100 Jahre Höhere Technische Bundeslehranstalt

FACHSCHULE UND VERSUCHSANSTALT FOR EISEN- UND STAHLBEARBEITUNG (1883-1920) Der Umbenennung der Schule entsprachen zwei einschneidende Änderungen in der Organisation: Die Schuldauer wurde um ein Jahr aufgestockt, und die Abteilung für Messerschmiede, die bisher den Hauptzweig gebildet hatte, wurde durch eine weitere für Feinzeugschmiede und Werkzeugschlosser ergänzt. Aber erst die zweiten Jahrgänge wurden getrennt geführt, während der erste für beide die gemeinsamen Grundlagen schuf. Die große Konkurrenz modernster deutscher Industrien. besonders der von Solingen. liP.A allerdings die Steyrer Messerindustrie nicht mehr recht aufkommen, obwohl man sich bemühte, Qualität, Geschmack und Ausführung zu verbessern. Die Abteilung für Werkzeugschlosser hingegen gewann aus dem Fortschritt der Schwerindustrie und erfreute sich ständig steigender Schülerzahlen. Gleichzeitig tauchte die Absicht auf, auch eine Abteilung für Elektrotechnik zu errichten, was zweifellos auf den Einfluß der Elektrizitätsausstellung Josef Werndls zurückzuführen ist; als aber in der Waffenfabrik wieder große Aufträge der Heeresverwaltung für das Repetiergewehr „System Mannlicher" einliefen, wurde dieser Plan alsbald begraben. Auch so verdoppelte sich die Schülerzahl nach und nach, und seit 1889 bestand für Gewerbetreibende und Gehilfen die zusätzliche Möglichkeit, an Werktagsabenden und Sonntagvormittagen Fortbildungskurse in einem Umfang von 19 Wochenstunden zu besuchen. Bald darauf wurde Direktor Ing. Musil, dem diese eindrucksvolle Ausgestaltung der Schule gelungen war, als Professor an die Technische Hochschule in Brünn berufen. 8 Sein Nachfolger, der bisherige Fachvorstand Ritzinger, versuchte als letzter Direktor, das Gewerbe der Messerschmiede aus der Krise zu führen. Seine Vorliebe für das Kunstgewerbe, die er schon als Absolvent des Museums für Kunst und Industrie in Wien ausgeprägt hatte, reifte in ausgedehnten Studienreisen im Auftrag der Unterrichtsverwaltung zu besonderer Höhe. Viele Objekte der bewundernswerten Petermandl'schen Messersammlung, die von seinem Kunstsinn und Interesse zeugP.n, wurden von ihm gestiftet. 1882 war diese der Schule als wertvolles Anschauungsmaterial überlassen worden. Jedes Jahr kamen neue hinzu, fast jede Gegend der Erde ist vertreten.') 1917 wurde sie dem Technischen Museum in Wien übergeben. - Darüber hinaus schuf er 1894 eine Lehrstelle für Ziselieren und Gravieren und ließ sie von dem bedeutenden Künstler Leo Zimpel besetzen, der auch die 1905 errichtete eigene Abteilung für Graveure, Ziseleure und Stempelschneider leitete. Diese wahrte in der Folgezeit, als die Abteilung für Messerschmiede immer weniger Interessenten fand und schließlich aufgelassen wurde, allein das Erbe des alten Eisengewerbes von Steyr. - Im selben Jahr, als Direktor Ritzinger diesem historisch begründeten Zweig eine neue Richtung gab, errichtete er, den betrieblichen Entwicklungen der Wirtschaft Rechnung tragend, auch einen Kurs für Kesselheizer und Dampfmaschinenwärter, der sich großer Beliebtheit erfreute und bis 1922 von 852 Personen besucht wurde. Die Tagesschule zählte um 1900 60 bis 80 Schüler, wovon der größte Teil auf die Abteilung für Werkzeugschlosser entfiel. Nach dem Tod dieses künstlerisch überaus aufgeschlossenen Direktors trat der bisherige Professor an der Schule Ing. Rudolf Pawlicka im Jahr 1901 die Nachfolge an. Da sich Steyr inzwischen zum größten Industriezentrum Oberösterreichs entwickelt hatte und die Fachschulen von Klagenfurt und Komotau bereits zu höheren technischen Schulen geworden waren, drängte man auf die Errichtung einer Staatsgewerbeschule. Außerdem war das 1883 errichtete Gebäude für die ständig steigende Schülerzahl zu klein geworden. Die Bemühungen scheiterten aber ebenso an der Bereitstellung der Mittel wie früher die Einrichtung einer Elektro-technischen Abteilung. Indessen bescheinigten die Sitzungen der „Zentralkommission für Angelegenheiten des gewerblichen Unterrichts". die jetzt die zuständige Aufsichtsbehörde im Unterrichtsministerium geworden war, der Schule einen hervorragenden Ruf. Als Anerkennung für seine Verdienste verlieh man Direktor Pawlicka den Titel „Staatsgewerbeschuldirektor" ad personam und ernannte ihn zum Regierungsrat. 1908 übernahm das neu errichtete Ministerium für öffentliche Arbeiten die Aufsicht von der Zentralkommission. Die Ausweitung der Wirtschaft in der Monarchie und der wirtschaftliche Optimismus schlugen sich in kräftiger Förderung der gewerblichen Schulen nieder. - Doch nicht mehr lange währte die Blüte, und der Krieg walzte die Hoffnungen nieder. Mehrere Lehrer der Schule mußten gleich zu Beginn einrücken, Fachlehrer Albert Mittringer starb 1918 in russischer Gefangenschaft, auch von den älteren Schülern kamen mehrere ums Leben: und die Schule mußte ihre WerkEntwurf l'nr tlrn Bau der k. k. Versuchs-Anstalt und Lehrwcrk st!ltte in Stadt Steyr. Grundri ss zu ebener Erde. ... ~ 1 j 1882 stätten für militärische Zwecke räumen. Direktor Pawlicka starb 1916 und hinterließ seinem Nachfolger, der vorerst nur provisorisch die Schule leitete, eine schier erdrückende Aufgabe. Zu all dem kam noch, daß infolge der Lage am Fluß einzelne Teile des Gebäudes mehrmals überflutet wurden und die Unterbringung der neu gegründeten städtischen Handelsschule im Jahr 1917 die Raumnot empfindlich verschärfte. Erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie bot sich die ersehnte Lösung. Die 1885 erbaute geräumige Jägerkaserne in der Schlüsselhofgasse 63 war zwecklos geworden und eröffnete mit ihren 22.000 m2 Fläche. wovon mehr als die Hälfte als Exerziergelände gedient hatte. ungeahnte Möglichkeiten. Nach großen Anstrengungen erreichte der erst 1919 zum Direktor ernannte Ing. Karl Wolf. daß das Staatsamt für Heerwesen der Stadtgemeinde die Kaserne übergab. Nachdem die Bewilligung des nun zuständigen Staatsamtes für Handel und Gewerbe eingelangt war. begann man mit dem kostspieligen Umbau. Der theoretische Unterricht wurde dort am 1. Dezember 1920 aufgenommen, während die Übersiedlung der Werkstättenmaschinen längere Zeit in Anspruch nahm. so daß das bisherige Gebäude der Stadtgemeinde erst am 9. Juli des darauffolgenden Jahres zurückgegeben werden konnte. 9

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