Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 4, 1978

Am nächsten Morgen jedoch begann das, was man merkantil die Nachfrage nennt. Sie war enorm. Die meisten Interessenten hatten darauf verzichtet, ihre Kauflust brieflich zu formu lieren. Sie setzten sich ins Auto und fuhren nach Ebental. Schon zu früher Stunde parkte in der Sied lergasse eine ganze Reihe respektabler Fahrzeuge. Raimund Kühler traute seinen Augen nicht. Trotz der angespannten Wirtschaftslage hatten die Besucher ansehliche Summen von Bargeld mit gebracht, zur Bekräftigung ihrer ernsten Interessen, wie sie erklärten, sie hatten sich die plötzliche Li quidität auch einiges kosten lassen. Im Laufe der Gespräche verstiegen sie sich aber zu noch weiteren Angeboten. Sie wollten sich von ihren Villen, ihren Autos, ihren Aktienpaketen gerne trennen, wenn sie nur zum Zuge kämen. Manche erschienen in Be gleitung eines Juristen oder Sekretärs, manche kamen mit der Gattin oder jedenfalls einem weib lichen Wesen, welches diese Funktion irgendwie vertretungsweise ausübte, durchwegs wirkten sie sehr seriös. Kleinlich woUte keiner sein, etwa die Hypothek in Raten abstottern oder die Leibrente nicht wertgesichert dem Lebenskostenindex anpas sen. Marianne Kübler war fassungslos. Sie sah schwei gend zu, wie ihr Mann mit gefaßter Miene seine Be sucher der Reihe nach empfing, sich Namen und Anschriften notierte, höflich dankte, Zusagen und Unterschriften vermied und sich Bedenkzeit ausbat. Nach einer Weüe übernahm sie den Türdienst wie eine Sekretärin, damit die ein- und auslaufenden Aktenköfferchen nicht aufeinanderprallten. Im Laufe des Vormittags erschien eine Gruppe Ju gendlicher vor dem Haus. Sie gingen nicht hinein, sondern stellten sich im Halbkreis auf, klimperten auf drei Gitarren und sangen einen Choral, der auf ,,ever and never" endete. Ein Bursch trat mit erho benen Armen vor und sprach feierlich: ,,Wir wer den nicht dulden, daß hier ein ewiges Leben ver schachert wird. Jesus, brother, hilf uns!" Marianne war beeindruckt. Raimund lächelte. In diesem Augenblick kamen die Reporter. Das erste Blitzlicht zuckte, ehe Raimund sein Lächeln zurückziehen konnte. Die Männer vom Fernsehen schoben ihn sanft durch die Haustüre zurück. ,,Sie haben nichts dagegen, nicht wahr?" Kabel rollten ins Zimmer, die Stube füllte sich. Die Kamera lief. Das Interview war kurz. Frage: ,,Sie wollen ihr ewiges Leben verkaufen?" Antwort: ,,Ja!" Frage: ,,Was hat Sie dazu bewogen?" Antwort: „Meine Entlassung durch die Glashütte AG." Frage: ,,Was haben Sie sich dabei gedacht?" Antwort: „Nichts Besonderes!" Mehr war aus Raimund Kübler nicht herauszubringen. Frage an Marianne:,, Sind Sie mit dem Entschluß Ih res Mannes einverstanden?" Antwort: „Ja!" Mehr sagte sie nicht. Die Kamera schwenkte im Haus, vor dem Haus, dazwischen die Katze, Blick durch die Siedlergasse, eine wartende Autokolon ne, die Gruppe der Jugendlichen, die mit den Gitar ren klimperten und sangen. Es war unausbleiblich, daß sich unter die weiteren Kauflustigen nun die Nachbarn und Bekannten, Arbeitskollegen und Ortsbewohner mischten. In der Straße entstanden diskutierende Gruppen, die Gendarmerie ließ sich ordnungshalber blicken. Um die Mittagszeit schlössen Raimund und Ma rianne die Haustür und die Fensterläden. Sie hatten genug. Leider begingen sie nach dem ersten Fehler, dieses Inserat nicht unter einem Kennwort erscheinen zu lassen, noch einen zweiten. Unter dem Findruck der so üppigen Nachfrage und Publizität ahnten sie, daß der Wert ihres Verkaufsangebots doch sehr groß und einmalig sein mußte. Sie waren in eine Marktlücke gestoßen. Und sie begannen zu zögern. Nein, es waren nicht materielle Erwägungen allein. Die Millionen, die ihnen geboten wurden, konnten sie sich ohnehin nicht vorstellen. Das sorglose Le ben lockte sie nicht übermäßig. Der Abschluß mit dem Meistbietenden war gar nicht ihr Ziel. Ohne es auszusprechen, hatten sie eher erwartet, daß je mand kommen oder schreiben würde, der weniger über den Preis als über die Ware, also über das ewige Leben, redet. Es war wie bei einem Tier freund, der seinen Liebling ja auch nicht dem nächstbesten Zahler verkauft, sondern vielmehr

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