80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

„Bitte, Herr Professor, ich kann das nicht sehen, weil das so klein ist . . .“ Als ich mich nun wieder einmal bei einer ähnlichen Vorführung über die alten zerrissenen und verstaubten Fadenmodelle von Strahlcnflächen einer Schulmodellsammlung ärgern mußte, kam mir ein guter Gedanke und ich fand einen viel besseren Weg, Kegelschnitte und andere Schnittflächen vorzuführen. Kommen Sie mit mir in den Lehrsaal und nehmen Sie teil am Kurvencrlebnis: „Wir wissen schon alle, wie ein Drehkegel in Grundriß, Aufriß und Kreuzriß aussieht und zeichnen einen solchen mit lotrechter Achse so groß wie cs unsere Heftseite erlaubt. . . . Wie kann nun ein ebener Schnitt dieses Körpers ausschen?“ „Das ist ein Kreis.“ „In jedem Fall?" „Der Durchmesser kann verschieden groß sein.“ „Das ist nicht die Antwort auf meine Frage. Was würde jeder von Ihnen verschieden wählen, wenn ich lediglich sagte. Jeder zeichnet jetzt bei seinem Kegel eine zur Aufrißebene normale Schnittebene ein!1?“ „Die Stelle, an der diese Ebene angenommen wird.“ „Etwas Wichtiges fehlt noch. Hinterlcitner!' „Ich kann die Ebene verschieden steil annehmen.'' „Sehr richtig — also der erste Neigungswinkel wäre noch nicht festgelegt!" „Bitte, da kommt eine Ellipse heraus.“ „Immer?" „Eine Parabel kommt auch heraus.“ „Nur eine?“ . „Bitte, eine Hyperbel kenne ich auch.“ „Wer kann mir eine Hyperbel beschreiben?" (Es melden sich nur drei Schüler.) „Wir bemerken, daß zwar manche die Namen der Schnittlinien kennen, die sich ergeben, wenn man einen Kegel mit einer schiefen Ebene schneidet...“ „Bitte, ich habe das alles schon in der Hauptschule gezeichnet.“ „Das ist sehr gut, weil Sie sich dann wohl im Folgenden gut zurechtfinden werden." „Bitte, ich habe ein Buch, wo das drinnen ist.“ „Darin können Sie nachher immer einiges nachlesen, um Ihre Kenntnisse zu festigen.“ „Ich habe Ellipse mit i geschrieben gesehen. Schreibt man das nicht mit y?“ „Doppel-1. i ist richtig. — Doch dürfen wir den Faden nicht verlieren: Wie wäre es, wenn wir uns einen durchsichtigen Kege! herstellen würden, um ihn mit Ebenen verschiedener Neigung zu schneiden?“ „Man könnte ihn aus Zelluloid machen." Ich wehre ab: „Wie würden Sie einen Zelluloidkegel mit Ebenen verschiedener Neigung schneiden, ohne ihn zu zertrennen?“ „Man könnte mit Kreide eine Schnittlinie cinzeich- ncn." „Wer bringt das zuwege? Auch hält die Kreide nicht.“ „Mattiertes Zellon nehmen!“ „Dann sieht man nicht durch!“ Schweigen.------- „Ich werde Ihnen jetzt zeigen, wie ich die Sache gelöst habe. Gasser, verdunkeln Sie inzwischen den Lehrsaal! — Vor Jahren kam mir der Gedanke, mechanische und optische Hilfsmittel zur Darstellung Das Wieringer-Gerät und Vorführung von Kegelschnittlinien zu verwenden. Es ist dieses Gerät hier, das bis jetzt von Ihnen unbeachtet in der Ecke des Lehrsaales gestanden ist, weil es aus wenig Teilen besteht und diese geschwärzt sind; ich habe es selbst gebaut." Ich versetze nun weißlackierte Stäbe, die die Form des Achsenschnittes der gewünschten Strahlenfläche haben, in Drehung und schneide das dem Auge nur vorgetäuschte Gebilde mit Lichtebenen. „Müller, schalten Sie den Projektionsapparat ein!" Ein Staunen geht durch die Klasse. ■ Wiewohl nur der Mittelschnitt rotiert, zeigt sich in der horizontalen Lichtebene ein zu der lotrechten Kegelachse normal gelegener Kreis, voll, weiß, greifbar, im verdunkelten Raum schwebend. „Wir heben und senken nun die Lichtebene und sehen . . .“ ... daß sich der Durchmesser des Schnittkreises ändert.“ „Jetzt neigen wir die aus Licht bestehende Schnittebene.“ „Ah . . . !“ „Aus Ihrer geflüsterten Verwunderung ist zu entnehmen, daß Sie alle die sich grell weiß vom gerade noch sichtbaren Kegelmantel abhebende ovale Schnittlinie erkennen können.“ „Eine Ellipse!“ „Was freilich erst mathematisch nachzuweisen wäre, wie es Dandclin getan hat. — Aber Sie erkennen doch deutlich auch von der letzten Bank aus, daß es sich bei dieser Schnittkurve nicht um ein Eirund handelt. Wenn man sich die Schnittlinie eines Kegels mit einer schiefen Ebene nur flüchtig vorstellt, könnte man nämlich — noch dazu, wenn man kein so riesengroßes, meterhohes und anschauliches Modell wie dieses vor sich hätte—der Meinung sein, 34

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2