Oberösterreich, 35. Jahrgang, Heft 2, 1985

Aus „Die Heimat meiner Kunst" Ich habe sie nun wieder gelesen: die Vita Beati Bertholdi, in der Über setzung, die der hochangesehene oberösterreichische Germanist, Konrad Schiffmann, einem anderen jüngeren oberösterreichischen Gelehrten . . . Franz Berger — 1907 gewidmet hat. (Ein altes Bilderbuch. Von Dr. Kon rad Schiffmann, Linz 1908, Zentraldruckerei Linz.) Diese Vita war mir so vertraut und doch wieder neu. Als ich Stephana schrieb, habe ich sie erstmals gelesen, und sie hat mir für meine Stephana, insbesondere für die Schilderung des Benediktinerklosters Garsten, viel an Urheimatkunde gegeben. Ich habe meinen Abt Wilhelm Heller nichts tun und sagen lassen, was der Hüne Berthold, dieser Gewaltige vor dem Herrn, nicht unter ähnlichen Umständen gesagt oder getan haben würde. Wer hat die Vita Bertholdi geschrieben? Pez bringt sie in seinem Thesaurus im ur sprünglichen alten, rauhen Mönchslatein; aber den Autor nennt er uns nicht. Niemand weiß ihn. Er war ein Garstner Konventual um 1350. War er ein ottokarischer Freisasse aus der Hofmark Steyr? War er ein Schwa be, ein Franke oder einer, den der Ruf Garstens vom Nordmeer an die Do nau, an die Enns lockte, ein Borussianus? Wir wissen's nicht. Aber das wissen wir: die Heimat seiner Kunst, deren Knorrigkeit, Naivität und wissende Einfalt urecht deutsch war, obwohl er rustikales Latein schrieb — diese Heimat war das Oberösterreich der Ottokare. Sehen wir nicht in dieser Vita, mit sparsamen, schmucklosen Linien imd doch unerhört eindrucksvoll, Volk und Klerus des 12. und 13. Jahrhunderts im Räume der Siedlung zwischen Enns und Steyr vor uns? . . . Ja, mag der Mönch von Garsten ein Bayer, ein Schwabe, ein Franke, ein Schlesier gewesen sein; mag er gekommen sein aus dem Lande, „wo der Märker Eisen reckt", als Künstler war er Oberösterreicher; denn das Lied von Berthold dem Großen zu Garsten, das rauhe Lied, das sieben Jahrhunderte überdauerte und urdeutsch war, bevor es noch Schiffmanns Hand aus dem Mönchslatein eindeutschte, war Blut vom Blute Ober österreichs. Das Land ob der Enns zog den Schreibmönch in seinen Bann, gab ihm sein Bestes an Brauchtum, Sitte und Sage zu wissen; er dafür gab dem Lande die Vita beati Bertholdi. — Es war schon oft und jetzt wieder die Rede davon, daß meine Kunst zwei Heimaten habe: mein teures Geburtsland Österreich, in dem ich groß wurde, und das gelobte Deutsche Reich, von wo sie ihre Weltfahrt angetreten hat und wo sie in der Reifezeit sich dreimal in unwiderstehli chem Herzensdrang angesiedelt hat. Viele sind es, die mit Soergel sagen, ich hätte doch stets mein Bestes mit meiner österreichischen Heimatkunst gegeben. — Aber Günther schuf einen Zwiespalt, imd Sand und Frau Maria vertieften ihn. Besonders Maria, die man meiner Stephana in manchen Belangen gleichstellt. Sie aber war eine nordische Braut, und Quedlinburg ist Harzland, ist Nieder sachsen. Freilich, diese Scheidung ist akademisch. Der Künstler muß, wie Fried rich Muckermann einmal so fein bemerkte, Kosmopolit sein, er muß die Gewalt besitzen, sich auch fernabliegende Menschen und Landschaften zu eigen machen. Daß er sie mit seinem besten Herzblut durchtränkt, dem Herzblut seiner Heimat, macht sie nicht unecht. Ist nicht in Goethes Iphigenie der zarte graziöse Rhythmus Altweimars? Sind nicht Grillparzers Hero und besonders seine „Melittion" Wienerinnen? Und hat Schil lers Johanna nicht mehr die Züge einer germanischen als einer französi schen Heldin? In diesem Sinn ist deutschösterreichisches Blut in allen meinen Dich tungen, in jeder meiner Gestalten. Daß sie mir aus vielen Stämmen zu wuchsen, ist vielleicht durch meine eigene bunte Stammtafel bedingt. Ich bin Wienerin von Geburt, Altwien — ja und auch das neue Wien ist meinem Herzen immer teuer; aber mein deutscher Vater war in Mai land geboren. Krackowizer hat in einem schalkhaften Idyll die Herkunft meiner Väterahnen aus Schwaben (Mergentheim, Tauberbischofsheim) besungen . . . Anton Dörrer wieder wies in gut fundierter Studie die Verbundenheit meines Stammes und meiner Person mit Südtirol nach; die zarten Doku mente meiner jungverstorbenen Urgroßmutter Julia von Preen erzählen vom Kap der guten Hoffnung, wo ihr Vater, der holländische Oberst, merkwürdige Erlebnisse hatte. Im Hause Csergheö, dem Vaterhaus mei ner Mutter, las Papa Laurenz seinen Kindern Petöfis Freiheitslieder vor, und das „Talpra magyar!" (Auf, auf Ungar!) war ihnen geläufig, wie uns später das Gott erhalte. Wohl kraft dieser seltsamen Blutmischung lockt mich das Schöne, das Charakteristische an jedem Volksstamm, und bis zu einem gewissen Gra de kann ich mich in viele Stämme einfühlen; dennoch, die Krone allen Wesens bleibt mir das deutsche Wesen, mein Denken, mein Sinnen, mein Wort, mein Dichten ist deutsch, und zwar deutsch in österreichischer Prägung . . . Ja, ich nenne mich mit Stolz deutsche Dichterin österreichischer Na tion; und dieses österreichisch ist qualifiziert: oberösterreichisch, landlerisch. — Die Landschaft, die Weistümer, die Heiltümer meines Ober österreich waren es vor allem, die meine Kunst befruchteten, aus deren geheimnisvollen Kräften sie ihre höchste Kraft sog; imd Grillparzer vari ierend, kann ich sagen: „Hast von der Styraburg du Strom und Land gesehn. So wirst du, wie ich bin, und was ich schuf, verstehn." Als der holländische Jesuit P. B. W. Speekman seine Dissertation über meine Stephana unter der Feder hatte, ist er nach Oberösterreich gekom men, um die Dichterin der Stephana, vor allem aber das Szenarium der Dichtung kennen zu lernen. Zwei Tage verweilte er in Linz, zwei in Steyr. Er hat in Linz die kühlen, feierlichen Höfe des Landhauses angeschaut, wo Jung Heinrich aus- und einging, und wo Keplers Stimme scholl: Wisse, Gott hat mein Licht angezündet, und nicht ich. — Er sah das Ka puzinerklösterlein, wo Stephana um eine Unterredung mit dem Pater Al bert flehentlich bat. . . Er sah die Altstadt; so war Linz in meiner Stepha na Tagen, diese Altstadt ist ein Traum aus der Zeit, als Matthias regierte. In Steyr dann hat P. Speekman zuerst die Vorstadtpfarre besucht, diesen frohen Hochgesang auf spätes Barock und (Marianne Gürtlers Altarblatt!) verklingendes Rokoko; er sah die heil. Euphemia, die zarte, liebreizende wächserne Jungfrau, die, in Weiß-Seide und Violsamt ge hüllt, mit Blumen gekrönt, die Ampulle mit ihrem Märtyrerblut zu ihren Füßen, auf dem Altar ruht, ein heiliges Sclineewittchen im Glasschrein, nur daß Schneewittchens Locken wie Ebenholz waren, Euphemia von goldblonden Haaren, dem Haar einer Steyrer Bürgerstochter, die in Salz burg den Schleier genommen hat, umhüllt ist. Diese Euphemia war es, zu deren Füßen mir Stephana Schwertner Ge stalt wurde; zu Füßen Euphemias habe ich auch den Namen erfunden, es war der Fund einer Glücksstunde: ursprünglich hatte ich meine Heldin Johanna Angermayrin genannt, und zu Füßen der Euphemia, die den Schwerttod für Christus erlitten hatte, wurde mein Kind mit dem Märty rernamen Stephana und mit dem Namen, der auf das Zeichen der Marter wies: Schwertner, getauft. Dann ist Speekman im Lambergschloß (Styraburg) gewesen und hat die prachtvollen barocken Säle besehen, zumal den Saal, wohin ich das Kaisermahl verlegt. — Ich habe die heutige Styraburg geschildert — sie war im 17. Jahrhundert wesentlich anders; 1727 ist sie abgebrannt und wurde nach neuem Plan wieder aufgebaut. — Und Speekman hat das be scheidene Stöckl des Lambergschlosses angeschaut und hat sehr verwun dert gesagt: „Also hier hat sie ihren Händel wohnen lassen — das Haus ist ein ganz hübscher Altbau — aber Händel hat da klein gewohnt!" Dann aber wanderte er hinaus nach Garsten und schritt die Allee zum alten Benediktinerkloster, jetzt Strafhaus, ab und suchte das Marterl, an das sich Heinrich schwindelnd lehnte, als er Stephanas Sünde für sicher zu wissen meinte. — Und er betrat die Abteikirche und entzückte sich an ihren Schätzen, die ich im Gewebe meiner Dichtung an vielen Stellen als Schmuck verwerte, ungeschichtlich zwar, aber ich glaube, nicht anti geschichtlich. 76

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