Oberösterreich, 29. Jahrgang, Heft 2, 1979

Ende der Brücke zog es mir aber doch noch einmal das Gesicht her um. Sie stand unverändert, sah mir nach, schlug aber sogleich die Augen nieder, als sie den meinigen begegneten und bückte, sich rasch umwendend, wieder ins Wasser hinab. In meinem Leben war ich noch nicht so verwirrt gewesen. ,Dumm kopf, dachte ich, während ich sinnlos davonlief wie ein Dieb, fast den Weg zum Weiher hinauf verfehlte und tölpelhaft über einen Holzspan stolperte. ,Esel!' sagte ich mir, ,warum hast du ihr nicht wenigstens einen guten Morgen geboten? Da hätte sie's doch erwi dern müssen, und vielleicht hätte sich noch das eine oder andere Wort dazu gefunden. Tropf, aiberner-Stümper-hättest du-ja hät test du jetzt einen Hahn in der Hand und einen Bruch auf dem Hut, das hätte sich halt gut gemacht! Da hätte es was zu schauen gege ben - sie hat gewiß noch keinen Auerhahn aus der Nähe gesehen - und die Anknüpfung wäre gegeben, die Bekanntschaft gemacht ge wesen.' Mich so beschuidigend, merkte ich es kaum, daß ich wieder im Wald war. Ich blieb stehen und sah hinab. Die Gestalt war verschwunden. ,Hast du geträumt?' stieg es mir auf. Und dumm starrte ich auf die leere Brücke, das funkelnde Band des Wasserlaufes und die grell blinkende Mühle hinunter. Ich wandte mich, stieg vollends empor und sah nun den stillen Waldsee im stumm ragenden Kreis der For ste liegen, deren vielfach gezackter Wipfelsaum aus dem moorigen Wasser wie aus einem schwarzen Spiegel wieder heraufblickt. Ich kam zur Schleuse, wo die Flut mit leisem Gurgeln in den Ablauf ge zogen wird. Das Wasser ist hier besonders tief und in seiner Dunkel heit klar wie ein schwarzer Diamant. Am Uferrand scheint es bräun lich durch und steht dann glashell über einem Kranz von bleichen verwaschenen Steinen. ,So sind ihre Augen', dachte ich, stand und träumte hinunter und ging weiter zu einem Platz, wo kein Baum steht und das Ufer in einem Bogen flach und seicht verläuft, so daß viele der weißen Steine trocken aus dem Wasser hervorsehen. Von dort Ist der schönste Blick über den See. Ich streckte mich ins dürre Kraut und sah den weiten, dunklen Ring des Hochwaldes. ,So sind ihre Augen', sprach es in mir. Ich knickte kleine Zweige, zerblätterte ei nen Tannenzapfen und bekam klebrige Finger. Auf einer schmalen Landzunge, die sich grasig in den Weiher schieb, trat ein Reh her vor, äugte umher, bückte sich schlank zur Tränke . . ." Und die Romane,,ff/ffer, Tod und Teufel" und,,Mangold von Eber stein"? Bilderbücher, weil In derselben anschaulichen Sprache, aus dem sechzehnten Jahrhundert. Auch ein Herzensanliegen des Dichters, Schilderung eines Wandels, des Niedergangs der Ritter und des Hochkommens der Städtebürger, an dem Beispiel derfreien Reichsstadt Nürnberg dichterisch eindringlich wie selten gestaltet. Man sollte vor allem,,Ritter, Tod und Teufel" wieder auflegen, damit der heutige Mensch begreift, wie alles Menschenwerk und die Men schen, die es geschaffen, vergeht, verweht, aber der Geist der je weiligen Epoche bleibt, wir erkennen ihn nicht nur aus den alten Bauten, sondern aus den Menschen, die sich auf dem alten Boden durch Jahrhunderte erhalten haben und die die gleichen von einst geblieben sind; denn, so wie Goethe uns überliefert hat; nur die Menschheit entwickelt sich weiter. Der Mensch ändert sich nicht. In sofern sind beide Romane keine historisch-literarischen Werke; sie müssen so begriffen werden, wie Hans von Hammerstein es in sei nem ,,Nachwort an die geneigten Leser und Rezensenten zu tun lichster Hintanhaltung der üblen Nachrede" zu ,,Mangold von Eber stein" dargestellt hat. Hier schreibt er: ,,Für moderne Reisende ist mein Buch nicht geschrieben. Es ist, wie die fränkische Landschaft, zu deutsch für ihre hastigen Seelen und Sinne. Ich wollte es für jene schreiben, die sich Zeit nehmen können, dem Schnellzug des heutigen Lebens zu entsteigen, um mit dem Stab in der Hand eine beschauliche Wanderung im Frankenland und seiner Geschichte zu tun. Wobei ich doch auch bedacht habe, daß der Wanderer nur ein heutiger Mensch sein kann und doch schließ lich irgendwo wieder in den Schnellzug muß. Daher lasse ich im Ab rollen meiner Bilderfolge die Technik des Kinos häufiger walten als jene des guten alten Homer. Nun ist aber eine Dichtung kein Werk der Wissenschaft und will es nicht sein. Der Professor ist ein Sklave seiner Zunft, der Dichter ist frei. Wie er einem geschichtlichen Stoff gegenüber, den erwählt, der ihn wählt, seine Freiheit bewahre, das ist die Schicksalsfrage. Ich bin kein Franke. Aber vom Schnellzug aus fand Ich schon vor zwanzig Jahren, daß Franken der Inbegriff deutscher Landschaft sei, und früher schon als Kind haben mich Nürnberger Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert rätselhaft und ahnungsvoll angezogen. Darum suchte ich gerade in und um Nürnberg, dem Inbegriff der deutschen Stadt, einen Stoff zu rätselhaften geschichtlichen Stim mungen, die mit mir selber von klein auf gewachsen und mächtig geworden waren, und fand ihn endlich in dem von Janssen in seiner Geschichte des deutschen Volkes angeführten Urkundenwerk über die Fehde des Mangold von Eberstein zum Brandenstein gegen die Reichsstadt Nürnberg 1516 - 1522. Die Roßmühle liegt an der fränkischen Saale hart unterm Halteplatz Weikersgrüben der Bahnlinie Gemünden-Hammelburg. Sie ist ein ganz köstliches Bauwerk voll mittelalterlicher Stimmung, das Prachtstück einer deutschen Mühle. Gott erhalte sie! Als ich zuletzt im Juni 1921 dort war, fand ich Ingenieure in der Mühle sitzen, die den Wasserkräften der lieben, so deutschen und beschaulich flie ßenden Saale nachspürten. Ade, schöne Roßmühle! dachte ich mir. Das nächste Mal finde ich an deiner Statt vielleicht schon ein Turbi nenhaus, eine Talsperre und einen zementglatten Werkskanal. Den Sodenberg hat ohnedem schon der Teufel geholt, indem man aus ihm einen Basaltbruch machte. Und schwarze Schlote starren an Stelle der Türme, die Götz von Berlichingens Jugendstreiche und ,Affenreuterei' sahen. Und dieser Teufel der Industrie, der, der Teu fel solls holen, überall unter unsere liebe deutsche Erde die verfluch ten Kohlen gesät hat, wird, wenn es so fortgeht, in fünfzig Jahren die ganze deutsche Landschaft geholt haben, wie er schon die Land schaft am Rhein, an der Erfft und an der Wupper, dem Schauplatz der Reuterei meiner väterlichen Ahnen, und überhaupt das Wesent lichste unseres deutschen Wesens geholt hat. Mit den Literaten dieser Zeit habe ich nichts zu tun. Ich schreibe nicht, wie es modern ist, für eine kleine Clique von Intellektuellen, für einen engen Kreis des Geistes. Ich dichte aus dem Blut für einen Kreis des Blutes, der, mag sein, an Breite zu verlieren beginnt. Ich suche das deutsche Volk. Und bedeutsamer vielleicht für dieses Volk als für mich selbst Ist die Frage, ob solche Dichtungen noch im stande sind, weitere Wellenkreise zu schlagen. Kirchdorf a. d. Kr., den 13. September 1922." ,,Dle finnischen Reiter", der Roman, den Hans von Hammerstein 1933 herausbrachte, leiten die gleichen Gedanken, auch er eine großangelegte Erzählung aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und ebenso einsichtig in die Zeitläufte, dennoch aber wiederum das allgemein Menschliche in vielen Gestalten darstellend, daß er über die Epoche jener Jahre hinausreicht, die so großen Einfluß auf die nachfolgende Zeit gehabt haben, wie immer ein Krieg von solchen Ausmaßen und solcher Dauer wie der Dreißigjährige. Eine der köst lichen Gestalten des Romans ist der Pfarrer Pistorius.

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