2. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1974/75

ganzen Menschen, der über den Geist seine Einheit von Denken und Natur wie'dergefunden hat. Es ist freilich nicht leicht, immeT wie ein Mensch zu essen, in der Liebe der Geschlechter als Mann und Frau jene Einheit von Leib und Geist zu verwirklichen, die voll in der Natur und voll in dem steht, was erst das Menschliche daran ausmacht, und auch sonst in einem möglichst harmonischen Verhältnis und in möglichst ungebrochener Einheit mit -seinem Leib zu leben, den der heilige Franz von Assisi in seiner tief-heiteren Art als den „Bruder Esel" bezeichnete. Im übrigen ist uns unsere Natur vorgegeben: in ihrer Bewegungsfreiheit und in dhrer Notdurft , im bestimmten, als schön oder häßlich empfurudenen Aussehen des Körp ers, in der Stärke oder Schwäche seiner Triebe, in der Widerstandsfähigkeit oder Anfälligkeit seiner Gesundheit, womit wir geistig fertig werden müssen. Und es gibt im letzten eine äußerste Grenze für unseren Ansprud1, über unsere Natur zu verfügen, welche geistig nur dadurch über- wunden und aufgehoben werden kann, indem wir uns selbst fügen und im Gei-st annehmen, was sid1 als Unvermeidliches meldet : das Altern als das immer stärker werdende bewußte Erleben des Nachlassens an Lebenskraft, die körperlid1e Krankheit, die un erwartet trifft, und der Tod als jene radikale Zuspitzung der äußersten Unverfügharkeit des Menschen über seine Natur, die nicht mehr zu überbieten ist u111d als die völlige Aufhebung dessen er- scheint, was dieser bestimmte Mensch in der Ein!heit von Geist und Natur einmal gewesen ist. Es Lst aud1 der Tod eines geliebten Menschen, an dem Matthias Claudius in einer se'iner Unterhaltungen mit dem fingierten Vetter An1cl.res seine Gedanken über di e Grenze ,des wissenschaftlichen (und allen) Verstandes a111knüpft. Sie zeigt sich an dieser Stelle unserer Überlegungen darin, daß alle Wissenschaft von der Natur versagt und uns nicht helfen ka11J1, wenn es über das Feststellen von Sach-verhalten u111d tedmisme Absicilt hinaus um die Frage geht, was der Mensch eigentlich ist und wie er ha11deln soll, um sid1 in der red1ten We~se Zll verwirklid1en, und worin der Sinn seines Daseins besteht. Das ist nicht aus ,der Natur ableitbar (ull!d Weltanschauung nid1t durch Wissensd1aft ersetzbar) , weil das Humanum kein Stoffliches und kein Tierisches ist, un:cl. 11id1t einmal aus der Natur des leibhaft-geistigen Men- schen selbst, weil der Mensch immer erst ·das ist, wozu er aus Freiheit ge- worden ist, und diese Frage in ihrer Ra 1 dikalität schlechvhin jede Vorgegeben- heit •hinter sich läßt: „Id1 habe heute keine Lust zu lad1en, Vetter. Allerdings ist die Welt der Gelehrsamkeit viel sdrnldig, und was in ihr nützlich und ausge111ad1t ist, wer wird das nicilt mit Da11'k a1mehmen und mit Dank erkennen? wer ,die Kühnheit und den Scharfsinn vieler Gelehrter und ihrer mancherlei unsäg- lid1en Fleiß nicht schätzen und hod1achten und sie, als die ein in sich edleres Geschäft treiben, geehrt und reid1lid1 belohnt wiinschen? Ich sehe in den Zeitu11gen kein Sdiiff aus Ostindien zu Cork oder Brest einlaufen, oder ich denke mit BeW1111derung an die fünf Finger -des Menschen und an seinen Kopf, der auf dem großen wilden Meer Weg und Steg berechnen lehrte; und weru1 mein Kalender 'n Durchgang durm die Sonne oder eine Mondfinsternis weissagt auf Tag und Minute, und ich sehe nun auf Tag und 25

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