Oberösterreich, 14. Jahrgang, Heft 3/4, 1964

großen Wohnung oder direkt nebenein ander in zwei Wohnungen, die im Bedarfsfall ineinander übergehen kön nen. Diese beiden Mütter sind seelisch und körperlich aufeinander angewiesen; sie ergänzen einander bei der Erziehung und Beaufsichtigung und bei der oft sehr schwierigen Behandlung und Unter stützung bewegungsgehemmter Kinder und lösen zu zweit viel leichter die an strengende Aufgabe, diesen durchwegs schwerfälligen Kindern eine gute und geduldige Mutter zu sein. Auch die Frage der Ablöse an freien Tagen oder zur Urlaubszeit kann auf diese Weise zufriedenstellender geregelt werden; wenn eine Mutter für die andere ein springen kann, brauchen die Kinder den vertrauten Kreis, das vertraute Gesicht nicht entbehren — eine wesentliche Not wendigkeit gerade für diese geistig sehr labilen behinderten Kinder! Eine andere Besonderheit von St. Isi dor ist die zentrale Dorfküche. Die Mütter brauchen sich nicht selbst mit Kochen zu belasten, sie können, wenn ihnen dies recht ist (denn es steht ihnen frei), die Mahlzeiten fertig beziehen. Das bedeutet für diese Frauen mit ihrer außergewöhnlichen nervlichen und auch physischen Belastung eine sehr spür bare Erleichterung des Berufes, und sie machen auch gerne Gebrauch davon. Auf diese Weise bleibt den Müttern mehr Spannkraft für die zeitraubende Nachhilfe bei den Schulaufgaben und für die vielen therapeutischen Bewegungs- und Geschicklichkeitsübungen, die konsequent durchgeführt werden müssen, sollen sie dem Kind eine tat sächliche Besserung bringen. Was aber sonst noch an Haushaltsobliegenheiten anfällt, wird von den Müttern selbstän dig durchgeführt, genauso, wie auch der Sonntagskuchen, die Geburtstags torte oder sonst eine besondere Kleinig keit — zum großen Vergnügen der Kinder — daheim in der eigenen Küche bereitet werden. So wird den Kindern unbewußt mancher Handgriff geläufig, der ihnen später helfen kann, ihr Leben in bescheidener Weise zu meistern. Noch ein drittes Merkmal ist hier eigentümlich: es gibt in St. Isidor keine gemischten, sondern nur Buben- und Mädchenfamilien. Auch diese Entschei dung hat ihren Grund in der Behinde rung der Kinder und ist im Hinblick auf die psychische Labilität sowohl weise als auch notwendig. Aber abgesehen von diesen einzelnen, speziell notwendigen Andersheiten geht das Leben in normalen Bahnen vor sich. Das Bild der Familien präsentiert sich ganz nach der Vorstellung und Art der Mütter. Das gibt genauso wie in Alt münster den Kindern von St. Isidor gleichzeitig Geborgenheit und eine größere Offenheit, und da sie aneinan der die verschiedensten Gebrechen kennenlernen, fühlen sie sich selbst nicht mehr so anders, so ausgestoßen. Mitleid und Hilfsbereitschaft gehen reihum, ein jedes der Kinder ist innerhalb seiner Möglichkeiten einem anderen behilflich, so erwachen beinahe spielend jene Eigenschaften, die auch das behinderte Kind allmählich in die Gemeinschaft der großen Welt eingliedern werden. Und darin besteht das Ziel von St. Isidor. Dieses Dorf will auch die Kinder mit beschränkter Berufs- und Lebensmöglichkeit in die Welt hinein führen — es will sie fähig machen, sich zu bewähren. Nicht Bettler sollen aus diesen Kindern werden, denen wir in Gottes Namen ein geringschätziges Almosen zuwerfen — sondern Menschen, die wohl bescheiden, jedoch im Ausmaß ihrer Kraft ihren Beitrag zum Leben der Allgemeinheit leisten. Nicht Mitleid allein dürfen wir ihnen darum geben, sondern Rehabilitation, Aner kennung ihrer Fähigkeiten, denn nur diese Rehabilitation erlöst sie aus ihrem unverschuldeten Exil. Die Schulen des Dorfes — Landes-Sonderschulen — be mühen sich intensiv, diesem Ziel nahe zukommen. Nicht so sehr Wissen als vielmehr praktische Erziehung ist die Aufgabe dieser Schultypen, und wirk lich erweist sich jede einzelne Unter richtsstunde dem Beobachter als eine konkrete Bemühung, die Kinder auf das Leben vorzubereiten. Es ist ein anstren gender Unterricht für die Buben und Mädchen, die teilweise kaum verständ lich sprechen können oder denen es vielleicht die größte Mühe macht, einen Bleistift in der fast gelähmten Hand zu halten. Atemübungen, Geschicklich keitsübungen, Sprachübungen sind not wendige Teile des Unterrichts, und alle diese Versuche müssen für die Kinder wie Spiele wirken, damit die Schwierig keiten leichter gemeistert werden kön nen. Auch für die Lehrpersonen sind 28

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