Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 4, 1981

Oberösterreich aktuell Ziele der Wirtschaftspolitik in den achtziger Jahren Landesrat Dr. Albert Leibenfrost Keine vergleichbare Perlode der Wirtschafts geschichte war von so großer Dynamik ge kennzeichnet wie die Zelt nach dem zweiten Weltkrieg, Insbesonders seit Beginn der sech ziger Jahre. Österreich hat sich In diesem Zelt raum von einem Nachzügler unter den Indu striestaaten zu einer Volkswirtschaft Im Mittel feld der Industrialisierten Welt entwickelt. Noch vor 25 Jahren erreichte das Sozialpro dukt je Einwohner In Österreich nur die Hälfte desjenigen der ÖEGD-Länder, rund drei Vier tel desjenigen Westeuropas und 69 Prozent der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre 1979 übertraf die österreichische Pro-KopfWertschöpfung zu den gültigen Wechselkur sen jene des ÖECD-DurchschnItts um drei Prozent, jene Westeuropas um 17 Prozent und erreichte 74 Prozent jener der Bundesre publik Deutschland. öberösterrelch nahm bei diesem Aufholvor gang der österreichischen Wirtschaft In den letzten 25 Jahren stets einen Spitzenplatz un ter den Bundesländern ein. Der durchschnittliche jährliche Zuwachs des Bruttoreglonalproduktes lag etwa ein halbes Prozent über dem österreichischen Durch schnitt und die Zahl der unselbständig Be schäftigten stieg Im letzten Jahrzehnt In öber österrelch um rund 25 Prozent, österreichweit um rund 16 Prozent. Die Bruttowertschöpfung öberösterrelchs stieg zwischen 1961 und 1977 um das 4,Stäche, jene Österreichs um das 4,1 fache, wodurch sich der Anteil öber österrelchs am gesamten österreichischen Bruttoinlandsprodukt Im gleichen Zeltraum von 15,4 Prozent auf 16,7 Prozent erhöhte. Modellvorstellungen für die Wirtschafts entwicklung Für die Bewältigung der achtziger Jahre Ist diese Klarstellung der Möglichkeiten und Grenzen nationaler Wirtschaftspolitik deshalb von besonderer Bedeutung, well aus der Wlrtschaftsentwlcklung In den beiden vergange nen Jahrzehnten International und national stark voneinander abweichende Hypothesen über den zukünftigen Trend unseres Wlrtschafts- und Gesellschaftssystems abgeleitet werden. Dabei können wir zwischen minde stens drei verschiedenen gedanklichen Rich tungen unterscheiden, deren Grundüberle gungen sich In vereinfachter Welse folgen dermaßen darstellen lassen. Eine davon sieht die Ursachen für die niedri geren Wachstumsraten In den siebziger Jah ren In den verschiedenen Internationalen Stö rungen oder Schocks, die Anfang und Mitte des Jahrzehnts auftraten. Der bedeutendste dieser Schocks war natürlich die Explosion der Erdölpreise. Von den anderen Störungen könnte man die riesige Nachfragestelgerung In den Vereinigten Staaten während des Viet nam-Krieges anführen, die Beibehaltung ei nes überbewerteten Dollars, die expansive Währungspolitik einiger großer Industriestaa ten und anderes mehr. Eine andere Richtung argumentiert, daß die Wachstumsverlangsamung In den siebziger Jahren In erster Linie eine Folge der Rückkehr zu einer normaleren Entwicklung nach der Ausnahmesituation In den sechziger Jahren gewesen sei. Nach dieser Argumentation wa ren, International betrachtet, die siebziger Jahre nicht schlecht, sondern vielmehr waren die sechziger Jahre ausnehmend gut gewe sen. In den siebziger Jahren gab es eine Reihe von wachstumsfördernden Faktoren, deren Wirkungen sich im Verlauf dieses Jahrzehntes erschöpften. Von diesen Faktoren kann man die Liberalisierung des Internationalen Han dels durch die EG und EFTA-Abkommen er wähnen, die Überbrückung der sogenannten technischen Kluft zwischen der amerikani schen Industrie und den Industrien der euro päischen Länder und Japans, die großen Ab wanderungen aus der Landwirtschaft In die städtischen Industrien (und die damit verbun dene Beseitigung einer teilweise versteckten Arbeitslosigkeit) und schließlich die sinkenden Realkosten der Energie. Die Schlußfolgerung aus diesen Überlegungen Ist, daß die zukünf tige Wachstumsrate signifikant niedriger sein wird als In den sechziger Jahren. Die dritte Gruppe argumentiert, daß die Wachstumsverlangsamung der siebziger Jahre durch langfristige Tendenzen entstan den Ist, welche die modernen Volkswirtschaf ten In Richtung einer neuen Gesellschaft trei ben, die unter anderem charakterisiert Ist durch eine niedrige Wachstumsrate, eine niedrige Investitionsrate, einen kleinen Indu striesektor, einen großen Dienstleistungssek tor, einen großen öffentlichen Sektor und kurze Arbeltszelt. Die Vertreter dieser Gedan kenrichtung führen gewöhnlich eine Reihe von empirischen Fakten zur ünterstützung Ihrer These an, darunter zum Beispiel Beschäftig tenzahlen, die zeigen, daß das Verhältnis zwi schen der Zahl der In der Industrie Beschäftig ten und der Gesamtbeschäftigung seit langem sinkt, daß die Beschäftigtenzahl Im Dienstlei stungssektor zugenommen hat und daß sich der öffentliche Sektor rasch ausbreitet. Wel ters wird mitunter behauptet, daß der private Sektor die Fähigkeit verlor, ein steigendes Ar beitskräfteangebot zu absorbieren. Die Quintessenz der Gedanken dieser dritten Richtung besteht darin, daß es In den kapitali stischen Gesellschaften langfristige Tenden zen gibt, die eine Entwicklung In Richtung zu einer neuen Gesellschaft bewirken - einer Gesellschaft, die mitunter als postindustriell bezeichnet wird - und In der die Menschen dem Konsum von Gütern weniger Bedeutung belmessen als heute und mehr Gewicht darauf legen, was manchmal auch als Lebensqualität bezeichnet wird, so zum Beispiel Freizelt, kul turelle Aktivitäten, ümweltfaktoren, Gesund heitsfürsorge und ähnliches mehr. Es Ist vermutlich ganz unmöglich, festzustel len, daß eine der drei Richtungen richtig Ist und daß die anderen beiden zur Gänze falsch sind. Auf die verschiedenen Pro- und Kontraargu mente der Wirtschaftstheoretiker zu den bei den ersten Thesen braucht hier nicht mehr eingegangen zu werden, well sie sich letztlich zu einem Kompromiß vereinigen lassen. Es wäre jedoch gefährlich, jenen Kräften auch In unserem Land uneingeschränkt zuzustim men, die die Hypothese von der postindustriel len Gesellschaft als theoretischen Hintergrund für Maßnahmen benützen, die letztlich auf eine Veränderung unserer Wirtschafte- und Gesellschaftsordnung hinauslaufen. Daher müssen die Argumente für diese Hypothese etwas näher untersucht werden. Soziale Marktwirtschaft - unentbehrlicher Faktor Würden wir am Beginn der achtziger Jahre tatsächlich eine neue Entwicklungsstufe des westlichen WIrtschafts- und Gesellschaftssy stems erreichen, so müßten wir erwarten, daß die höchstentwickelten Länder, wie die ÜSA, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz, führend In dieser Entwicklung sind. Wäre der Rückgang der IndustrIebeschäftI-

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