OÖ. Heimatblätter 1967, 21. Jahrgang, Heft 3/4

es vermag die schaffenden Kräfte unserer Seele aufzurufen, daß die Gestalten, die er vorführt, von uns unbewußt nachgebildet, wie lebend an unserem geistigen Auge vorüberschreiten, daß unser Herz ergriffen wird von der Trauer, die ihn durchzittert, von der Freude, die ihn emporträgt. Des Dichters Seele ist wie ein Spiegel; er gibt uns nicht die Dinge, aber doch ihr Bild. Je klarer seine Seele ist, desto klarer spiegeln sich in ihr die Dinge,je tiefer sie ist, desto mehr enthüllt sich ihm der Geist, der in ihnen wohnt, und was unserem Auge sonst vielleicht für immer verborgen geblieben wäre, das blicket aus des Dichters Seele lichtvoll uns entgegen." Schiller war der Ansicht, daß die Wahrheit, wenn sie aus der Wissenschaft vertrieben werde, in die Kunst flüchten müsse. So ging er hin, ihr in der Dichtung eine Stätte zu bereiten. (Sein Gedicht „Die Künstler".) 3 Es ist hier nicht die Absicht zu wiederholen,was man in den Stifterbiographien finden kann. Zusammenfassend kann gesagt werden: Aus dem fachlichen Interesse Stifters für Aprent entwickelte sich alsbald ein menschliches, aus der Zusammenarbeit am Lesebuch das be glückende Erlebnis des Dichters vom Verstandenwerden seiner eigenen dichterischen Ab sichten. Der große Roman „Der Nachsommer" (beendet am 12. September 1857) stimmt in seinen Erziehungsgrundsätzen mit Aprent vollkommen überein. Dieser hinwiederum bringt in seiner Stifterbiographie' an Stifterzitaten fast ausschließlich solche aus dem „Nachsommer" in großer Zahl zur Charakterisierung der Persönlichkeit von Stifter selbst. Ein Beweis,daß sich ihm das Verständnis Stifters gerade von der Seite des Erziehungsromanes her erschloß. Aprents Maxime „Rede, daß ich dich sehe" begarm für die Biographie zu wirken. Stifter redete und Aprent sah ihn. Sein Blick sog die Kraft aus dem Erzieherberuf, der für Kinder und Jugend das geschärfte Auge hat. Und so ist die Verwandtschaft des dichterischen Genius mit dem Kindgebliebenen im Menschen in Aprents Stifterbiographie, die ihm der Dichter selbst übertrug, überzeugend zum Ausdruck gebracht worden, und nicht zuletzt an der folgenden Stelle: „Diese Freude an der Schönheit der Dinge und den reinen Blick, welcher diese Schönheit überall findet — diese beiden höchsten Dichtergaben, die für die ersten Kinderjahre wohljedem Menschen geschenkt sind, bewahrte sich Stifter sein ganzes Leben, und sie bilden einen charakteristi schen Zug seines Wesens." Anton Schlossar hat die Leistung Aprents als Biographen rühmend an die Spitze aller sonsti gen Lebensbeschreibungen Stifters gestellt, dies allerdings vor Erscheinen des Werkes von A.R.Hein, das aber in vieler Hinsicht einen beklagenswerten Abfall von der Höhe Aprents darstellt. Den Zeitgenossen fehlte im allgemeinen der Blick für das Methodische des Er zieher-Philosophen, so zum Beispiel der Baronin Amelie von Handel, wenn sie sich über das Verhalten Aprents zu Stifter so äußert: „Er (Stifter) verlernte das Diskutieren und verlor sich ins Dozieren, weil er keinem Widerspruch begegnete, der ihm die Spitze bieten konnte. Aprent hätte es, dem Wissen und Können nach, vermocht, aber Aprent war weder Kritiker noch Polemiker. Er idealisierte sich Stifter, um ihn besser zu genießen."® Ein solches Urteil 'Johann Aprent, „Adalbert Stifter / Eine biographische Skizze", neu herausgegeben von Moriz Enzinger. Nürnberg 1955 (vergriffen). ® Alois Raimund Hein,Adalbert Stifter,Sein Leben und seine Werke'. Wien-Bad Bocklet-Zürich 1952, S.593. Das Urteil von Schlossar in „Allgemeine Deutsche Biographie", 36. Band, 1893.

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