Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

sehen. Alles In allem: man könnte sagen, diese Erzählung ist ebenso eine Idylle wie seine ,,Hochzeit auf dem Lande", und doch ist alles wahrhaftig, eben eine Boheme vom Grund. Und das Ende? . . . Das Ende aber will erzählt werden: Von der großen Stadt, wo die Boheme angehalten, sich bei jedem ein wenig gehalten und ihnen ins Blut sich musiziert und gesaugt hat, wo die Erzählung in jedem Dorf und in der ganzen Stadt, überall und jeden Tag sich dort zuträgt. Dort kehren wir uns wieder zum Vorstadthaus, wo wir unsere Geschichte begannen. Der Föhn - wir wissen es noch -, der den ganzen Tag die Inwohner der siebenundsiebzig Dörfer dieser großen Stadt verfolgt, ja manche gequält hatte, verdichtete nun zur späten Abendstunde die Wolken so sehr, daß sie des versammelten Regens zu schwer wurden und sich in einem langsamen Nieseln leichter machten, dem manchmal kräfti gere Tropfen eingemischt waren. Einige dieser schweren Tropfen klatschten auf die Zweige und die sanften Knospen des einzigen Baumes im Hofe, und in dem Licht, das aus irgendeinem Fenster fiel, schimmerte die feuchte Rinde auf. Es war kein Weinen, das in der Natur vorging, es war kein Trauern, es war ein sanftes Erlösen aus der Schwermut des wolkigen Vorfrüh lings, der morgen so - die erleichterten und leichten Wolken dem Winde zum Verflüchtigen preisgebend - nur schneller und freudiger einem blauen Frühjahr entgegeneüen würde. An diesem Abend aber konnte das sanfte Nieseln auch ein Zeugnis sein, die Boheme wisse, daß nun für lange Tage - eine ganze Woche lang - die Türen der Inwohner des Hauses ihr kaum ein Schlüpflein geöffnet wären und daß sie nun eine Reihe von Nächten wieder hei matlos warten müsse. War also das Vorfrühjahr voll der Hoffnung, so war dennoch die Boheme von Wehmut erfüllt, und der einsingend tropfende Regen mochte ihr kleines Weinen bedeuten . . . In diesem Bändchen von der,,Boheme vom Grund" gibt es auch ein kurzes Selbstporträt „Mitringer über sich selbst", darin der Dichter schreibt:,,Seine ... Liebe gehört der Kunst des Wortes. Das würde ihn zum Lyriker vorbestimmen. Seit einiger Zeit aber weiß er, daß es die Prosa ist, in der er, persönlich sichtbar werdend, darstellen kann. Ohne eine Formkunst anzustreben, meint er, für die Dichtung gelte: Im An fang ist das Wort und am Ende ist das Wort. . ." Genug, es kam der Band „Sommerfrische". Aber können denn Dichter, wenn sie wahre Dichter sind, bei ihrem Wort bleiben, Mitringer bei der Prosa? Nein. Und so erschien auch 1965 in der Reihe ,,Neue Dichtung aus Österreich", die der verdienstvolle Rudolf Felmayer herausgab, als Band 130 ein Gedichtband „Land/n Sicht" von Albert Mitringer. Geteilt in,,Frühere Jahre", „Land in Sicht" und ,,Spätere Jahre", 29 Gedichte, darunter sechs viersätzige und ein dreisätziges, bereits Vorläufer sei ner späteren Gedichtform, die er Wortsonaten nennt. Albert Mitringer ist auch insofern ein musischer Mensch, als er, wie be reits angeschnitten, die Musik liebt, nicht zuletzt ihre klassischen For men sowohl in der Kammermusik wie in der Symphonie. Er selbst hat Im Realgymnasium in Steyr noch Geige gespielt, war auch Mitglied der so genannten Studentenkapelle, die nicht nur bei öffentlichen Konzerten zum jeweiligen Schulschluß mitgewirkt hat, sondern auch bei den Thea teraufführungen im ,,Gesellenverein", bei denen Raimund und Nestroy auf dem Spielplan standen. Ferdinand Schmidinger spielte dabei immer die Hauptrolle, der Großvater der sich in letzter Zeit immer stärker in den Vordergrund spielenden und besonders auch in heiteren Rollen glän zenden Wiener Schauspielerin Dolores, die ihre Begabung gewiß von diesem Großvater (und ihrem Vater, dem Mitglied der Wiener Staats oper) hat, der in heiteren Rollen geradezu umwerfend war. An einem Abend spielte In der Studentenkapelle ein Cellist als Aushilfe, ein ehe maliger Absolvent des damals noch Oberrealschule benannten Insti tuts. In der Pause sagte er mahnend zu Mitringer und dem neben ihm sitzenden Geiger: ,,lhr spielts ja gar keinen ,Hatschek'!" Die beiden schiichen sich stillschweigend fort und kamen erst knapp wieder vor ih rem Einsatz nach der Pause in der Theatervorstellung in den Orche sterraum. Keiner wußte in Sachen ,,Hatschek" Bescheid. Auch in den nächsten Jahren konnte ihnen niemand sagen, was denn in der Musik ein Hatschek sei. Endlich sagte es ihnen ein Musiker: das sei eine kurze Verzögerung, wie sie die versierten tschechischen Geiger vollendet können, also eine kaum wahrnehmbare Veränderung des musikali schen Flusses, der Melodie. Der die heikle Mahnung aussprechende Cellist ist schon lange tot, er fuhr im zweiten Weltkrieg nach Frankreich auf einer Mine auf, wobei es ihn förmlich zerriß. Er selbst hätte ihnen den ,,Hatschek" ja nur erklären können, wenn sie ihm nicht so rasch entflohen wären. Ein anderer Musiker, den sie später gefragt hatten, meinte, er kenne nur einen Hatschek, der lebe in Vöcklabruck und er zeuge Eternit. Eines ,,Hatschek" bedarf es nirgends im Gedicht, aber ohne Zweifel begegnen wir in Albert Mitringer einem Lyriker mit eigener Note, auch was die Wahl der Themen anbelangt, immer die Landschaft einbezie hend, die eine oberösterreichische ist. Sie mag ihm wohl in allen seinen Wiener Jahren und bis heute vor Augen gestanden und im Sinn gelegen haben. Er hat sie in allen ihren Stimmungen eingefangen, so in den Jah reszeiten Herbst, Winter, Frühling und Sommer unter dem Titel ,,Vier Variationen über ein Thema der Natur", aber auch als Elegische Landschaft Hast du das einmal gehabt auch, dieses Daheimsein in einem sicheren Umkreis, über den hinaus nichts mehr du sahst und der deine Welt war? Dort war der Morgen, und an jeglichem Tage trennte die Wasserscheide mit den Gewässern lang auch die kommende Sonne vom Tal in der Stille. Und da war der Mittag und der Wald und das Steingebirg, waren die Wälle von Spitzen, Zacken und hütenden Kronen vor dem Tal des Friedens und ließen den Föhn nicht herein. Und wieder da war der Abend über den welligen Hügeln, und die schrägen Strahlen standen wie Heere von Lanzen und teilten die Landschaft in hundert Kulissen in so vielen Farben. Und warfst du den Rücken herum und starrtest gegen den Norden, dann war eine Wand von dumpfen, drohenden Wäldern, finster in sich schon und wartete stumm auf die Nacht. Und wenn sie dann kam, ungewiß schimmernd im Himmelsgeflimmer, Ruhe war da, nicht mehr rauschten Gräser und Ähren, und etwas hub an, von sehr fern hub es an: ein unendliches Singen. Hast du das alles gehabt, früher einmal, dann ist dir nicht leid, was auch vergangen, dann weißt du jetzt erst ganz das Geschenk jener Tage. Bist du viel weiter gewandert und hast dir neue Welten gesucht, immer war wieder ein Morgen, Mittag war da, der Abend kam und von drüben die Nacht; nichts weiter gab es.

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