Vom Boom zum Bürgerkrieg

auch ein höheres Ausmaß an Widerständigkeit gegen den rasch einsetzenden Kurs der Austerity (Hartwährungspolitik, Kürzung der Staatsausgaben, geringe Sozialausgaben etc.) mit sich brachte, die in Österreich überall von der Sozialdemokratie und nicht von den Kommunisten dominiert wurde. MAW: Zur Zerschlagung der Demokratie ist die Einbettung in den gesamteuropäischen Kontext besonders interessant. Welche Faktoren waren letztlich dafür ausschlaggebend, dass Länder wie Österreich und Deutschland in den Faschismus schlitterten, Länder wie die Tschechoslowakei, die Niederlande, Frankreich oder Großbritannien hingegen demokratisch blieben? Welche Gruppen waren in anderen Ländern die Träger und Bewahrer der Demokratie, wer ihre Zerstörer? Rathkolb: Das zentrale Element bei der Zerschlagung der demokratischen Strukturen in der Zwischenkriegszeit in Europa war die autoritäre bis antidemokratische Grundeinstellung der politischen Eliten, wobei sehr rasch konservative Gruppierungen aber auch die entmachteten Eliten die parlamentarische Demokratie als Grundübel der sozio-ökonomisch desaströsen Situation ansahen. Je geringer die Angst vor einer Wiederholung der russischen Erfahrung 1917 wurde, umso stärker wu rde auch der Ruf nach Abschaffung der Parteien und der Etablierung von führergeprägten Diktaturen , die mittels einer Massenbewegung auch scheinbar direkt legitimiert wurden. Generell waren agrarisch geprägte Gesellschaften anfälliger für faschistische bis autoritäre Entwicklungen - dies erklärt die demokratische Entwicklung in der Tschechoslowakei, den Niederlanden, Frankreich oder Großbritannien. Im Falle des deutschen Reiches sind es vor allem die starken autoritären Grundeinstellungen und die Fehleinschätzung konservativer Parteien , den „nationalen" Sozialismus der Hitler-Bewegung durch Regierungsverantwortung kontrollieren zu können. Insgesamt betrachtet wurden von vielen Experten der Zeit die „neuen Diktaturen" vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 nicht als echte Bedrohung der Demokratie empfunden. Typisch für die abwartende bis teilweise rechtfertigende stille Akzeptanz von kleinen Diktaturen trotz mancher kritischer Beiträge ist einer der frühesten interdisziplinären Sammelbände zu dem Phänomen der neuen Diktaturen (Bulgarien 1923, Spanien 1923, Türkei 1923, Polen 1926, Litauen 1926) der im Jahr 1930 in Wien von Otto Forst de Battaglia herausgegebene „Prozeß der Diktatur". Der österreichische Historiker, Kulturkritiker und Genealoge meinte, dass die Diktatur nicht in Deutschland, Österreich oder Frankreich , ebenso wenig wie in Großbritannien und den skandinavischen Ländern drohe. Im Falle Deutschlands und Österreichs sowie im Falle des Vichy Regimes im besetzten Frankreich sollte er sich aber gewaltig irren. Auch die Vorstellung, dass Diktaturen zwar die verfassungsgemäße Ordnung brechen , aber sich an neue Gesetze halten, traf letz11ich nicht zu. In seinem Nachwort kann durchaus eine

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