Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 3, 1982

Bei der Arbeit an den Klosterneuburger Scheiben Gedichtzyklus mit einer gekürzten Einführung des Verfassers Aus „Dichtung der Gegenwart", Band 3, Graz 1950 Als ich im Jahre 1940 als damals freier Schriftsteller die Vertretung für eine große österreichische Glasmalereiwerkstätte übernahm, erwar tete ich nicht, daß diese Arbeit mir mehr als einen bescheidenen Le bensunterhalt bringen werde. Die so edle Kunst der Glasmalerei nahm jedoch bald mein Herz gefangen. Der Umgang mit Farbe und Pinsel war mir von Kindheit an vertraut. Viele meiner dichterischen Hauptgestalten sind Maler. Ich werde nie vollkommene Bilder malen, das weiß ich, aber das Vokabular der Maler ist mir geläufig; ich lebe und ringe mit den Kollegen der anderen Zunft, als wäre ich einer von ihnen, und meine Ansichten über die brermenden Fragen der moder nen Kunst habe ich stets Malern in den Mund gelegt. Es war also selbstverständlich, daß ich auch an die Glasmalerei mit dem Bück des Malers herantrat und sehr bald über das Geschäftliche und Techni sche hinaus mich mit den rein künstlerischen Fragen, die dieser Kunstzweig uns aufgibt, beschäftigte . . . Schon im Jahre 1941 durfte ich im Auftrage des damals verantwortlichen Instituts für Denkmal pflege die spätgotischen Maßwerkscheiben in der Klosterkirche zu Wiener Neustadt wieder zusammensetzen, ergänzen und so in ihrer ursprünglichen und einzigartigen Pracht neu erstehen lassen . . .Die schweren Luftangriffe auf Wiener Neustadt haben sie teüweise zer stört. Dafür erschlossen mir die folgenden Monate und Kriegsjahre ein neues und sehr interessantes Arbeitsfeld. Nur in Wien und in der näheren Umgebung Wiens hatte man schon 1939 die alten, wertvol len Glasfenster geborgen, die Scheiben von St. Stephan, von Maria am Gestade, die im Turm der Franzensburg in Laxenburg eingesetz ten Scheiben und die besonders schönen ehemaligen Kreuzgang scheiben des Stiftes Klosterneuburg. Ich durfte also eine ganze Reihe herrlicher alter Glasfenster aus den steinernen Rahmen lösen, reini gen und in Sicherheit bringen. Diese heikle, verantwortungsvolle Ar beit brachte mir viele glückliche Stunden. Kaum ein Mensch vor mir durfte so viele wertvolle Scheiben in Händen halten, ganz nahe be trachten und auf jene Feinheiten hin studieren, die sich dem Betrach ter in der Kirche irgendwo hoch oben entziehen. Viele alte, kostbare Scheiben sind also in den letzten Jahren des Krie ges durch meine Hände gegangen, aber keine edleren und keine schöneren als die alten Kreuzgangscheiben des Stiftes Klosterneu burg . . . Der Auftrag, diese wunderbaren Scheiben auszubessern und zu erhalten, barg also eine große Verantwortung, steigerte damit aber auch meine Liebe zu diesen Zeugrüssen edler alter Kunst . . . Das Stift der Augustinerchorherren war seines Zweckes beraubt. Je der denkende Mensch sah nicht nur den Krieg und die brutale Gewalt vor sich, sondern auch jenes Chaos, das den Krieg ablösen würde. Da saß ich nun, einer, der um die schrecklichen Dinge wußte und sie vielleicht mehr als viele andere zu fürchten hatte, in meiner Keller kammer und wog jedes zersplitterte Scheibchen, prüfte jedes Teil chen auf echt und unecht, zeichnete und verwarf meine eigene Ab sicht und vergab alle meine Kraft an die schönsten Dinge dieser Welt. Während draußen eine Welt in Trümmer fiel und die Bombenge schwader über mich hinwegzogen, durfte ich den edlen Zeugnissen einer großen Vergangenheit nachspüren und mich um die Erhaltung winziger Glasspütter bemühen. So wurde diese Arbeit für mich bald zum Gleichnis all dessen, was dem geistigen Menschen in unseren Tagen aufgetragen ist. Mag die Welt draußen irrsinnig sich gebärden und die nackte Gewalt all das zertrampeln, was der Geist der Men schen je geschaffen hat, der geistige, der schöpferische Mensch ver zweifelt nicht. Er sagt nicht etwa: ach, was nützt es, werm ich mich um die sHllen, schönen Dinge kümmere, sobald draußen die Welt auseinanderbricht und soviel höhere Werte zerschlagen werden. So kann einer reden, der die Dinge nur nach ihrem materiellen Wert be urteilt und die Nützlichkeit zur alleinigen Richtschnur seines Han delns macht. Ich sah gerade in meiner sehr gegensätzlichen und scheinbar völlig nutzlosen Tätigkeit eine schöne, belebende und heil same Aufforderung. Ich wußte, daß ich für das Schöne und für den schöpferischen Geist gegen die Gewalt und gegen die zerstörenden Mächte stand. Noch mehr. Diese Scheiben zeigten Szenen aus dem Alten und aus dem Neuen Testament. Vor mir lagen da nicht nur edle und erhaltungswürdige Kunstwerke, sondern Zeugnisse eines star ken, ungebrochenen Glaubens. Es ist ja so, daß einer die Kunst der Gotik lieben und achten kann, aber aus jenen Quellen, die diese Kunst gespeist haben, rdcht mehr trinken wül. Für den, der nur mehr wissenschaftlich oder nur mit den Maßstäben der Ästhetik an die gro ßen Kunstwerke einer christlichen Vergangenheit herantritt, mag der Inhalt dieser Kunstwerke gleichgültig sein, für den, der wirklich aus diesem Geiste lebt, bleibt die Welt hingegen eine Einheit, in der Inhalt und Form zusammengehören. Für mich war die Arbeit an den alten Scheiben keine bloß sentimentale Angelegenheit, ich spürte in den al ten heiligen Bildern den naiven, starken Glauben des namenlosen go tischen Künstlers. Ich las in den alten Chrorüken des Stiftes von jenen Zeiten, in denen der Künstler die Fenster geschaffen hatte. Krieg und Unruhe, Sturm und Feuersbrunst, Mord und Haß und Neid, Hab sucht und Betrug, all das stand auch in den alten Büchern aufge schrieben. Nur der Romantiker, der Wehleidige, kennt eine ,,Gute alte Zeit". In Wahrheit sind die Menschen zu allen Zeiten menschlich gewesen. Was aber den mittelalterlichen Menschen von uns unterscheidet, ist, daß er noch um die rechten Maße wußte, daß für ihn noch das Gute gut und das Böse bös war und daß er, auch noch als Sünder, in einer christlichen Ordnung lebte. Ich sah in den Scheiben die alte gotische Welt, ich sah in der Handschrift des Pinsels den alten Meister vor mir. Seine Welt war die meine, meine Zeit fand ich in seinen Bildern. Wir wurden von Tag zu Tag mehr Zeitgenossen, er und ich, wie alle schöpferischen Menschen, alle, die die Ordnung spüren und das Wehen des Geistes lieben, Zeitgenossen sind, wann immer sie auch leben. Nicht (die Bomben allein bedrohten die kostbaren Scheiben und mich, der ich für eine Weile ihr Hüter sein durfte, der Abfall von Gott, die hochmütige Anbetung einer irdischen Macht, ja eines Menschen, waren noch ärger als Krieg und Hunger, Feuer und Todesgefahr. Als mir daher diese Arbeit in der stillen, einsamen Werkstatt zum Gedicht wurde, hatte ich mich nicht nur mit meiner an sich so schönen Tätig keit, sondern mit meiner Zeit auseinanderzusetzen. Seit Jahren hatte ich ein Gedicht erwartet, ein Gedicht, das all das, was mich bewegte und ängstigte, empörte und stärkte, aussagen und im Wort gestalten sollte. Nun kam das Wort über mich. Es war da, über Nacht, und es wurde von selbst zum Gleichnis meiner Gegenwart und meines Da seins in ihr . . . Verse sind das Höchste, was einem Dichter geschenkt werden kann . . . Wenn ein Gedicht gültig sein will, muß es aus dem Erlebnis vieler Jahre steigen. Dann erst steht es für sich selbst, ein Gewachse nes, ein Rundes, ein in seiner Art Vollkommenes. Darum wissen jene nicht, die da glauben, ein Gedicht erschöpfe sich im leeren ReimgeIdingel, oder es brauche nur irgendeinen itefsinnigen Gedanken in poetischer Form auszudrücken . . . Das wirkliche Gedicht ist als reine Wortgestalt immer nur dann gültig, wenn ein bestimmtes Er lebnis, ein klares Gefühl eben nur im Vers und durch kein anderes Kunstmittel ausgedrückt werden kann. Jedes echte Gedicht ist daher stets ein Gleichnis . . . Jene Stunden, in denen die Dinge zum reinen Gleichnis werden, sind freilich selten. Der Gedichtzyklus ,,Bei der Arbeit an den Klosterneuburger Scheiben" will als ein Gleichnis für einen an sich schlichten, handwerklichen Anlaß genommen wer den . . . 87

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