Oberösterreich, 28. Jahrgang, Heft 4, 1978

Das Innviertel — Ein ehemals bayerisches Grenzland Rudolf Walter LItschel Am 3. November 1779 schrieb Joseph II. von Linz aus an Maria Theresia einen Brief, mit dem er über seine Reise durch das Inn viertel berichtet. Darin heißt es unter ande rem: ,,lch bin entzückt, dieses Land gese hen zu haben, und ich glaube, daß ich mit den Bewohnern einen brauchbaren Kontakt hersteilen konnte. Besonders beeindruckt waren die Leute davon, daß der bayerische Kurfürst vierzig Jahre lang niemals auch nur für wenige Stunden sein Gebiet ostwärts des Inn besuchen kam, ich hingegen schon sechs Monate nach dem Erwerb des Inn viertels hier erschien, um mich über die Zu stände zu informieren." Joseph mag nun hinsichtlich der Bemer kung, daß Kurfürst Maximilian III. Joseph ,,niemals auch nur für wenige Stunden" den Inn überschritten habe, entweder einer fal schen Information aufgesessen sein oder er hat übertrieben, um sich selbst ein gutes Zeugnis als ein um seine Untertanen be sorgter Landesvater auszustellen. Dessen ungeachtet scheint der Hinweis Josephs bezüglich des Desinteresses der bayeri schen Herzöge und späteren Kurfürsten für ihr Land östlich von Saizach und Inn die des öfteren vorgebrachte Ansicht zu bekräfti gen, daß das heutige Innviertel für Bayern seit dem ausklingenden Mittelalter weitge hend nur ein Vorfeld, eine Pufferzone, einen Aufmarschplatz darstellte; dazu bestimmt die nach Westen drängenden Habsburger elastisch abzufangen. Um die Inn-Salzachlinie gegen den Feind aus dem Osten verteidigen zu können, ent standen Brückenköpfe: das kleine Vorwerk Ach am Saizachübergang bei Burghausen sowie die Festungen Braunau und Schär ding. Auch Obernberg erhieltseine Burg, die allerdings die Passauer Bischöfe als die Herren von Obernberg errichten ließen. Die größte Bedeutung erlangte Braunau, das 1260 von Herzog Heinrich zur Stadt erhoben wurde. Von da an blieb die Siedlung ein Liebkind der Witteisbacher, sie drückten ihr ihren Stempel auf, und Braunauer Bürger zu sein, bedeutete - zumindest zeitweise - Auszeichnung und in vielen Fällen Wohl stand, obgleich die Stadt oft genug in Be drängnis geriet. Als entscheidend für die Förderung Braunaus erwies sich freilich nicht der Bürgerfleiß oder die Treue zum Herrscherhaus, sondern die Festung Braunau, die von Kurfürst Ferdinand Maria im 17. Jahrhundert zu einer der stärksten Fortifikationen in Bayern ausgebaut wurde. Die Festungsstadt Schärding gab sich da gegen vom Martialischen her bescheidener: in ihr spielte vor allem der Salzhandel eine Rolle, denn die bayerischen Herzöge miß gönnten Passau die günstigere Lage und wollten daher dessen Konkurrenz ausschalJoseph II, deutscher Kaiser 1765-1790, bis zum Tode seiner Mutter Maria Theresia für die österreichischen Länder nur Mitregent, verkörpert den aufgeklärten Absolutismus in Österreich. Porträt im Stadtmuseum Gmunden. Foto: H. G. Prillinger ten. Das gelang zwar nicht, aber in Schär ding profitierte man dennoch und nannte ei nen ganzen Stadtteil ,,Salzmarkt". In den Gewölben von Schärding stapelte man au ßerdem Wein, Bier und Tuchwaren, Ge treide und Holz, so daß der Abt von Vorn bach um 1600 feststellte: ,,Der Handel, be sonders der Salz- und Weinhandel, berei chert viele Schärdinger; auch fehlt es nicht an angesehenen Brauereien." Und in einem Bericht aus dem Jahre 1783 wurde ver merkt: ,,Obwohl die Stadt Schärding immer noch an den Folgen einer schweren Feu ersbrunst leidet, blüht der Handel rasch wieder auf. Das ist dem Innflusse zu verdan ken, der Schärding mit Nord und Süd enger verbindet, als das je Straßen vermögen. In nerhalb von Tagen legten hier mehr als drei ßig Schiffzüge an oder wurden abgefertigt. Sie führten die verschiedensten Waren, darunter viel Wein, Getreide und Güter aus Italien. An all dem wird in Schärding gut ver dient, und nicht nur in Schärding, sondern in allen Städten, die am Inn liegen." Das war Ried - erst 1857 zur Stadt erhoben - nicht vergönnt. Im Gegenteil: der Markt Ried - als solcher 1364 privilegiert - befand sich im Zentrum der Pufferzone und diente des öfteren als Sammelplatz wie etwa 1626, als sich Truppen des bayerischen Kurfür sten Maximilian bei Ried formierten, um in das aufständische Oberösterreich einzufal len. Im Mittelalter zog Ried die Streithähne aus Ost und West geradezu an, und wäh rend des Spanischen und österreichischen Erbfolgekrieges war es nicht anders. Trotz der Drangsale und Opfer blieben die Rieder Bürger - im Vergieich zu jenen von Braunau und Schärding-im Hintergrund und von den Wittelsbachern kaum bedankt. Aber Ried war - und ist es noch - Mittelpunkt eines Bauernlandes, das sogar in Krisenzeiten aus dem vollen schöpfen konnte, und das sicherte den Riedern einen gewissen Wohl stand mit vielbesuchten Markttagen, aus denen sich das Rieder Volksfest und schließlich die österreichische Landwirt schaftsmesse mit all ihren Nebenerschei nungen entwickelten. Über mehr Geltung als Ried verfügten etli che kleinere Orte - zumeist nahe von Salz ach und Inn und damit außerhalb des unmit telbaren Gefahrenbereiches gelegen. Dazu gehören beispielsweise der ,,königliche Weiler" Mattighofen, das bereits erwähnte Obernberg mit ,,Halsgericht" und Reichs freiheit, Mauerkirchen - Wallfahrerziel und Herrensitz - oder Ostermiething, schon in der Urgeschichte besiedelt und vermutlich ein Stützpunkt der Römer. Doch gerade die ses uralte Ostermiething ist ein weiteres Beispiel dafür, wie bayerische Siedlungen ostwärts der Flüsse Salzach und Inn im Windschatten verharrten: so wurde Oster miething unter dem ,,weiß-blauen Himmel" nie zum Markt erhoben, obwohl es schon zur frühen Baiernzeit ein wichtiges Verwal tungszentrum war, ausgewiesen durch eine Fülie von Urkunden und eng verbunden mit den Herzögen Tassilo II. und Heinrich dem Löwen. Auch die Klöster im ,,bayerischen Vorfeld" konnten sich nur bedingt herzoglicher oder kurfürstlicher Gnaden erfreuen. Dem Augustiner-Chorherrenstift Hanshofen nächst Braunau - ab 788 herzoglicher Hof, dann Pfalz und schließlich Kioster - erging es noch am besten: die Dotationen flössen bis in die Barockzeit, doch, verglichen mit ande ren bayerischen Stiften, muten sie eher dürftig an. Als Hanshofen auf Napoleons Geheiß nach dem Frieden von Schönbrunn wieder an Bayern gekommen war, wurde das Kioster 1811 kurzerhand aufgehoben und dadurch so sehr ins Mark getroffen, daß nur noch die ehemalige Stiftskirche gelten kann. Reichersberg hingegen verdankt sei nen Fortbestand vornehmlich der Tatsache, daß es während der Säkularisation in Bay ern zu Österreich gehörte, und das relativ kleine Kloster Suben am Inn fiel zwar den Josephinischen Reformen 1784 zum Öpfer, aber es hatte auch zuvor nie eine außergewöhniiche Stellung inne und hätte daher si-

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