Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

Merksätze auf der Tafel, aber der „Held" sagte etwas ganz anderes. Diese offenkundige Widersetz lichkeit mußte natürlich bestraft werden, und zwar mit Stockschlägen. Der Lehrer,einer von den jungen mit überschüssiger Kraft, legte den Buben über das Knie und schlug mit einem geschälten Haselstock, der willkommenen Ausbeute eines Lehrausfluges,auf den Buben ein,der bei dieser Prozedur kräftig brüllte. Das war, da ja der Delinquent Held hieß, für viele Mitschüler noch ein zusätzlicher Spaß, an dem sie sich weideten. Diese Züchtigungen wiederholten sich oft. Obwohl kein ursächlicher Zusammenhang nach weisbar ist, soll hier doch auch der Genauigkeit hal ber des Umstandes Erwähnung getan werden, daß der Vater des Widerspenstigen ein Roßknecht war, kein Tugendbold, Most und Schnaps ergeben: aber zu Kindern und Pferden war er gut. Auch das andere Argument soll der Wahrhaftigkeit willen nicht ver schwiegen werden: es gab Eltern, die dem Lehrer freiwillig und schier mit Freuden das Züchtigungs recht abtraten. Es kam nämlich vor, daß der Lehrer, wenn Mütter in der Schule nachfragen kamen, vor sorglich den Stock in den linken Ärmel steckte, denn mit der rechten Hand mußte er ja immerhin die. Besucher begrüßen und dabei den Arm biegen. Der linke Arm war dann steif, als hätte der jxmge Lehrer mitten in der Friedenszeit eine Kriegsverletzung da vongetragen. Manchmal kam der Lehrer mit steifem Arm wieder in das Klassenzimmer zurück,öfter aber konnte er ihn befreit schwenken, und den Stock hielt er fröhlich in der hocherhobenen Rechten. An diesem Indiz erkannten wir, was vorgefallen war. Der geschlagene Held hatte jedoch,aus Notwehr oder aus Bosheit, das soll dahingestellt bleiben, eine Abwehrkraft besonderer Abgefeimtheit und Heimtücke entwickelt. Einmal, bei der Wiederholung der Proze dur, nachdem er wieder einmal verschlafen hatte, was auf der Tafel stand, geschah es plötzlich: er ließ es nicht mehr beim Schreien allein bewenden, er entlud zugleich seine Nase in einem schleimigen Strahl auf des prügelnden Lehrers Hose, in einem Ausmaß, das man im Dialekt meiner Heimat eine „Lezn" nennt. Der Lehrer, in der Hingabe an sein Strafamt, hatte diese Wendung zunächst gar nicht bemerkt. Aber die bei- und kniefälligen Lacher hiel ten, als sie den Vorgang erkannten,erschrocken inne und nur eine kleine Minderheit grinste schadenfroh. Erst diese plötzliche Stille in dem gewohnten Beifall machte den Lehrer stutzig, und dann sah er, was geschehen war. Held stand verdutzt und aus ver weinten Augen glotzend da, ganz verblüfft, daß die Tortur vorzeitig abgebrochen war, denn der starke Arm des Lehrers war noch keineswegs erlahmt. Er schaute träge zu,wie sein Profos verlegen mit spitzen Fingern die Schleimbatzen von der Hose löste, dabei in Richtung Papierkorb retirierend. Heute, nach vielen Jahren, will mir scheinen, daß in diesem Augenblick dem geschundenen Held eine Ahnung von der Kraft der Schwachen aufgedämmert war. In diesem Augenblick hatte er nämlich gesiegt, wenn es auch der Lehrer zunächst nicht wahrhaben wollte. Es stellte sich bald heraus, daß es beim richti gen Prügeln kaum eine Stellung gibt, in der sich der oben erwähnte Zwischenfall nicht ereignen könnte, sei es, daß der Ärmel, die Hose oder gar die Brust Gefahr lief, in der geschilderten Weise befleckt zu werden. Der zu Schlagende muß, damit er sich auch in sein Schicksal ergebe, zunächst einmal fest ange packt, gewissermaßen an sich herangezogen werden. Einen Erwachsenen kann man,wie man später erfah ren konnte,auf einen Bock schnallen, aber diese Zeit war damals noch nicht(ganz)gekommen,und außer-^ dem war Held, wiewohl ein verstockter Sünder,doch nur ein Kind. * * * Als wir meinen Vater begruben, sah ich ihn wieder (immer kommen wir erst wieder zusammen, wenn wir Väter und Mütter begraben). Er gehörte zu der Mannschaft der Sargträger, um sich sein spärliches Einkommen etwas aufzubessern. Wir sprachen ne ben dem Friedhof von den alten Zeiten, und ich fragte ihn:„Weißt du noch?"Er sah mich mit Augen hinter dicken Brillengläsern an, die schon immer einen halb staunenden,halb traurigen Ausdruck vor täuschten, und wußte sofort, wovon die Rede war. „Weißt du", sagte er,„erst viel später hat ein ande rer Lehrer entdeckt, daß ich eineHornhautkrümmung habe und ich deshalb nie richtig lesen konnte." * * * Es hatjeder Landstrich seinen Professor Unrat.Reden wir von den unsrigen. * * * Man wird in jenem Grade verwandt, als die Person, durch welche die Schwägerschaft geschieht, mit der anderen verwandtist.

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