7. Jahresbericht der k. k. Realschule in Steyr, 1877

16 Thermometer, und so sind es fast nur sichtbare oder sichtbar gemachte Merkmale, nach denen die Naturwissenschaften charakterisiren. „Das Auge belehrt, das Ohr rührt“, sagt Erdmann. Die Sinne sind es also, welche dem menschlichen Geiste den Blick in die Aussenwelt eröffnen, und unter diesen wieder vorzüglich der Gesichts¬ sinn, so dass die ersten Pädagogen als Hauptgrundsatz der P'ädagogik erklärten: Unterrichte anschaulich. Wenn irgendwo, so gilt dies gewiss beim Unterrichte in den Naturwissenschaften, und doch scheint dieser Satz noch nicht allgemeine Anerkennung und Billigung, wenigstens insoweit es die P’hysik betrifft. gefunden zu haben. So würde man von einem Lehrer der Botanik, der dieselbe nur nach einem Buche lehren möchte, ohne die Pflanzen in natura vorzuzeigen, sehr geringschätzend urtheilen, und ihn als ein veraltetes, nicht mehr für die jetzige Zeit passendes Exemplar erklären; wenn aber Physik auf der Elementarstufe ohne Experimente gelehrt wird und physikalische Apparate etwa nur in Zeichnungen vor's Auge kommen, heisst das anschaulich unterrichten? Gewinnt dabei der Geist richtige und klare Vorstellungen? So betrieben, schadet die Naturlehre mehr, als sie nützt. Anschaulich wird der Physikunterricht nur durch wirklich angestellte Versuche, durch die künstliche Herbeiführung einer Erscheinung. Wenn aber der Schüler ein physikalisches Experiment in allen Theilen seines Herganges betrachtet, so darf er nicht blos sehen, was sich ihm von selbst aufdrängt, er muss vielmehr suchen, das zu sehen, worauf es ankommt, womit er zur Einsicht in den physikalischen Hergang wirklich gelangt. Er bleibt nicht dabei stehen, dass er etwas sieht, sondern es knüpfen sich Urtheile und Schlüsse an das Gesehene : das ist ein anderes Sehen, als wenn er sonst das Auge auf etwas richtet, ein viel bewussteres. Zu dieser Art des Sehens muss freilich der Schüler angeleitet werden, aber es gibt, wie schon erwähnt wurde, ausser der l'hysik kein zweites Lehrfach, das ihm für diese planmässige Sinneswarnehmung eine solche Gelegenheit bieten würde. In der Praxis muss der Lehrer dafür sorgen, dass das Experiment von allen Schülern möglichst deutlich wargenommen werde und dass die Wirksamkeit der Apparate kräftig genug sei: eine schwach elektrische Glasstange z. B. wird den elektrischen Pendeln so wenig Elektricität mit¬ theilen. dass die Abstossung derselben kaum sichtbar sein wird. Doch, die Anschauung des Experimentes ist nur der erste Schritt, der zweite, der zu thun ist, besteht in der Beschreibung des Versuches. Die Schüler werden veranlasst, anzugeben, womit und wie der Versuch angestellt wurde und welche Erscheinung in Folge dessen eingetreten ist. Erst nach der Beschreibung des Experimentes werden vom Lehrer die Gegenstände, mit denen der Versuch angestellt wurde, benannt. Es ist pädagogisch unrichtig auf der Elementarstufe den Versuch z. B. damit zu beginnen: „Hier schet Ihr eine Rolle“, und vielleicht gar noch hinzuzu¬ fügen: „man unterscheidet fixe und bewegliche Rollen.“ Die Schüler müssen

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