Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 3/4, 1954

und Hörbarwerden eines bewußten oder unbewußten Kulturwollens. Diese Leistung finden wir gleichermaßen in Wien und in der Provinz. Es gibt auch keinen Unterschied in Bezug auf die Symbolleistung der Kultur. Beide Pole haben auch gemeinsam die große Gefahr, die von der Verflachung her droht. Es gibt viele Wege, sehr tückische Schleichwege zumeist, auf denen Geschäftstüchtigkeit und Geistlosigkeit die Kultur untergraben und aushöhlen wollen; einer davon, ein Geschenk unserer Zeit, ist der Radiotismus, der nicht Kulturbringer und -erhalter, sondern Zerstörer ist. Kultur gedeiht bei Sammlung, nie aber durch Zerstreuung der Seele. Radiotismus aber führt zur Zerstreuung, zur Verflachung. Eine fühlbare Abnahme kultureller Erscheinungen, ein Verlieren der Kulturhinneigung (im Vergleich etwa zum kulturfördernden Tun und Bereitsein vor Jahrzehnten), ist heute unverkennbar geworden und bereitet Nachdenklichen und Besorgten in der Provinz, wie in Wien, die gleichen Sorgen. Die nivellierende Wirkung dieser negativen Erscheinungen ist schon Zeichen einer Unkultur, denn Kultur ist in der Aufnahme auf Nichtmasse gestellt. Auch dies ist eine Gemeinsamkeit der beiden Felder ,l\fien und Provinz. Was ist dann verschieden? Die Großstadtkultur Wiens hat als Kultur der Metropole ihre bestimmte Eigenart. Sie bildet sich durch Verschmelzen verschiedenartiger Strömungen, Bewegkräfte und Richtungen, und zu ihrem Werden und Bestehen ist die Herkunft und Weiterbildung von Trägern aus der Provinz ebenso notwendig wie die Vermengung von Einflüssen aus vielen Völkern und Herkommen. Volkmäßige, nationale, geistige und religiöse Gegebenheiten haben in ergänzender und gegensätzlicher Wirkung die Kultur der Großstadt gebaut, die ihrer Herkunft nach eine Vielfalt in der Einheit ist. Diese Herkunftsdeutung sagt auch etwas vom bestimmenden Charakter dieser Kultur aus: Großstadtkultur ist Weltkul tur, auch bei Wahrung der Eigenart. Sie muß immerfort aus der Weite der Kulturwelt a ufnehmen, was sich ergänzend, befruchtend und aus Gegensätzen wirkend in sie eingießen läßt. Sie muß personal und gegenständlich mit Nachbarn auf gleicher oder verschiedener Höhe in Verbindung sein. Sie muß schließlich ihre Wirkung zum Teil auch in den Gesamtkulturraum der Völker ausstrahlen, wenn sie nicht am Abschluß innerlich ersticken soll. Man ist versucht, die Großstadtkultur als Entelechie zu verstehen, weil sie in der Ausformung zur letzten Stufe ihre Wesensart hat und bildet. Dieser innere Prozeß, der aus vielen Wurzeln gespeist wird, reift sich zur Frucht aus, die groß und saftig am Baum des Lebens hängt, mit der Bestimmung, genossen zu werden. Die Großstadt hat hiezu die Voraussetzungen. Für die Resonanz der Kultur ist nur hier der Boden, der große Raum vorhanden; die wirtschaftlichen Voraussetzungen in der großen Menschenansammlung, in technischen Möglichkeiten sind hier gegeben. Es ist nicht verwunderlich, sondern gehört zum Bild, daß wir uns unter Großstadtkultur immer auch etwas Geschichtliches vorstellen. Wer in unserem Falle Wien sagt, sagt auch Geschichte und meint dann Europa. Was war Europa bis gestern anderes als die Nachwirkung des schöpferischen Geistes der Antike in einer christlichen Kulturperseveration, entfaltet in der Behütung der europäischen Ordnungsmacht des römischdeutschen Reichsgedankens, wobei die sich verdichtende Latinität der mittelalterlichen Kultur sich als biologische Träger und Blutspender Romanen, Germanen und Slawen gleichermaßen einverleibte. All dies war Wien, der Aufhängepunkt des Pendels, das von hier angezogen und abgestoßen wurde nach Osten und Westen, nach Norden und Süden ausschlug und zurücktrug. Wer aber, der Geschichte abhold, seine Augen nur der Gegenwart öffnen will, auch der kann sich nicht verschließen vor der anderen Einsicht, daß noch immer die Wege von Wien weg in die Provinz führen, auf denen Träger und Schaffende der Kultur, Dichter und Schauspieler, Sänger und Maler, Komponisten und Baumeister mit ihrem geistigen Gepäck fahren und einen Leuchter an einem Orte aufstellen, der gnadenhell strahlt. Denn so wie Wien Europa war, bis gestern, sagten wir, so ist es auch heute noch Österreich. Gerade weil Österreich in seinem Wesen und geschichtlichen Werden so stark von föderalistischen Kräften geformt wird, braucht es Die Kunstformen aus dem barocken Wien wiederholen sich in reizvoller Abwandlung in den kleinen Städten am Lande. Oben: Dreifaltigkeitssäule in Eferding. Linke Seite: Die Rokokofassade des Steyrer Rathauses. Photos: A. Feichtenherger das Zentrum Wien als Sammelpunkt und Widerstrahlungsstelle der einzelnen, so mannigfaltig aufbauenden Provinzkräfte. Wien ist der Schmelztiegel, in dem das Kulturerz der Länder mit ihren Besonderheiten zum österreichischen Gold zusammengeglüht wird. Wenn vorerst der Begriff der Entelechie für die Wesenheit der Großstadtkultur herangezogen wurde, so darf hier der gleiche Gedanke auch für die Bildung in der Zeit und aus den einzelnen Quellen angesprochen werden. Woher kommt aber eigentlich Kultur? Nicht zuletzt aus Kult? Hat die Hochform der künstlerischen Betätigung - um etwas aus dem Gesamtbestand herauszugreifen - nicht ihre Anfänge in den Tiefenschichten kultischer Vorgänge, die wir zum großen Teil noch in unserem Volksbrauch der Alpenländer erkennen und verstehen? Diese Anfänge kommen aber aus dem Boden der Heimat, haben Wurzel und Nahrung darin und bleiben die Kraft für ein unversiegbares Wachstum, solange das Echte nicht im Faulboden der Entartung verschüttet wird oder im Sande der Nachahmung verrinnt. Aus diesen Tiefen, aus dem einheitlichen Volkstum des Stammes, der Landschaftsgebundenheit mit ihrer besonderen Lebensart und Sitte, aus religiösen Urvorstellungen quillt Brauchtum, Vorläufer und Beginn der Kultur mit aller Entfaltung in handwerklicher Kunst, in Spiel, Gesang und Tanz und anderen Äußerungen volklebendigen Seins. Hier, von der Provinz aus 29

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