40 Jahre Ennsleitenkirche - Ausstellung 2010

igarchitektursteyr 20 | 32 INSTRUMENT FÜR NEUES Die liturgische Diskussion wurde vom Bauherrn, also der Kirche geführt und im Nachhinein ausgiebig von den Theoretikern. Für die baukünstlerische Gestaltung war dies aber nicht die dominierende Grundhaltung. Welche sehen Sie? Waditschatka: Wie bereits oben ausgeführt, war für Steyr-Ennsleiten zweifellos der konstruktiv-modulare Ansatz mit einer Struktur aus vorfabrizierten Teilen und der klaren Trennung von tragenden und umschließenden Elementen, also von Gerüst und Haut, der wesentliche Ausgangspunkt. Die liturgische Diskussion avancierter kirchlicher Kreise spielte für die Architekten in Bezug auf die Entwicklung neuer Raumlösungen schon sehr früh eine wichtige Rolle und diese Debatten wurden auch intensiv rezipiert. Die Arbeitsgruppe 4 hat mit ihrem Erstlingswerk, der Kirche in Salzburg-Parsch (1953–1956) mit einem an drei Seiten von Sitzbänken umgebenen Altar die liturgischen Neuerungen des 2. Vatikanischen Konzils („Volksaltar“) bereits um einige Jahre vorweggenommen. Also im Grunde eine neue Kirchenbautypologie versucht – die Parscher Kirche gilt ja zu Recht als der erste moderne Kirchenbau in Österreich, der die künftigen Liturgiereformen programmatisch in der Architektur umsetzte. Beim zuvor erwähnten Entwurf der Arbeitsgruppe 4 für die Wiener Florianikirche (1957) spielt ein Zentralgrundriss mit nach allen Seiten gleichwertigen Raumabschnitten eine sehr große Rolle und auch in Steyr-Ennsleiten wird aus einem anfänglich stark höhengestaffeltem und längsorientiertem Bau in der endgültigen Lösung ein beinahe ungerichteter Innenraum, der die Gläubigen an drei Seiten um den Altar versammelt. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass dieser Kirchenbau nur gegen große Widerstände, selbst innerhalb der Diözese, durchgesetzt werden konnte, dies erklärt auch die komplizierte und langwierige Bauzeit. Ein sozialer Mittelpunkt fehlte in der Wohnsiedlung Ennsleite, ebenso auch städtebaulich. Ist dies mit dem Projekt gelungen? Wenn ja, warum glauben Sie fand dies keine Fortsetzung, sondern zeigt sich das Viertel als heruntergekommenes Streugebiet? Waditschatka: Die Architekten konzipierten die Seelsorgeanlage bewusst in strenger Anordnung als ruhiges und geordnetes Zentrum in einem städtebaulich damals bereits sehr disparaten Umfeld. Die strategische Absicht des Bauherrn, also der Diözese, hier ein neues kirchliches Zentrum mitten in einen traditionellen Arbeiterbezirk zu setzen, ist klar und kann durchaus auch ideologisch interpretiert werden. Es ist bekannt, dass dieses Seelsorgezentrum in den ersten Jahrzehnten auch soziale Funktionen hervorragend erfüllt hat. Dass es heute diese breite Wirkung nicht mehr entfalten kann, ist wohl kaum der Architektur anzulasten – im Gegenteil: Die Architektur ist ja hinsichtlich ihrer Verwendungsmöglichkeit vollkommen offen, das heißt flexibel und veränderbar auch für andere Nutzungen. Warum mögliche Impulse zur städtebaulichen Strukturierung nicht genutzt wurden, wäre als Frage an die verantwortliche Stadtplanung zu stellen. Aus Aussagen der Architekten wissen wir, dass von dieser Seite kein Interesse bestand und es diesbezüglich nie zu Kontakten mit der Stadt Steyr gekommen war. Kreuzsteckung und -weihe nach der Gesamtfertigstellung

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