40 Jahre Ennsleitenkirche - Ausstellung 2010

igarchitektursteyr 19 | 32 INSTRUMENT FÜR NEUES Sie waren ursprünglich selbst vorgesehen, dieses Projekt gemeinsam mit Architekt Gsteu zu planen, hatten sich aber schon entschieden, in das Fach der Literatur überzuwechseln. Welche Rolle spielte damals die Auseinandersetzung Kunst und Architektur, Philosophie kontra „pragmatischem Denken“ in der Wiederaufbauzeit? Achleitner: Wir waren damals noch sehr jung. Über die Beziehungen von Kultur, Religion, Architektur und Philosophie haben eindrucksvoll Otto Mauer, Günther Rombold, Herbert Muck oder Ferdinand Klostermann gesprochen. Wir haben andächtig oder verwirrt zugehört. Die Grundform der Kirche modifiziert die Form der Basilika und anstelle eines gerichteten Raums entsteht hier ein beinahe demokratischer. Kann man sagen, hier ist strukturierte Spiritualität gebaut und inhaltlich spürbar? War dies für Sie als Pfarrer wichtig? Pimingstorfer: Ja – unbedingt! Die Architektur hat sehr zur Gemeindebildung beigetragen. Das spürte ich schon bei den Plänen in den frühen 60er-Jahren und stand daher immer hinter dieser räumlichen Struktur, die den Altar fast ins Zentrum rückte. Das war mir sehr wichtig! Es war ein Bild des Gottesvolkes für mich, in dem der Priester mitten drinnen ist. Das Zelebrieren dort war und ist immer erhebend. Vieles ist von diesem Raum ausgegangen. Die Architekten haben die Idee des Konzils vorweggenommen. Achleitner: Was das Thema Wegkirche (Basilika) versus „demokratischere Raumkonzepte“ (Annäherung an das Quadrat) betrifft, gab es ja schon seit Otto Wagner und Josef Plecnik eine Diskussion in der Moderne. Die Arbeitsgruppe 4 und Johann G. Gsteu haben sich neben Uhl, Lackner und anderen intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Dieses Projekt für das Seelsorgezentrum Ennsleite dauerte etwas mehr als zehn Jahre bis zur Fertigstellung. Parallel dazu entstanden in Österreich andere bemerkenswerte Kirchenbauten. Warum hat sich aus diesem Kirchenbau in Steyr keine Beeinflussung der Architekturqualität ergeben? Achleitner: Was die „Beeinflussung der Architekturqualität“ betrifft, kann man das nicht so einfach feststellen, weil sich sehr bald sehr unterschiedliche Richtungen entwickelten, etwa ausgelöst durch Le Corbusier (Ronchamp). Hier spielt auch der Faktor eine Rolle, dass die Kirche zehn Jahre nach dem Entwurf gebaut wurde. Und in dieser Zeit ist viel passiert. Der von klarer Struktur bestimmte Kirchenraum mit seinen Betonträgern und Stützen gibt dem Kirchenraum seinen Zusammenhalt. Könnte man das im weitesten Sinne als Sinnbild für eine Geisteshaltung um zirka 1960 sehen, die innere Strukturen neu zu ordnen versuchte? Waditschatka: Die klare Struktur des Kirchenraums ist die Folge der Präzisierung des konstruktiven Entwurfgedankens, der grundlegend von Konrad Wachsmann beeinflusst ist. Alle drei Architekten – Gsteu, Kurrent und Spalt – hatten in den Jahren 1956 und 1957 die (später legendär gewordenen) Architekturkurse Wachsmanns an der Salzburger Sommerakademie besucht und wurden nachhaltig davon geprägt. Steyr-Ennsleiten ist im Œuvre der Arbeitsgruppe 4 (wie auch dem Gsteus) die erste Umsetzung dieses konstruktiv-strukturellen Ansatzes. Bei anderen, nicht ausgeführten Entwürfen, etwa dem preisgekrönten Wettbewerbsprojekt der Arbeitsgruppe 4 für die Wiener Florianikirche 1957, hatte sich diese Neuorientierung schon früher deutlich manifestiert. Wesentlich bei der Kirche in Steyr-Ennsleiten war das konsequent umgesetzte Prinzip der Vorfabrikation. Das industrialisierte Bauen war ein wichtiges Wachsmann’sches Thema und hat für diese Generation österreichischer Architekten eine große Rolle gespielt. Johannes Spalt und Friedrich Kurrent verwendeten ab 1958 für ihre Architektur den Ausdruck „serielles Bauen“. Diesen Begriff hatten sie aus der neuen Musik übernommen, der also spartenübergreifend relevant war und somit in einem größeren Zusammenhang als „zeittypisch“ bezeichnet werden kann.

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