Oberösterreich, 27. Jahrgang, Heft 4, 1977

Fische für Träume Erwin Gimmelsberger Das, sagte der alte Flußfischer zu Wieser, einem ent fernten Verwandten, der, seitdem er das Zimmer am frühen Nachmittag betreten hatte, auf dem Stuhl für Gelegenheitsbesucher saß, das war der Rohbau des Stalles, der erst im letzten Herbst fertig wurde. Ein Stall aus Selbstgebrannten Ziegeln. Ein Bau für viele Jahre. Einmal glaubte ich, sagte der alte Flußfischer, es würde ein Stall für eine gesicherte Zukunft sein. Das ist der Platz, auf dem die Bienenhütte stehen wird. Ein sicherer Platz für eine Hütte, groß genug für hundert Bienenvölker. Wenn es so etwas gibt. Eine Hütte mit einem eigenen Raum für den Imker. Dieser Imker werde ich sein. Was soll ich dazu noch sagen? Und das, sagte der Flußfischer, ist die Baumwiese hinter dem Haus. Die Wiese mit den Apfelbäumen und den drei Birnbäumen in der Mitte. Auch mit den Stangen für Netze, die es nicht mehr gibt. Lange schon nicht mehr in diesem Garten. Überflüssige Stangen für Netze, die mit den letzten Fischen in der Sonne verfaulten. Die Baumwiese bleibt tmverändert. Vorläufig jedenfalls. Jedenfalls vorläufig! Während der Flußfischer das sagte, langsam und so, als müßte er jedes Wort, das er zu sagen hatte, erst erfinden, aus dem Nichts holen, legte er Wieser, dem zweiten Mann seiner ältesten Nichte Hedwig, Farb fotos vor. Sechs mal neun Zentimeter. Die gewöhnliche Größe für gewöhnliche Alben. Es waren Farbfotos mit einem leichten, aber unüber sehbaren Blaustich. Ein unwirkliches Blau bedeckte Landschaften, die vorstellbar waren. Der alte Fluß fischer legte diese Fotos auf einen Tisch, der unge fähr in der Mitte eines nur mit dem Notwendigsten ausgestatteten Zimmers stand, das Wieser, dachte er an früher, größer und geräumiger in Erinnerung hatte. Vom Plafond glaubte er, daß er damals, zu der Zeit, an die er sich noch ziemlich genau zurückerinnern konnte, nicht so tief in die Stube hing. Nicht so tief wie jetzt, dachte er. Wieser betrachtete die Bilder. Zuerst oberflächlich, dann etwas genauer. Immerhin, es fiel ihm auf, kein Bild vom Fluß. Nicht ein Bild, das den Fluß hätte ahnen lassen. Was er sah, waren — so etwas mußte auffallen — durchwegs flußfeindliche Landschaften. Wieser hatte das nicht erwartet, aber er konnte die damit zusammenhängende Verzweiflung des alten Flußfischers noch nicht erkennen. Und jetzt, sagte der alte Mann, ein Bild in Schwarz weiß: Das ist der Stier Romulus I Woher dieser Stier seinen nicht alltäglichen Namen hatte, sagte der Flußfischer nicht. Er schwieg so, als wüßte er selbst für diesen unge wöhnlichen Namen keine brauchbare Erklärung. Vielleicht aber wollte er nur nicht daran erinnert werden, unter welchen Umständen der Stier Romu lus zu seinem Namen gekommen war. Natürlich ist das Bild nicht in der Lage, auch nur an nähernd die Gefährlichkeit dieses Stieres aufzuzei gen. Seine Kraft. Seine unvorstellbar unnütze Kraft, die, glaube ich, den Stall zu sprengen imstande ge wesen wäre, sagte der alte Flußfischer nach kurzer Pause. Was für eine sonderbare Idee, wunderte sich Wieser. Ein Flußfischer hält sich einen Stier. Einen Stier in einem Stall. Es war nicht zu übersehen, wie sehr sich Wieser darüber wunderte. Vielleicht sollte ich jetzt, vielleicht zum besseren Ver ständnis, wenn das möglich ist, oder vielleicht auch nur als Entschuldigung, sagen, daß der Stier ohnehin nicht mehr bei mir im Stall steht. Und nicht nur des halb, weil der Stall nicht zu ihm paßte und er nicht in diesen Stall. Weil sie verhältnismäßig nicht zueinander paßten, meine ich, sagte der alte Flußfischer, dessen Ver zweiflung nun erkennbar wurde. Erkennbar wie eine Krankheit. Der Stier wurde verkauft. An den Nächstbesten ver kauft. Dieser Nächstbeste hatte für mich keinen Na men, den ich über den Tag hinaus behalten hätte. Natürlich war es ein übereilter Verkauf, wie er einem übereilten Kauf folgen mußte. Zwangsläufig, sagte er, obwohl ihm dieses Wort „zwangsläufig" nicht geläufig war. Nachdem er das Wort „zwangsläufig" gesagt hatte, dachte er dieses Wort noch einmal. „Zwangsläufig", dachte er und wunderte sich über dieses Wort. Dieser Verkauf war notwendig geworden, schließ lich und endlich, fuhr der alte Mann fort, um neue Netze in den Fluß werfen zu können, was, wie ich damals hörte, mit einem Male nicht mehr ganz hoff nungslos schien. Wieser saß in der Stube des Flußfischers wie am An fang. Abwartend, wie auf ein Signal wartend, von dem er nicht wußte, wie es ihn erreichen würde. Er saß an einem Tisch, dem nicht mehr viel zuge mutet werden durfte. Dem man immer weniger würde zumuten können.

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