Die Stiftskirche von Garsten

Im Jahre 1683 wurde die Arbeit am 26. April mit gesamter Hand aufgenommen, nachdem die Stukkateure schon einige Zeit früher ans Werk gegangen waren. Man war unermüdlich bis in den Sommer hinein tätig, da brach plötzlich der Türken krieg los und zwang zum Abbruch der Arbeiten. Es war der zwanzigjährige Waffenstillstand mit der Pforte abgelaufen, auch wurden die Türken durch den ständigen Aufruhr der Ungarn unter Tököly ermutigt. Am 10. Juli gab es in Steyr große Aufregung wegen der angeblichen Flucht des Kaisers aus Wien und seiner unmittelbaren Verfolgung durch den Feind. Als am 14. Juli tatsächlich 200.000 Türken unter Kara Mustafa vor Wien standen und einige Scharen gegen die Enns heraufzogen, machten sich in Steyr viele zur Flucht bereit. In Garsten traf der achtzigjährige Abt sofort die nötigen Anstalten. Archiv und Bibliothek wurden in sicheren Gewölben geborgen, der Kirchenschatz sollte über Mondsee nach Salzburg geflüchtet werden. Unterdessen hatten die Landstände das Ennsufer bis Steyr be ­ setzen lassen, in Steyr und Garsten führten der Bürgermeister und Dr. Wenzel Gall den Oberbefehl. Am 19. Juli reiste der schwerkranke Abt in Begleitung des Priors und Apothekers in einer Sänfte nach Spital am Pyhrn, wo er im Stifte liebevolle Aufnahme fand. Am 29. August veranstalteten die Steyrer eine Bittprozession zum Bertholdigrab. an der über 8000 Personen teilnahmen. Da die Soldaten in Garsten eine bessere Ent ­ lohnung bekamen, meldeten sich viel zum Waffendienst, so daß man bald ein Fähnlein von 72 Mann zum Schutze des Klosters beisammen hatte. Als die Nachricht von der Belagerung der Stadt Tulln eintraf, machte sich auch der Konvent zur Flucht bereit, doch kam es nicht mehr dazu 88 ). Am 12. September wurde Wien entsetzt. Am 12. Ok ­ tober starb Abt Roman, den man wegen seiner Schwäche zuvor in einer Truhe liegend heimgebracht hatte. Mit ihm verlor Garsten einen außerordentlich tatkräftigen Mann, der durch 41 Jahre die Geschicke des Klosters geleitet und die seit den Tagen des hl. Berthold glänzendste Epoche heraufgeführt hatte. Klug und sparsam in seiner Wirtschaft, dafür großzügig in jeder Unternehmung, tadellos in seinem Leben und von einer tiefen, inneren Frömmigkeit erfüllt, hat er den Neubau der Kirche nicht aus persönlichem Geltungsbedürfnis unternommen, sondern in der Absicht, der Ehre Gottes und dem Ansehen des christlichen Glaubens zu dienen. Dem Abt ging es aber um mehr als um den Kirchenbau. Im Verlauf der Jahr ­ hunderte hatte man. je nach Bedarf und oft ohne viel Rücksicht auf eine einheitliche Planung, viele Kleinbauten aneinandergefügt, so daß die Gesamtanlage wie in kaum einem anderen Kloster unübersichtlich geworden war. Diese unorganische Vielfalt mußte nun einer einheitlichen Anlage weichen. Dabei sollte in Garsten, erstmals in Österreich und ganz im Sinne des Barock, die Gesamtanlage einheitlich auf die Haupt ­ achse der Kirche ausgerichtet werden. Da der Neubau der Abtei schon 1682 im Gange war, zeigt sich deutlich, daß der österreichische Barock schon vor dem großen Türken ­ siege sein Lebensgefühl voll entfaltet hatte. Abt Roman fand einen würdigen Nachfolger in dem am 7. November 1683 zum Abt gewählten und am folgenden Tag durch Franz Anton Graf von Losenstein infu- lierten Anselm Angerer 89 ). Dieser war in den letzten Jahren des alternden Prälaten die Seele des Baues gewesen, und wie sehr er innerlich daran Anteil nahm, zeigt sich aus den tagebuchartigen Aufzeichnungen, die er seit Beginn des Neubaues über die wichtigsten Ereignisse führte. Es galt nun vorerst, die Kirche zu vollenden und einzu ­ richten. Am 20. April 1684 wurde die Vollendung des Nordturmes mit der Kreuzsteckung gefeiert 90 ). Für den Südturm erfolgte diese am 26. Mai 1684. 20

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2