konsekrierte Abt Anselm I. mehrere Seiten- altäre und den Altar in der Margareten ­ kapelle, für welchen Reselfeld das die vierzehn Nothelfer darstellende Altarbild malle, das heute durch ungeschickte Restaurierung voll ­ ständig zur Ruine geworden ist. Von dieser Zeit an verschwindet die Stadt ­ pfarrkirche aus der Geschichte, bis man, des barocken Stiles müde, anfing, die klassisch schönen Formen der Gotik wieder zu schätzen. 1857 ging man zur ernstlichen Restau ­ rierung, die sich anfangs auf den Chor be ­ schränkte, später sehr maßvoll auf weitere Partien vorrückte. Die sieben vermauerten Chorfenster wurden ausgebrochen und die beschädigten Maß ­ werke ergänzt. Die barocken Altäre wurden hinausgeschafft und der Hochaltar durch einen stilgerechten vom Münchener Bildhauer Fidelis Schönlaub ersetzt. Das Entsetzlichste, was die Neuzeit der Stadtpfarrkirche gegeben hat, ist der neue Orgelkasten. Die Stadtpfarrkirche erinnert auffallend an den Stephans ­ dom zu Wien; die gleiche Anzahl der Gewölbefelder des Schiffes, die Detailbildung des Innern und ein ziemlich gleicher Chorabschluß. Die Verhältnisse der dreischiffigen Hallenkirche find edel, ihre innere Länge beträgt 55 Meter, ihre Breite 23 Meter, was der Höhe der Seitenschiffe entspricht, während das Mittelschiff uni einen Meter höher ist. Aus diesen Maßangaben geht hervor, daß die Stadtpfarrkirche zu Steyr zwei Drittel des Stephansdomes zu Wien ist. Zwölf reichgegliederte Bündelpfeiler, welche genau denen von Sankt Stephan entsprechen, tragen auf ihren Schultern das reiche Netzgewölbe, wobei jene, welche das Chor von dem Schiffe trennen, durch besondere Stärke und breite Quergurten erkenntlich sind. Hier war ein Lettner projektiert, der jedoch nicht zur Ausführung gelangte. Die an der Südseite angelegte Stiege, welche auf den Dachboden führt, sollte zugleich zum Lettner führen, was auch in dem Originalplane durch einen angedeuteten Uebergang ersichtlich ist. Die vorderen schlanken Chorpfeiler find mit vier reich gegliederten Baldachinen ge ­ ziert, während jene im Schiffe, deren Widerlager mit schweren Kämpfergefimsen versehen wurden, um das neue Gewölbe darauf zu setzen, nur im Hauptschiffe gegen die Eingangsseite

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