Linzer Tages-Post vom 6. August 1905

ungemütlich über die Bootswände, so daß wir umkehren mußten. Gern sieht man den Möven zu, wie sie auf die Fische Jagd machen, wie sie mit heiserem Geschrei ihre Kreise ziehen und dann plötzlich herabstürzen. Von Ausflügen sind vornehmlich drei zu nennen: nach Barbana, einem Wallfahrtsorte, nach Pirano und nach Aquileja. Die Bootfahrt nach Barbana bietet prächtige Blicke auf die blaßblauen Höhenzüge der Alpen mit ihren weißen Geröllfäden. Ein eigenartiger blauer Dunst liegt über dem Wasser und über der öden Lagunenlandschast. Ruinenhaft aussehende Fischerhütten, von niedrigen Tama ­ risken übergrünt, grüßen dort und da herüber. Die Fahrt gleicht der in den Donauauen, nur daß statt der Gebüsche auf den Inseln Gras wächst. Barbana scheint in einem kleinen Gehölze gelegen zu sein. Die Bäume: Eschen, Eichen, Oleander, Lorbeerbüsche, Pappeln, Platanen, Akazien, Maul- beerbäume überraschen angenehm in dieser sonst baumlosen Gegend. Das Portal der Kirche, welches mit den Köpfen der einstigen Patriarchen von Aquileja geschmückt ist, trägt die Aufschrift: „lÄn tat äs louZs vsräsut." Am altars xrivi- IsZato (einem mit besonderen Rechten ausgestatteten Altare) ist ein verhülltes Muttergottesbild. In der Kirche find zahl- reiche Votivtafeln. Das Gnadenbild wurde während einer Ueberschwemmung auf einem Baum gefunden (im Jahre 582 s?j). Von diesem Baume sind noch Reste vorhanden. Das Mutter ­ gottesbild wird hauptsächlich bei pest ­ artigen Krankheiten, auch bei der Rinderpest, von Hilfe suchenden Wall ­ fahrern aufgesucht. Die Rückfahrt war herrlich; schilf- grün schimmerte das Meer in selt ­ samen Uebergängen zum Blau. Ein langer, goldiger Streifen glänzte auf der Flut. Dort, wo die Sonne sich spiegelte, war alles flüssiges Gold. Um die Sonne braute ein goldiger Nebel. Langsam verschwand sie hinter einer grauen Wolkenbank. Ties auf rauschten die Wellen in schmeichelnden Lauten. — Die sechzehn Seemeilen nach Pirano legt das Dampfschiff in 1' , Stunden zurück; auf halbem Wege kommt die braune, dürftig mit Wald bewachsene Felsenküste Jstriens in Sicht. Wir nähern uns mehr und mehr Pirano mit seinen grauen, weißen Mauern und Häusern und Felsen mit der Kirche; das ganze Stadtbild über ­ ragt von dunklen, bewaldeten Höhen. Hoch oben thront das Kastell mit grünen Ecktürmen in einem Olivenhain. Süd ­ lich von Pirano liegt die Bucht Ponte Rose mit Hügelumrahmung: Wein ­ gärten, Obstgärten und Landhäuser an den Hängen. Die Küste senkt sich auf der Südseite der Bucht ganz allmählich zum Meere herab. Der kleine Hafen von Pirano ist von zahlreichen Segelschiffen angefüllt. Pirano ist ein freundlicher Ort mit einem hübschen Platze, den das Denkmal des italienischen Komponisten Giuseppe Tartini schmückt. Der Dom, eine einschiffige Basilika, mit schönen Fresken, guter Orgel und einem mächtigen Campanile, ist hoch gelegen. Von der Terrasse erschließt sich ein großartiger Blick auf das Meer und die Küste. An das efeuumrankte Kastell sind Villen angebaut. Es ist zum Teile noch instand gehalten. Einstens schützte es Pirano gegen die Landseite; einzelne Häuser der Stadt haben Prächtige Erker und gotische Bogenfenster: ganz venezianisch. Einen ungemein zierlichen Eindruck macht der prächtige Leucht ­ turm, eine wahrhaftige Filigranarbeit. Bei der Ausfahrt hängt sich die liebe Straßenjugend, so lange es geht, an die Schiffs ­ wände. Gegen Trieft zu steigen mächtige Rauchwolken aus den Hochöfen auf. Der Rückblick auf rosig angehauchte Höhen war reizend. Auf dem Schiffe trug ein italienischer Sänger mit einem ungeheuren Auswande des hier landesüblichen Pathos einige Lieder vor, um der Reisegesellschaft die Rück ­ fahrt zu verkürzen. Die Fahrt nach Aquileja (14 stoa) wird in kleinen, moucheartigen Dampfern gemacht. Im Hafen war gerade ein Torpedoboot angekommen, das von allen angestaunt wurde. Die Fahrt durch die Lagunen bildet eine Schlangen ­ linie. Ein einsamer Turm kommt in Sicht, der Campanile di San Jsidoro. Diese Lagunen bieten eine einschläfernde, sommerschwüle Landschaft. Nur hie und da ein dürftiges Strauchwerk. Eine bleierne Hitze brütet über der jedes Reizes baren Gegend. Nur die vielen Möven mit ihrem schwerfälligen, schwermütigen Fluge beleben sie in etwas. Die höchste Bodenerhebung beträgt 4 bis 5 m. Zahlreiche, malerische, zeltförmige Fischerhütten, die mit Schilf bedeckt sind, kommen in Sicht. Je mehr wir uns Aquileja nähern, desto mehr Strauchwerk wird sichtbar. Der Anblick grüner Bäume wirkt wie eine Erlösung. Zuletzt fährt man in einem aus der Römerzeit stammenden Kanal dahin, der nicht viel größer ist, als bei uns ein Mühlbach. Das muster ­ gültig geordnete Museum von Aquileja liegt in einem schönen Garten von Zypressen, Pinien, Lärchen usw. Es enthält Viele vollkommene, äußerst lehrreiche Gräberfunde, eine groß ­ artige Münzensammlung, eine im Garten ringsherum laufende Galerie mit zahlreichen Sarkophagen, Bildwerken usw.: alles Reste einer großen, längst dahingeschwundenen Zeit. Aquileja soll einstens eine halbe Million Einwohner gezählt haben. Die Kirche, eine sehr alte Basilika, birgt Mosaike aus dem vierten Jahrhundert. In der Krypta ist der Sarkophag des heiligen Hermagoras. Oa slässa äsi xaZaui (die Heiden ­ kirche) hat ein schönes Taufbecken. Im Gasthause, wo wir ein- kehrten, unterhielt sich einer von unserer Gesellschast damit, den Gassenjungen mit ihren zerrissenen Hosen Kreuzer zuzuwerfen, um die sie sich unter Entfaltung großartiger Findigkeit nach Herzenslust balgten. Bald kamen immer mehr herzu, und hätten wir nicht abfahren müssen, so wäre in kurzem die ganze Straßenjugend von Aquileja hier versammelt gewesen. Auf der Rückfahrt nach Grado hatten wir ein Gewitter. Nach einem Aufenthalte von vierzehn Tagen in Grado, wo ich so vieles Schöne sah und in so angenehmer Ge ­ sellschaft weilte, war ich doch wieder froh, als ich meinen Rucksack packte und den lieben Bergen zustrebte. Mir war zumute wie einem Karpfen, der sich aus einem abgestandenen Teiche in ein frisches Quellwasser sehnt. Das Glückslos. Line wahre Geschichte von Alfred Trrutlrr. Nun waren es schon fünf Jahre, daß Therese Birkner in der Kreisstadt ihre schwere Stellung als Stütze bei der Frau Landrat aussüllte. Sie hatte in all diesen Jahren nichts kennen gelernt als arbeiten und hie und da einmal einen freien Nachmittag, wie ihn jedes Dienstmädchen be ­ kommt. Gerade deshalb aber war ihre Sehnsucht nach Salrburg vom kapurinerberg. Glanz und Pracht so hoch gestiegen, daß sie manchmal meinte, an derselben ersticken zu müssen. Jedesmal, wenn ein Diner oder ein Ball in dem land- rätlichen Hause stattfand, saß sie in ihrem Zimmerchen, hörte von fern die Musik, sah von dem Fenster aus die glänzenden Equipagen vorfahren und vergoß manche bittere Träne dabei. War es denn auch nicht zu schwer, immer nur von fern den Gastmählern des Lebens zusehen zu müssen, wenn man so jung und so frisch und so — hübsch war wie Therese Birkner? Was hätte sie darum gegeben, auch einmal in seidener Toilette den strahlenden Lichterglanz genießen zu können, was die anderen wie etwas Selbst ­ verständliches Hinnahmen! Von ihrem kärglichen Gehalt konnte sie kaum ihre mehr als bescheidene Kleidung bestreiten, viel weniger sich irgend ­ einen Luxus gönnen. Deshalb hatte sie sich vor einiger Zeit — sreilich nur, indem sie dafür selbst kleine Entbehrungen sich auferlegte — ein Lotterielos gekauft. Es war eine von jenen Lotterien, bei denen die Gewinnste spärlich gesät, dafür aber auch die Einsätze bescheiden find. Zuweilen lag Therese mit offenen Augen in ihrem schmalen Bettchen und träumte davon, was sie alles anstellen und sich gönnen würde, wenn Fortuna die unbegreifliche Gnade haben sollte, gerade ihr, den armen, kleinen Mädchen einen Gewinn in den Schoß zu werfen. Wieder war eine Ziehung gewesen und gerade an diesem Tage erklärte die Frau Landrat ihrer Stütze, diese müsse für sie nach der Residenz fahren, um einige notwendige Ein ­ käufe zu machen. Es war nicht das erste Mal, daß Therese auf eine solche kleine Reise geschickt wurde und jedesmal waren ihr die wenigen Tage wie ein wahrer Lichtblick in ihrem trübseligen Dasein erschienen. So strahlten auch jetzt ihre blauen Augen dankbare Freude aus, als sie ihr Köfferchen packte und seelensvergnügt nach der Hauptstadt fuhr. Sie stieg in dem sehr billigen Gast ­ hause ab, daß ihr von der fürsorglichen Frau Landrat zu diesem Zwecke angewiesen war und machte sich auf den Weg. Zwischen zweien ihrer Besorgungen konnte sie bequem einen Abstecher zu dem Kollekteur machen, von dem sie ihr Los bezogen. Wie kam es nur, daß ihr Herz so stürmisch klopfte und ihr Schritt fast unsicher wurde, als sie in den Laden eintrat? „Ich wollte fragen," begann sie in ihrer sehr schüchternen Art, „ob vielleicht mein Los — ich habe es hier — etwas gewonnen hat?" Der Kollekteur sah flüchtig die Nummer an, stutzte dann und begann in seinen Büchern zu blättern. „In der Tat," murmelte er, „ich glaube fast ... dies ­ mal haben Sie etwas ..." Therese setzte sich geschwind auf den Stuhl am Laden- lisch. War es denn möglich? Sollte sie wirklich etwas ge ­ wonnen haben? Der Herr zögerte noch ein Weilchen, blätterte hin und blätterte her und erklärte ihr endlich: „Wahrhaftig, Sie haben tausend Mark gewonnen!" „Tau — send Mark?" stotterte Therese. „Jawohl," sagte der Kollekteur jetzt eiliger. „Gestatten Sie, daß ich sie Ihnen sofort auszahle". Er steckte das Los zu sich und brächte zehn wunder ­ schöne neue Hundertmarkscheine herbei, die er Therese lächelnd überreichte. Das junge Mädchen verließ den Laden fast taumelnd vor Glück. Tausend Mark! Das war ja ein Vermögen! Damit konnte sie all ihre Träume und Wünsche erfüllen! Ja, wahrhaftig, das wollte sie nun aber auch sofort tun! Sie eilte in den nächsten Laden, der schöne Blusen, Schleier und dergleichen enthielt, und kaufte sich einige von diesen Herrlichkeiten. Mit einer wahren Wonne wechselte sie den ersten Hundertmarkschein, den sie freilich mit einer Miene hinschob, als gehöre er ihr nicht von rechtswegen — so ungewohnt war es ihr, eigene Summen ausgeben zu können. Heute abends wollte sie in die Oper gehen. Dazu mußte sie sich noch ein schönes, Helles Kleid besorgen. Und Stiefelchen! Und frisieren lassen wollte sie sich! Handschuhe anziehen wie die feinen Damen — solche Hand ­ schuhe, die füns oder sechs Mark das Paar kosteten, wie die Frau Landrat sie trug. — Natürlich war der erste Hundertmarkschein schnell genug ver ­ braucht und ebenso der zweite. Die Art und Weise aber, mit welcher das junge Mädchen die schönen, neuen Kassenscheine ausgab, fiel den Laden ­ inhabern auf. Wie paßte das viele Geld zu der schlechten, überaus dürf ­ tigen Kleidung und zu der verlegenen Art dieses jungen Mädchens? Man begann Verdacht zu schöpfen. Einer der Herren, der gerade Zeit hatte, folgte ihr unbemerkt von seinem Geschäft in das nächste und sah, wie sie auch dort wieder einen neuen Hundert ­ markschein wechselte. Das genügte, um sein Mißtrauen zu steigern. Bei der Auswahl feiner Battist- tüchlein und Schleifen wußte man die ungeübte Käuferin solange aufzuhalten, bis man telephonifch einen Kriminal ­ schutzmann herbeigerufen hatte, den man auf die verdächtige Kundin aufmerksam machte. Dieser folgte Therese noch eine Weile von einem Geschäft in das andere und war nach kurzer Zeit überzeugt, daß er es hier mit einer Diebin zu tun habe. Als sie aus dem letzten Magazin auf die Straße trat, hielt er sie unauffällig an und fragte sie, woher sie ihr vieles Geld habe. In offenbarer Bestürzung blickte Therese ihn an. Bei ihrer völligen Unerfahrenheit fiel es ihr nicht ein, den neu ­ gierigen Frager einfach abzuweisen. »Ich — ich — habe — in der Lotterie gewonnen," stammelte sie verlegen. „Ach was?" sagte mit sarkastischem Lächeln der Beamte. „Können Sie mir vielleicht ganz zufällig auch mitteilen, bei welchem Kollekteur Sie Ihr Geld gewonnen haben?" Jetzt schoß Therese das Blut in Hellen Wogen in die Wangen. „Gewiß kann ich das!" rief sie aus. „Aber weshalb sollte ich es Ihnen sagen? Wer sind sie denn überhaupt?" Der Beamte zeigte ihr seine Marke und sagte in sehr ernstem Tone: „Sie tun schon besser, mir offen die Wahrheit zu sagen. Ich wünsche zu konstatieren, wo Sie Ihre vielen neuen Kassenscheine her haben. Also?" Zitternd vor Schrecken und Ausregung nannte ihm Therese den Kollekteur, zu dem sie sofort in Begleitung des Kriminalbeamten auf dessen Wunsch zurückkehrte. Der Beamte trat auf den Kollekteur zu, legitimierte sich und flüsterte: „Ich darf Sie Wohl um ein paar Worte unter vier Augen bitten?" Der Lotteriekollekteur wurde kreidebleich; seine Augen irrten von dem Beamten zu dem jungen Mädchen hin und wieder zurück. Ein unerklärlicher Ausdruck von Angst und Entsetzen trat in seine Züge. „Ah — das ist — ich war auch schon ganz außer mir — ich habe schon überall nach der jungen Dame gesucht — sie brauchte doch nicht gleich nach der Polizei — " „Was denn? Ich verstehe Sie nicht!" sagte Therese. „Nun ja", rief der Kollekteur, „Sie werden es ja in ­ zwischen ersahren haben — ich habe mich vorhin geirrt — " „Allmächtiger!" stöhnte Therese, indem sie auf den nächsten Sessel sank. „Er hat sich geirrt — und ich — ich habe schon so viel von dem Gelde verjuxt!" „Ja!" wiederholte der Kollekteur, der an allen Gliedern zitterte, „ich habe mich geirrt — und ich bitte tausendmal um Verzeihung — Sie haben nicht tausend Mark gewonnen — sondern zehntausend Mark! Habe mich um eine Null geirrt!" Wortlos saß Therese auf ihrem Stuhl, alles schien sich mit ihr im Kreise zu drehen. Der Kriminalbeamte sprang auf sie zu, da er sah, wie tief erblaßt sie war. „Sie wird ohnmächtig!" rief er. „Schnell ein Glas Wasser!" Aber da erhob sich Therese schon mit einem unbeschreib ­ lichem Lächeln: „Nein", sagte sie, „kein Wasser bitte — " Dann wartete sie, bis der Kollekteur ihr eine Anweisung auf die übrigen neuntausend Mark eingehändigt hatte, und verließ mit der Haltung einer Königin den Laden. Linz. Druck und Verlag von I. Wimmer. Für die Redaktion verantwortlich: Artur Iiedek.

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