80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

Prof. Franz Wieringer FÜR DIE PRAXIS! Kein Unterricht ist schlechter als der, bei dem Schüler die Frage stellen: „Bitte, wo braucht man das?“ Ist cs s o nicht besser und interessanter, wie zum Beispiel: „Wer kann mir sagen, wie ein Kegel mit lotrechter Achse von oben gesehen ausschaut?“ Die Antwort ist leicht. „Und wie sieht die Vorderansicht aus?“ „Die Vorticransicht ist ein gleichschenkeliges Dreieck.“ „Nun verbinden wir einzelne Punkte des Basiskreises mit der Kegelspitze und sehen uns die Langen dieser Strecken an . . .“ „Die linke und rechte ist im Aufriß in richtiger Länge.“ „Richtig! Wir sagen, in wahrer Länge. Und alle anderen sogenannten Mantcllinicn lassen sich in diese Lage hineindrehen. Wir können damit die gestellte Aufgabe, die wahre Länge einer schief gelegenen Strecke zu suchen, lösen.“ Oder: „Wir beginnen die erste Zeichnung. Jeder legt sich die Form einer Blechwanne mit trapezförmigem Boden und schrägen Seitenwänden zurecht und ermittelt konstruktiv, wie das Blech hiefür zugeschnitten werden muß!“ „Bitte, Herr Professor, das haben wir noch gar nicht gelernt.“ „Aber das wird doch jeder treffen. Die Aufgabe ist nicht schwer zu lösen.“ „In der Hauptschule haben wir nur das Netz von Quadern gezeichnet.“ „Nun, dann zeichnen wir ein Beispiel gemeinsam durch. Hier schnell die Maße. Grundriß und Aufriß davon zeichnen Sie und wir beginnen. . . .“ „Sollen wir Punkte benennen?“ „Ja! Sind alle fertig? — Also, dann beginnen wir hier mit dieser Fläche! Wie würden Sie diese an die Grundfläche im Netz anreihen?“ „An die Grundfläche anschließend. Ich denke mir die Fläche in die Grundfläche hineingedreht.“ „Richtig! Kommen Sie zur Tafel und zeigen Sie mir diesen Vorgang! . . .“ „Können das alle sehen? Verstehen das alle? — Na also. Nun beschreiben wir einmal diesen Vorgang genau mit Worten.“ „Sic sind nur noch ein bißchen unbeholfen im Ausdruck, aber verstanden haben Sie diese Umklappung. Zählen wir doch an Hand der Skizze, die ich schnell hier nebenan entwerfe, welche Begriffe bei der Drehung um eine Achse auftreten: 1. Die Drehungsachse, 2.................. Nun, was muß vorhanden sein, damit überhaupt eine Drehung ausgeführt werden kann?“ „Eine Seitenfläche.“ „Aber woher denn — es genügt viel weniger!" „Ein fliegender Raumpunkt.“ „Sie werden gleich hinausfliegen! — Aber Raumpunkt ist richtig.“ So geht es munter weiter über Drehungsebene, Drchungsmittclpunkt und so weiter bis neuntens: der Drehungssinn. Die Achsendrehung ist besprochen, niemand hat gemerkt, daß es doch ein bißchen Theorie war, keiner fragt, wozu — die Aufgabe haben schon alle, und die Schüler beginnen, ihre Blechkörper zu entwerfen. Ungeschickt freilich noch und noch nicht in technisch möglichen Formen. Aber da helfe ich schnell mit ein paar Strichen nach — von Tisch zu Tisch gehend — und in der nächsten Stunde arbeitet jeder Schüler an seiner Zeichnung. Beim Abgeben der Zeichnung muß mir jeder Schüler kurz die eine oder andere Einzelheit seiner Zeichnung erklären . . . So habe ich's gemacht „Nun, Rotter, jetzt lassen Sie Ihren Raumpunkt fliegen! Kommen Sic her! Halten Sie dieses farblose Zeiehendreieck als schiefe Seitenfläche Ihrer Wanne auf die Zeichnung und erklären Sie mir, wohin dieser Raumpunkt fliegt!“ Der Zeigefinger seiner rechten Hand fliegt sofort an die Stelle, die mit A" bezeichnet ist . . . Oder: In der ersten Klasse: Als junger Lehrer habe ich mich noch dazu verleiten lassen, eine fünfbildrige Kette zugeordneter Normalrisse zeichnen zu lassen. Von irgendeinem eckigen Körper. Er brauchte durchaus nicht einfach zu sein; sollte gar nicht einfach sein; mit schwalbenschwanzförmigen Teilen womöglich . .. Um das Konstruktionsprinzip: „Abstand der neuen Projektion von der neuen Rißachse gleich dem Abstand der wegfallenden Projektion von der wegfallenden Rißachse“ einzuüben. Aber warum denn auf einer unpraktischen. besser gesagt, praktisch unmöglich vorkommenden langen Seitenrißkette in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nahe liegt? Jetzt zeichne ich in der Darstellenden Geometrie beispielsweise einen Schruppstahl! „Heute werden wir den Schncidkopf eines Drehstahls konstruieren!“ beginne ich und sehe, wie manche Gesichter ernst werden. Es wird mucksmäuschenstill und ich spüre förmlich die Frage: „Haben Sie sich nicht in der Klasse geirrt?“ „Sie haben doch schon im Maschinenraum gearbeitet und ein Drehmesser eingespannt,“ breche ich die Stille. „Ja", kommt es zwar zaghaft zurück, aber ich sehe nun die fünfunddreißig Augenpaare erwartungsvoll auf mich gerichtet und nicht mehr verängstigt, da ich die Brücke schlage zu Bekanntem.

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