Oberösterreich, 31. Jahrgang, Heft 1, 1981

Die Dachsteinhöhien Georg Praxmarer Das Dachsteinmassiv mit seinem Karstcha rakter, der Härte seiner Lebensbedingun gen und der Vielfalt seiner Lebensäußerun gen vermag heute noch genauso zu faszi nieren wie vor annähernd 200 Jahren und wahrscheinlich auch noch früher. Prof. Ru dolf Lehr zitiert einen der bergerfahrensten Männer seiner Zeit, der im Jahre 1810 pro phezeit hat, ,,daß alle Versuche, den Dach stein zu besteigen, wahrscheinlich immer mißglücken werden, weil selbst da, wo die Form des Gebirges kein Hindernis in den Weg legt, die Eisklüfte das Aufsteigen zu gefährlich machen". Nachdem Montblanc, Großglockner, Watzmann und Ortler längst bezwungen waren, wurde 1832 der Hohe Dachstein erstmals bestiegen. Friedrich Simony hat 1842 die erste Winterbesteigung durchgeführt. Ferdinand Georg Waldmüller, Adalbert Stifter und Rudolf von Alt, neben vielen anderen bedeutenden Künstlern, ha ben zahlreiche Motive aus dieser heroi schen Landschaft festgehalten. Trotz seiner reichhaltigen Schönheit wirkt aber dieses Stückerl Erdoberfläche bescheiden gegen den überwältigenden Eindruck, dem der Mensch in seiner Kleinheit den Naturgewal ten gegenüber erlebt, wenn er in das Innere dieses Berges gelangt. Im Dachsteinmas siv, wie überhaupt in den nördlichen Kalkal pen, sind eine Vielzahl von Höhlen und Höhr lensystemen bekannt. Drei der schön sten wurden in der näheren Umgebung von Obertraun, seit 1910 beginnend, interes sierten Besuchern zugänglich gemacht. Sie haben sich seither ein ständig wachsendes internationales Publikum geschaffen. Wis senschafter aus allen Teilen der Erde sind mehrfach nach Obertraun gekommen, um an Kongressen und erstklassigen Fachta gungen teilzunehmen und die Dachstein höhlen zu sehen. Als Höhle kann jeder durch Naturvorgänge gebildete Hohlraum angesprochen werden, der ganz oder teilweise von festem Gestein umgeben ist. Neben Primärhöhlen spricht man nach der Art der Entstehung von Se kundärhöhlen, wenn sie im bereits vorhan denen Muttergestein entstanden sind. Größte Bedeutung und auch die weiteste geographische Verbreitung haben soge nannte Wasserhöhlen, bei deren Entste hung das Wasser mechanisch als auch chemisch wirken kann. Die Im wesentlichen durch die chemische Wirksamkeit des Was sers entstandenen Korrosionshöhlen kom men nur in verkarstungsfähigen Gesteinen vor. Sie werden demnach auch als Karst höhlen bezeichnet. Verschiedene Kalke und Kalkmergel sind sowohl Träger des Karst phänomens als auch zur Höhlenbildung prädestiniert, weil sie sich durch stark aus geprägte Klüftigkeit und hohe Löslichkeit im kohlesäurehältigen Wasser auszeichnen. Wenn man nach dem Alter der Höhlen fragt, so ergibt eine kurze Überlegung, daß sie nicht älter sein können als das sie umge bende Muttergestein und nicht jüngerals die ältesten nachweisbaren Sedimentschich ten. So wird für die hier im Dachsteinmassiv bekannten etwa 250 Höhlen angenommen, daß sich die Höhlenbildung unter dem Ein fluß tektonischer Vorgänge im frühen Mio zän, das heißt etwa vor 25 Millionen Jahren, abgespielt hat. In dieser Zeit entstanden auch die Braunkohlen, wurden die Alpen zum Hochgebirge gefaltet und die ersten Menschenaffen sollen damals gelebthaben. Die drei für den allgemeinen Zutritt ausge bauten Höhlen im Dachsteinmassiv sind Naturerscheinungen, die für den heutigen Menschen ganz verschiedene Schwer punkte des Höhlenwesens und der Höhlen forschung darstellen. Die Koppenbrüllerhöhle ist die ,,jüngste" von ihnen. Sie ist eine noch heute aktive Wasserhöhle, deren Höhlenbildung kei neswegs abgeschlossen ist. Hier kann man sich, wenn man sie in einer knappen Stunde befährt, das heißt begeht, eine ungefähre Vorstellung machen, wie tektonische Vor gänge anläßlich der Alpenfaltung den Hohl raum geschaffen haben und wie nun im Lauf von Jahrtausenden das Wasser an der wei teren Gestaltung der Höhle arbeitet. Neben kleineren, jedoch äußerst reizvollen Tropf steinbildungen sowie zahlreichen Sinter-, Kalkmilch- und Sedlmentablagerungen zeigt sie auch insbesonders die bizarre Klüftung des Gesteins. Im Herbst 1909 wurde mit der Erstellung ei nes Zugangsteiges und primitiver Steigan lagen in der Höhle selbst begonnen, den all gemeinen Zugang zu ermöglichen. Bei allen Arbeiten, die eine gefahrlose Begehung der Höhle ermöglicht haben, hat man damals schon peinlichst darauf geachtet, ihre natür liche Beschaffenheit möglichst zu erhalten. Heute sind durch ein bestehendes Höhlen gesetz auch rechtliche Voraussetzungen geschaffen, daß die unter Denkmaischutz gestellten Schauhöhlen In ihrer Natürlich keit erhalten bleiben und jegliche Baumaß nahmen nur mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes erfolgen können. So wurde zwischen 1968 und 1972 in vier Winteretap pen die Begehbarkeit der Hannakluft nach modernsten technischen Methoden, die sich bis heute durchaus bewährt haben, sicher gestellt. Die Dachsteinmammuthöhie ist eines der größten bekannten Höhlensysteme In Euro pa. Wenn sie sicherlich auch schon wesent lich früher bekannt war, hat eine systemati sche Erforschung erst 1910 eingesetzt. Heute sind rund 35 km Höhlengänge in drei Etagen zwischen der Schönberg- und der Angeralm unter dem Mittagkogel bekannt. Im Jahr 1924 hat der Erschließer der Rieseneishöhle, Georg Lahner, begonnen, einen kleinen Teil des Systems für die all gemeine Besichtigung auszubauen. Mit ei nem künstlichen Stollen von etwa 10 m Länge wurde durch die Lahner-Halle, die Halle der Vergessenheit und die Paläotraun ein Rundgang von etwa 3/4 Stunden Wegzeit errichtet. Seit 1960 ist der für die Allgemein heit begehbare Teil der Mammuthöhle mit einer elektrischen Beleuchtungsanlage ver sehen. Man hat hier den Eindruck, daß der endgültige Gleichgewichtszustand der Höh lenbildung hergestellt ist. Riesige Raum maße von übenwältigender Architektonik geben einen Begriff der Naturgewalten, die in ungeheuer langen Zelträumen am Werk waren. In natürlichen Farbschattierungen der Felswände Ist der Phantasie für ihre Deutung und Benennung keine Grenze ge setzt. Die bisher am meisten besuchte Dachstein höhle ist die Rieseneishöhie. Auch sie war zweifellos schon früher zumindest Einhei mischen bekannt. Seit 1910 hat Georg Lah ner mit einigen Höhlenforschern, gestützt auf einen Beschluß des oö. Landtages, den Entschluß gefaßt, die entdeckten Unter weltswunder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Erschließung hat damals durch den heutigen Ausgang stattgefunden. Die Forscher haben in vollkommener Fin sternis, die mit den damaligen technischen Möglichkeiten nur mangelhaft erhellt wer den konnte, nach dem kurzen Eingangstol len einen breiten Eisabgrund vor sich ge wußt. Es war wohl ein Wagnis sonderglei chen, wenn auch, soweit es damals möglich war, wohlvorbereitet, diesen beinahe senk rechten Eishang ins Ungewisse hinunterzu steigen. Das Gefühl läßt sich nicht beschrei ben und wohl auch nur mangelhaft nach empfinden, das die Forscher beseelt haben mag, als sie nach 28 m Abstieg in dem heute als Große Eiskapelle bekannten Wunderder Natur standen. Den Zugang zur Koppenbrüllerhöhle bildet heute ein hübscher, bequemer Wanderweg, der beim Gasthaus Koppen rast beginnt und etwa zehn Minuten bis zum Höhleneingang der Traun entlang führt. Der Zugang zu den beiden anderen Dachsteinschauhöhlen führte lange Zeit über einen schmalen Ser pentinenweg von der heutigen Talstation der Dachsteinseilbahn über die Schönberg alm zu den Höhleneingängen. Angefangen von einigen 100 Besuchern jährlich hat sich das Interesse nach dem ersten Weltkrieg bis

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