Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 3/4, 1965

Otto Lackinger Entwicklungstendenzen in Oberösterreich Die Gesamtstruktur eines Landes mit all ihren Teilbereichen, wie Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Siedlungs-, Verkehrs struktur usw., wandelt sich ständig. Die Veränderungen sind umso größer, je stärker die ihnen zugrunde liegende Dyna mik ist. Auch in Oberösterreich hat eine Reihe von Prozes sen — die Industrialisierung, die Umformung der Land wirtschaft, die Verstädterung und die damit Hand in Hand gehende Landflucht, das Siedlungswachstum bei gleichzeiti ger Verkleinerung der Haushalte, die Motorisierung des Individualverkehrs usw. — zu einer solchen Fülle von Ver änderungen geführt, daß es sehr schwer ist, sie in ihrem ganzen Ausmaß und in ihrer Tragweite zu überblicken. Die nunmehr seit einem Jahrzehnt durchgeführten viel fältigen Untersuchungen des Strukturwandels in Oberöster reich lassen jedoch die wesentlichen Entwicklungstenden zen ziemlich klar erkennen. Der folgenden Darstellung gilt es eine grundsätzliche Be merkung voranzustellen. Die aus der Entwicklung der Be völkerung, der Wirtschaft, anderer Teilbereiche oder der Gesamtheit erkennbaren Tendenzen stellen in jedem Falle eine Verallgemeinerung einer Reihe von Entwicklungs prozessen dar. Generalisierungen sind dabei in sachlicher Hinsicht ebenso unvermeidlich wie in regionaler. Von ört lichen oder speziellen Gesichtspunkten aus lassen sich daher stets Zweifel an den aufgezeigten allgemeinen Grundzügen anbringen. Der Einwand „das trifft doch in diesem Ort oder auf jenem Sektor nicht zu", wird daher nicht selten — an Einzelbeispielen belegt — ins Treffen geführt. Diese Ein wendungen werden umso massiver, je mehr bei der Be trachtung subjektive und nicht objektive Maßstäbe angelegt werden, je stärker versucht wird, Wunschvorstellungen und Werturteile einzubeziehen. Es ist nicht Aufgabe der Raumforschung im allgemeinen und dieser Ausführungen im besonderen, darüber zu urtei len, ob eine erkennbare Entwicklungstendenz — etwa der allmähliche Entsiedlungsprozeß in gewissen Gebieten — gut oder schlecht ist, ob man ihn bedauern und verhindern oder mit der Bemerkung abtun soll, hier sei „die einstige Land nahme zu weit gegangen". Aber es ist eine unabdingbare Aufgabe, die Folgen einer bestimmten Entwicklung aufzu zeigen, sofern sie sich objektiv darstellen lassen. Doch gerade dieses Aufzeigen der voraussichtlichen künftigen Entwick lungsmöglichkeiten wird den in der Raumforschung Tätigen nicht selten als Schwarzmalerei oder im positiven Falle als Schönfärberei vorgeworfen, weil man vermeint, mit dieser Projektion erkennbarer Entwicklungstendenzen auf einen künftigen Zeitraum verbindet sich bereits ein Werturteil, eine Ablehnung dieser oder eine Befürwortung jener Mög lichkeit. Die Frage, ob eine sich abzeichnende Entwicklung ange strebt, gefördert oder verhindert werden soll, gehört jedoch bereits in den Bereich der Raumordnung. Sie hängt engstens zusammen mit dem Leitbild, der Vorstellung, wie unser Lebensraum in absehbarer Zukunft gestaltet werden kann und soll. Die Raumordnung ist aber eine gesellschaftspoli tische Aufgabe, die über den Rahmen der rein wissenschaft lichen Betrachtung hinausgeht und in den Bereich der politi schen Entscheidung fällt. Die Grundtendenz der Entwicklung in Oherösterreich ist die fortschreitende Konzentration. Sie läßt sich auf dem Gebiet der Bevölkerung, der Wirtschaft, siedlungsmäßig und verkehrsmäßig, nahezu generell feststellen. In der Bevölkerungsentwicklung der letzten zwei Jahr zehnte kommt dieser Konzentrationsprozeß besonders an schaulich zum Ausdruck. Zunächst schien allerdings die Flüchtlingswelle nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eher eine gegenteilige Entwicklung einzuleiten. Doch die weiträumige Verteilung hunderttausender neuer Bewohner war nur von kurzer Dauer. Ihre volle wirtschaftliche Inte gration beschleunigte im darauffolgenden Zeitraum den Pro zeß der Bevölkerungskonzentration nachhaltig. Und dieser Prozeß ist wie folgt zu charakterisieren: immer mehr Be wohner konzentrieren sich in immer weniger Gemeinden. Am deutlichsten kommt die Konzentrationstendenz — großräumig gesehen — im Bevölkerungswadistum des oberösterreichischen Zentralraumes zum Ausdruck. In diesem knapp ein Achtel der oberösterreichischen Landesfläche umfassenden Gebiet, in welchem die Städte Linz, Eferding, Wels, Steyr und Enns liegen, wohnte vor dem zweiten Welt krieg kaum ein Drittel der oberösterreichischen Gesamt bevölkerung. Im Jahre 1951 waren es dagegen bereits 37 Prozent, 1961 schon 40 Prozent und mittlerweile ist die ser Anteil auf 42 Prozent gestiegen. Fast eine halbe Million Menschen lebt heute bereits im Zentralraum gegenüber nur 293.000 vor drei Jahrzehnten. Da die Einwohnerzahl Oberösterreichs in den letzten Jahren nur sehr langsam gewachsen ist, hatte die Bevölkerungs konzentration im Zentralraum und in einigen wenigen an deren Zentren eine entsprechende Bevölkerungsabnahme in den übrigen Landesteilen, insbesondere in den Randgebieten Oberösterreichs, zur Folge. Die nahezu geschlossene Be völkerungsabnahme des Innviertels, die beträchtliche Ver ringerung der Einwohnerzahl im oberösterreichischen Al pen- und Voralpenbereich sowie die fortschreitende Ab wanderung aus den Randgebieten des Mühlviertels sind die Kehrseite dieser Entwicklung. Neben dieser großräumigen Bevölkerungskonzentration gibt es jedoch auch eine kleinräumige Tendenz gleicher Art. So haben inmitten von Gebieten mit, im gesamten gesehen, abnehmender Bevölkerung einzelne zentrale Orte — Verwaltungs- oder Industriezentren — eine Bevölkerungszu nahme zu verzeichnen, z. B. Braunau und Mattighofen im Bereich des Innviertels, Kirchdorf/Micheldorf im Bereich des Krems- und Steyrtales. Ein solches Zentrum konzen triert einen Teil des BevöLkerungsverlustes seines engeren und weiteren Umgebungsbereiches auf sich. Und schließlich vollzieht sich dieser Konzentrationsprozeß auch innerhalb der kleinsten Verwaltungseinheiten, der Ge meinden. Die Mehrzahl der oberösterreichischen Gemeinden besteht — entsprechend der in unserem Land anzutreffen den Siedlungsstruktur — nicht nur aus einer Ortschaft und deren Gemarkung (wie dies z. B. in weiten Teilen Nieder österreichs der Fall ist), sondern aus einer mehr oder min der großen Zahl von Ortschaften. So besteht z. B. die Gemeinde Gunskirchen aus 54 Ortschaften verschiedener Größe. Während nun die Gemeindehauptorte meist eine Bevölkerungszunahme aufweisen, nimmt die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften oft außerordentlich stark ab, ja nicht selten werden einzelne, besonders verkehrsent legene Ortschaften förmlich entsiedelt. Es bedarf allerdings spezieller Untersuchungen, um diesen in seinem ganzen Aus-

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