Vom Boom zum Bürgerkrieg

Doch zurück zur Großbaustelle der Waffenfabrik: In zwei Etappen werden die 16 riesigen Objekte gebaut. Maschinen und Menschen sind nahezu Tag und Nacht imEinsatz. Die Rationalisierung der Baustelle ist in Steyr auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Es gil t, die Tätigkei ten von bis zu 3.500 Arbei tern zu koordinieren. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass ab Beginn des Weltkrieges die Steyrer Baustelle großtei lseiner Strafkolonie ähnelt, in der hunderte von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zum Einsatz kommen . Am 26. Mai 1914 schreibt die ÖWG an die Stadtgemeinde: ,, In Erledigung der hochgeschätzten Zuschrift vom 15.d.M. beehren wir uns, die Mitteilung zu machen , dass wir mit unserer neuen Fabrik tei lweise bis Ende dieses Jahres in Betrieb zu kommen hoffen und auch die neuen Arbeiterwohnhäuser bis zu diesem Zeitpunkt bewohnt sein dürften. (.. .) Der derzeitige Arbeiterstand unserer Fabrik beträgt 6. 700 Mann und sind außerdem 191 Beamte in Steyr in unseren Diensten"3. Für dieGestaltung der ersten dreiArbeiterwohnhäuser, die vomdeutschen Architekten Oskar Schwer markant und unübersehbar an die Geländekante der hohen Ennsleite gebaut werden, findet Phillipp Jakob Manz einen kongenialen Weggefährten. Manz und Schwer setzen auf eine Mischung aus Tradition, Modernität, Repräsentanz und Funktionalität, die „niemanden zu angeregten oder Zeit verzögernden Diskussionen veranlassen soll ". Ihre Bauten haben seriellen Charakter. Sieerscheinen Stil neutral und auf seltsame Weise wehrhaft und trutzig.4 ;.- ..'!'/ ::'y1 - •" II -{/.._ •.,_ '/ // _;z,;/ _,r, .. "· - .L... ,:...,..J._.c'""'r {. :t1~1~.~¼t' J.:t:::J;: ri""r ,'.. 'l..,,... . ~ ,(/,,,c„7 Entwurf der Arbeiterwohnhäuser auf der Ennsleite, genehmigt durch Bürgermeister Julius Gschaider am 26. Februar 191 3. Quelle: Stadtarchiv Steyr Unmittelbar nach Kriegsausbruch übernimmt die Militärbaubehörde die weitere Ausführung der Wohnraumbeschaffung in Steyr und die ,,wirklich schönen Pläne für die Verbauung der Ennsleite als Gartenstadtsiedlung"5 fallen trotz des massiven Protests von Bürgermeister Julius Gschaider ins Wasser. Aus Sparsamkeitsgründen wird ab 1915, zunächst in Letten, mit dem großangelegten Bau von Barackensiedlungen begonnen . 1916 und 1917 folgt der Bau von weiteren „Arbeiter Wohnbaracken" im Stadtgebiet von Steyr. Die Anzahl der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Waffenfabrik hat mittlerweile einen Höchststand von knapp 16.000 erreicht. Bis zum Ende des Weltkrieges entstehen in Steyr annähernd 100 Barackenbauten, deren Umfeld in keiner Weise den hygienischen Erfordernissen entspricht. Schlechte Trinkwasserqualität, zu wen ige und mangelhaft ausgeführte Toilettenanlagen und die viel zu dichte Verbauung sorgen schon baldnachVoll belegung der „improvisorischenStil errichtetenLager" für denAusbrucheiner Typhusepidemie. Um sieindenGriff zu bekommen, lässt die Behörde in Ramingsteg bei Steyr eine weitere Barackenanlage zur Evakuierung und Behandlung der Kranken erbauen. Eine extra dafür aufgestellte „Mi litär-Sanitätswachmannschaft" bekommt ihr Domizil in „sechs großen Feldbaracken" auf der Ennsleite.6 Sie soll zumindest in der Fabrik penibel und rigoros die Einhaltung der Hygienevorschriften kontrollieren. Doch was dem Werk gut und billig ist, das können die Menschen in Steyr privat nicht einmal mehr ansatzweise erfü llen. Zu sehr fehlt es am Notwendigsten. Die Waffenfabrik darf sich indes über einen Reingewinn von 18.345.188 Kronen freuen. Bürgermeister Gschaider scheint die Zeichen der Zeit richtig zu erkennen und bemüht sich intensiv und mit allenMitteln, gegen die Verelendung der Stadt zu steuern. ImOktober 1917 lässt er ein 10 Mi ll ionen Darlehen beschließen, um jene Gefahren zu bannen, die der Kommune durch den Krieg und speziell durch die industrielle Monostruktur drohen. Als besonders vordringlich zählt er im Gemeinderat den Wohnhausbau , den Wasserleitungsbau, die Kanalisierung, die Abfall- und Fäkalienentsorgung , den Bau einer Infektionsabteilung, sowie die Errichtung eines Schlachthauses und zweier Schulen auf. Doch fast alle Projekte ersticken in den Wirren des untergehenden Reiches, in der galoppierenden Inflation und dem Mangel an freien Arbeitskräften. 3Bauakt H/g 25445-1913, Nr.15 4 Renz: Industriearchitektur, S. 1O 5Gschaider: Erinnerungen, S. 17 6Bauakt H/g1909-1914, Nr. 2,Verwaltungsarchiv Steyr 13

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