Oberösterreich, 15. Jahrgang, Heft 1/2, 1965

KURT HOLTER Die Kunst der Donauschule 1490 —1540 Der Name Donauschule wurde im Jahre 1907 von dem heute hochbetagt in München lebenden Kunsthistoriker Dr. Her mann Voß in eine Diskussion geworfen, in der fast gleich zeitig auch der Begriff des „Donaustiles" verwendet wurde. Er sollte auf eine Gruppe von Gemälden, Zeichnungen und Graphiken hinweisen, deren Entstehung im Gebiete der Donau zwischen Ingolstadt und Wien festgelegt worden war. Wenn wir von einer Problematik dieses Stiles sprechen, so gilt dies in mehrfacher Hinsicht. Die zeitliche Abgrenzung ist ziemlich einhellig auf die ersten vier Jahrzehnte des 16. Jahr hunderts anerkannt, das letzte Dezennium des 15. Jahrhun derts schuf wichtige Grundlagen hiefür. Knapp nach dem Jahrhundertwechsel erfolgte eine fast explosive Ausbildung der wesentlichen Eigenheiten, die das „Mittelalter" weit hinter sich ließen, die nächsten Jahrzehnte brachten die Höhepunkte, um dann allmählich zu verflachen. Um die Mitte des 16. Jahr hunderts sind zwar in einzelnen Schichten noch Wirkungen zu verspüren, dann ging die Entwicklung jedoch in einen oft mals steifen Manierismus über, der den „Sturm und Drang" der Frühzeit gänzlich vermissen läßt. Ein sehr wesentliches Problem kann mit dem Versuch einer örtlichen Abgrenzung angedeutet werden. Es zeigt sich zwar, daß die Kunst in Regensburg und Passau, in Salzburg, im Bereiche des heutigen Ober- und Niederösterreich, und hier vor allem in Krems und Wien, von dieser geistigen und stili stischen Bewegung so sehr ergriffen war, daß daneben kaum eine andere künstlerische Entwicklung festgestellt werden kann. Aber diese Bewegung dringt darüber hinaus in die Steiermark vor und in Böhmen und Mähren ein, sie erfaßt die Künstler in Ungarn und in der Slowakei, ja sogar in Siebenbürgen; ebenso ist sie auch im Westen verbreitet. Die Frage, ob die Entwicklung in Tirol um den maximilianeischen Hofkünstler Jörg Kölderer die Voraussetzung für den neuen Stil geschaffen hat, hat lange Zeit die Geister bewegt. Auch in der Schweiz, am Ober- und am Niederrhein finden wir Künstler, die von den gleichen Vorstellungen bewegt sind und manchmal von den Meistern entlang der Donau inspiriert erscheinen. Nach Norden zu ist Oberfranken trotz der Nähe von Nürnberg, sind Gruppen in Mitteldeutschland, ja ist die lübische Kunst von einzelnen „Donauschul"-Meistern mitbestimmt worden. In letzter Zeit — und diesem Anliegen gilt besonders die Ausstellung des Jahres 1965 — hat die Problematik dadurch eine bedeutende Erweiterung erfahren, daß man feststellen konnte, daß nicht nur die malerischen und graphischen Künste, sondern auch das Gebiet der Plastik von diesem Stil ergriffen worden ist, und daß auch die Baukunst, die gotische Architek tur, Formen aufweist, die sie aufs engste mit dem neuen „Kunstwollen" verbinden. Bei der Plastik mag es sehr nahe liegend sein, da die großen künstlerischen Aufträge der Zeit, insbesondere die Flügelaltäre, in gemeinsamer Zusammen arbeit von Malern und Bildschnitzern gefertigt wurden. Es ist oftmals nicht oder nur sehr schwer möglich, die Beteiligung einzelner Künstler sicher voneinander zu scheiden. Bei der Architektur freilich ergeben sich Probleme, die an die Grund lagen des Donaustiles greifen. Einzelne seiner Elemente, z. B. die Landschaft und ihre Einbeziehung in die Kunst, können auf die Architektur kaum übertragen werden. Andere, wie das Ornament, oder die grundsätzliche Entscheidung zwischen den alten, den „gotischen" Formen und den neuen, rasch vom Süden vordringenden Renaissanceornamenten, bzw. ihre oftmals zu beobachtende Durchdringung, all das stellt die Forschung vor interessante, noch nicht endgültig ent schiedene Fragen. Wir möchten nunmehr versuchen, das Wesen, die stilistischen Eigenheiten der Donauschule zu umreißen. Die Kunstwerke der Donauschule heben sich aus der reichen Fülle der sie umgebenden Kunstströmungen durch einige bestimmte Ele mente ab: durch die Verwendung der Landschaft, die beson dere Ausdruckskraft der Darstellungen, durch die Linie und durch die Farbe. Die Entdeckung der Landschaft für die Verwendung in der bildenden Kunst hat mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht. Sie war gewiß in früheren Zeiten, z. B. ein Jahrhundert zuvor, in Süddeutschland oder noch früher von italienischen Künstlern aufgegriffen worden, aber sie blieb im Hintergrund, Staffage, im besten Fall ein beglei tender, lyrischer Effekt. Um und nach 1500 wird dies anders. Immer wieder werden landschaftliche „Porträts", Stadt- und Burgansichten, in die Altarbilder hineingestellt; Dürer geht noch weiter. Es ist allgemein bekannt, daß er von seiner Italienreise eine Anzahl von Landschaftsskizzen mitgebracht hat, die allein für sich stehen können. Die Landschaft der Donauschule ist in der Entwicklung noch weiter akzentuiert worden. Auch sie steht oftmals für sich allein, sowohl in graphischen Blättern als auch auf Tafelbildern. Aber sie verharrt nicht in der Naturtreue, sie wird ein hervorragender Ausdrucksträger. Sie wird zu einem der bemerkenswertesten Elemente des neuen Stiles, gleichgültig ob sie als Hintergrund auf den verschiedenen wichtigen Porträts auftritt, wie sie die Donauschule mit Vorliebe geschaffen hat, oder ob sie heiliges, oftmals auch mythologisches Geschehen umrahmt und in ihrer Wirkung verstärkt. Es ist nicht ein Baumschlag ge meinhin, was man auf diesen Blättern findet, oft sind es Weiden, noch häufiger Lärchen oder Fichten, Bäume, deren Zweige und Äste vom Stift des Zeichners wie von einem innerlichen Sturm erfaßt werden. Manchmal, besonders bei den Hauptmeistern, treten wir vor Landschaften hin, die mit diesem einfachen Wort gar nicht mehr erfaßt werden können. Es handelt sich um eine Weltschau, um Darstellungen, die man getrost als kosmisch bezeichnen darf, da viel mehr in ihnen zu finden ist, als eine Ansicht von dort und damals. Wenn damit die Ausdrucksgewalt ins Treffen geführt ist, so darf man bemerken,daß diese überhaupt für die Werke dieses Stiles als ein Hauptmerkmal zu bezeichnen ist. Sie hat zweifel los ihre Zeitgenossen erfaßt, und wir verspüren sie noch heute, nach den vielen seither vergangenen Jahren. Dies gilt auch für die vielleicht äußerlichste Schicht, für die Gewänder, deren Falten nun nicht mehr wie zur Zeit der Gotik Stilmittel und oftmals Ornament, sondern die wiederum zu Ausdrucks trägern werden. Hier schießen sie wie Orgelpfeifen in Paralle len auf und nieder, dort machen sie in auffallenden Bre chungen und vielfachen Farbeffekten die großen Schwünge irreal und unwirklich. Man kann sie nicht leicht auf einen Nenner bringen, wie überhaupt die Donauschule voll von Widersprüchen und Gegensätzen ist. Die Ausdrucksgewalt ergreift alle agierenden Menschen, die Heiligen ebenso wie die Schergen. An diesen, oftmals aber auch an jenen wird der Abgrund des Menschen in derben Fratzen und wilden Gesten in unübertrefflicher Weise sym bolisiert. Gewiß ist auch die bürgerliche Malerei der Mitte

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2