Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

Österreich, aber auch in Wien, grundlegende Einrichtungen geschaffen hat. Der Dienst bei der Deutschen Wehrmacht hat diese Tätigkeit dann zwischen 1940 und 1943 unterbrochen. 1945, nach Kriegsende, wurde Mitringer zum Leiter der Wiener Städtischen Volksbüchereien bestellt, 1950 zum Direktor der Wiener Stadtbibliothek, die er nach neuen Ge sichtspunkten aufgebaut hat. Sie gilt als eine der modernsten europä ischen Großbibliotheken. Eigenartig ist, daß dieser Mann, der so früh seine hervorragende schriftstellerische Begabung bewiesen hat, erst 1945 mit einer Erzäh lung ,,Hochzeit auf dem Lande" auf dem Buchmarkt erschien. Das lag gewiß an der Ungunst der Zeit für solche erstmalige Anläufe. Das Jahr 1938 mit seinen umstürzlerischen Maßnahmen hat nicht zuletzt alle österreichischen Kulturinstitute und -einrichtungen betroffen und auch personelle Veränderungen mit sich gebracht, und dann kam schon der zweite Weltkrieg. Bei Albert Mitringer hat sich in diesen Jahren aber kein innerer Wandel vollzogen. Der,,Hochzeit auf dem Lande", die er eine Idylle genannt hat, ist, wie schon ihr Titel andeutet, genauso das zwölf Jahre später herausgekommene„Sommersp/e/" in seinem hauptsächlichen Ablauf der so eindeutigen landschaftlichen Eigenart der Stadt Salzburg, die sie schildert, gefolgt. Der Dichter nennt diese Titeierzählung „Ein Salzbur ger Scherzo", und es geht ihm gar nicht um den Trubel der Sommergä ste dieser einzigartigen Stadt, unter denen sich, wie man weiß, nicht lauter wahre Kunstfreunde aus aller Welt befinden, sondern auch viele Snobs. Er erkennt auch diese Stadt als den echten Mittelpunkt des Lan des, nach dem sie sich nennt (oder umgekehrt). Das dritte Stück des Bandes - das zweite, ,Der schwarze Koffer" kennen wir schon - ist eine Novelle „Haus unter dunklem Himmel", in einer bäuerlichen Gegend Oberösterreichs angesiedelt. Man ist verwundert über die Wucht der Dramatik, die sich bis zu ihrem Schluß verstärkt, sie gemahnt an Kleistsche Erzählkunst, die für Mitringer allerdings keine fremde Form war. Es sei da nochmals an sein Studium bei Paul Kluckhohn erinnert, an seine Dissertation „E/'n Beitrag zum Problem der musikalischen Dich tung des Romantikers Heinrich von Kleist", die dann, nach dem Ab gang Kluckhohns von Wien, Josef Nadler übernommen hat. (Auf diese Weise ist Mitringer zu zwei Doktorvätern gekommen.) Vielleicht mag manchen Literaturkenner dieser Zusammenhang zwischen Musik in der Dichtung und Dramatik auf den ersten Blick stören, aber Kleist ist als Dramatiker, stärker etwa als Hölderlin, so unumstritten, was die drama tische Form an sich betrifft, daß es sich erübrigt, darauf näher einzuge hen. Die Wiener Jahre Mitringers neben Aufenthalten in Steyr wie überhaupt in Oberösterreich, aber auch seine Reisen nach Schweden, Spanien und Frankreich mit Aufenthalt in Paris scheinen, liest man die beiden Erzählungsbände, keine allzu große Wirkung auf ihn ausgeübt zu ha ben. Und dennoch; da ist die 1947 erschienene Erzählung „Die Bo heme vom Grund". Aus ihr geht hervor, daß Mitringers Einsicht in alles Volkstümliche, also auch in das echt Wienerische, keine theoretische Angelegenheit war, keine Masche, sondern seit seiner Kindheit mit ihm gewachsen ist. So verstand er sich nach mehr ais einem Jahrzehnt in Wien auch auf Wien, also eines Ortes, der sich in der Eigenart seiner Bewohner trotz aller umstürzenden Ereignisse seit 1914 nicht im ge ringsten verändert hat, gewisse Nuancen unbeachtet... Boheme, alter Klang mit leise schäbigem Glanz, wo sind deine Jahr zehnte, da deine Jünger lebten in Not und Glück, in Hunger und Überschwang. Heute stiehlst du dich ins Leben recht nebenher, als ein kleines Glück am Abend, nach des Tages Brotarbeit als eine Flucht nur in die noch härtere, geheime und heiße Qual, ein kleiner Schöpfer zu sein. Heimatlos ist die Boheme geworden und ausgestoßen wie die alten Zigeuner; nur zaudernd schleicht sie heran und klopft an jedes Bürgers Tür, ihr aufzutun, seines Herzens Kammer ein Schlüpflein zu öffnen, um einige Stunden, und seien sie zur nächtlichen Zeit, da heim zu sein. Weil sie aber so friedlos ist und ruhelos gejagt, braucht die Boheme so hunderte und aber hunderte Herzen, in denen sie ein wenig nisten kann. Schlau ist sie geworden, und sie hat sich, immer hergejagt aus den haltlosen Ebenen, aufgefangen an den dichten Weinstöcken der ersten Hügel, denen sie angeweht wurde. Hier pocht sie an jedes Haus und jede Hütte und jedes Insassen Nerve. Der Tod ist hart und immer nur einmal; hier, bei den vielen, hat die Bo heme anzuhalten, hat sich bei jedem ein werüg zu halten, oder um sie ist's geschehn. Und sie hält sich, hält sich fest an den Adern der Dör ferbewohner, der Hügelbesitzer, der Sassen der großen Stadt, und sie sauft und musiziert sich ihnen ins Blut ein. Boheme vom Grund - jetzt verstehen wir's ganz erst. Einmal, daß sie ein dem Künstler ähnliches Empfinden, dem nicht immer ein Kunst vermögen nachzukommen braucht, von Grund her innehat; zum andernmal, daß sie auf einem Grund sitzt, der aus sich selber, aus sei nen wenn auch nur schmalen Hügellinien eine musikantische Ergrif fenheit seinen Anwohnern einhaucht. In diesem zwiefachen, zwielichternden Licht möchten wir heute eine kleine Geschichte von de nen erzählen, die, sosehr sie wie alle anderen sterblich sind, als Wie dergeburt in ihren Nachfahren um so gewisser unsterblich bestehn. Von einer großen Stadt hat der Dichter gesprochen. Wie reimt sich das mit der ihm nachgesagten Liebe zum Land, seiner Vertrautheit mit ihm? Es heißt in seiner,,Boheme vom Grund" auch so: ... In einer großen Stadt spielt diese Erzählung ab, in einer Groß stadt, die doch nur aus siebenundsiebzig Dörfern zusammen sich fügt. Jedes dieser Dörfer hat sein eigenes Gesicht, und jedes dieser Gesichter trägt sich hin als ein Zug, eine Falte, eine schönere Linie zum einzigen Gesicht der großen Stadt. So auch spielt diese Erzäh lung ab in jedem Dorf und in der ganzen Stadt, überall und jeden Tag trägt sie sich dort zu. Für den Leser jener welligen Dörfer, für den Le ser jener sanften Stadt braucht rächt erklärt zu werden, was wir mei nen mit der Boheme vom Grund. Wir nennen sie nicht, jene Dörfer und jene Stadt, ganz geheim tun wir mit ihnen und mit ihr, aber um so sicherer sind wir, daß ihr Inwohner weiß, daß er spürt, wer sie ist, die Boheme, denn er ist sie ja irgendwie selber . . . Und es sind neun Menschen dieser Dörferstadt verschiedenen Ge schlechts und verschiedener Profession, ein Geiger, ein Beamter, der dichtet, ein Arzt, der singt, ein Kaufmann, der malt, teils mit ihren Frau en, teils mit einer leiblichen Schwester, die aushilft, weil die Ehefrau fort ist, und schließlich kommt noch ein Ehepaar hinzu, von dem der Mann sich für einen großen Schauspieler hält, sie alle sind vom Grund. Sie kommen an den Abenden zusammen, musizieren, singen, schäkern und gehen miteinander ins Kino, wo ein Carmen-Film läuft, eine hübsch ausgedachte Analogie zum Geiger Rudolf und seiner Mimi, aber in Wirklichkeit geht es nicht so traurig wie in der Oper zu; es ist eben die Boheme vom Grund, nur zwei Häuser. Und wenn es - so ist anzuneh men - der Beamte mit dem Dichten ernst nimmt (und vielleicht ist sogar etwas Autobiografisches in diesem Beamten Johann), so nehmen es die Musiker auch ernst, wenn sie Stücke von Beethoven, Schubert und Mozart spielen, wobei der Arzt Bela auch den Klavierpart übernimmt und als Pianist das Seine leistet, denn, so heißt es, „nie war Bela, der Rudolf begleitete, von musikanterischem Einfühlen". Sie plaudern auch viel miteinander und machen kleine Spiele im Vorstadthaus. Das alles erhält vom Dichter her oft einen gedanklichen Tiefgang, so auch, wenn er die Kinder der einen oder andern Familie mit in seine Erzählung hin einnimmt. Er selbst ist ja Vater von dreien und hat sie heranwachsen

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