7. Jahresbericht der k. k. Realschule in Steyr, 1877

4 rialismus und dem Unglauben zu. Materiellen Sinn soll die Natur¬ lehre verschuldet haben? War dieser nicht schon in Blüte, als die Natur lehre als unschuldiges Kind noch in der Wiege lag? Weil die materiellen Interessen sehr viel der Naturlehre zu danken haben, schliesst man, dass sie zum Materialismus führe. Man sehe sich nur die Naturforscher an, wie viele von ihnen können klagend vor Gottes Thron treten über den Undank materieller Interessen! Man denke z. B. an Galilei, an Keppler u. a. Aller der Naturforscher, die uns die grosse Fülle des Wissens ver¬ macht haben, was war der Beweggrund, der sie anspornte? Was trieb sie zu jenen Kämpfen und Siegen über die widerstrebende Xatur? Man darf es nie vergessen, dass nicht einer dieser Männer irgendein praktisches Ziel (in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes) vor Augen hatte. Keiner betrachtete den Geldverdienst als das Ziel seines Strebens; zum grössten Theil kehrten sie den Process um, setzten das Wissen als Ziel und ver¬ wendeten das Geld, das sie besassen, als Mittel zur Erreichung desselben. Und was war der Lohn dieser grossen Forscher? Nichts anderes, als die innere Freude, eine neue Wahrheit gefunden zu haben; durch Schmerz und Selbstaufopferung verfolgten sie oft ihre Arbeit, ja selbst im Tode noch von dieser Leidenschaft beherrscht, diktirten viele, wenn sie die Feder nicht mehr halten konnten, ihren Freunden die Resultate ihrer Arbeit. „Ich arbeite“, schreibt Fresnel an Young 1824, „weit weniger, um die Lobeserhebungen des Publicums zu gewinnen, als um den innern Beifall zu finden, der mir immer der süsseste Lohn für alle meine Anstrengungen war. Alle Lobeserhebungen, die ich von Arago, de la Place und Biot erhielt, haben mir nie so viel Freude gemacht, als die Entdeckung einer theoretischen Wahrheit oder die Bestätigung irgend einer Berechnung durch den Versuch.“ Wie sollte aber auch der jugendliche Geist durch die Weise, in der er sich mit der Natur beschäftigt, für materielle Interessen gewonnen werden? Der materielle Sinn hat seinen Grund in ganz andern Dingen, als in der Arbeit, die die Erkenntnis der Natur von dem Geiste fordert und wer die Anlage zum Materialismus in sich trägt, der wird sein Auge vor der Natur verschliessen oder doch in ganz anderem Sinne auf sie werfen, als um sie durch wissenschaftliche Erforschung zu begreifen. Was den zweiten Vorwurf anbelangt, die Naturwissenschaften ver¬ führen zum Unglauben, so gibt es wol immer noch Leute, welche gar erbaulich darüber sprechen, wie Gott die Welt so weise eingerichtet hat und nach seinen Gesetzen regiert, und die in demselben Athemzuge behaupten, die Erforschung dieser weisen Gesetze führe von Gott ab, verführe zum Atheismus. Man durchmustere doch die Naturforscher, und man wird unter ihnen gläubige, indifferente und ungläubige finden, ganz so wie unter den übrigen Menschen. Die Naturforschung kann also wol kein Specificum für den Unglauben sein. Gibt es doch unter den Geistlichen selbst viele und sehr anerkannte Naturforscher, ohne dass man von ihnen behaupten könnte, sie seien Atheisten geworden: geläutert haben sie ihren Glauben,

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