Amtsblatt der Stadt Steyr 1987/9

Bürgermeister Heinrich Schwarz appelliert an Bundeskanzler und Minister: „Helft der Stadt Steyr bei der Bewältigung ihrer Arbeitsplatzsorgen - die Ereignisse der Zwischenkriegszeit dürfen sich nicht wiederholen'' Bürgermeister Heinrich Schwarz über- reichte Bundeskanz ler Franz Vra11it zk)1und Innenminister Karl Blecha. die i111 Rahmen der „Sommerwerks/all Sle)II'" cm den Dis- kussionen zum Thema „Z11k1111fi Angst und Hoffnung" tei lnahmen. persönliche Schreiben mit der dringenden Bitt e an die Bundesregierung um llilfe hei der Bewälti - gung der Krise. die f1ir Ste)'r und seine Bevölkerung durch die große Zahl von Entlassungen in den Stevr-Werken entstan- den ist. Der Bürgermeister warnt vor einer Wiederholung der Ereignisse der Zwischen- kriegszeit. Im Brief des Stadtoberhauptes an Bun- deskanzler und Minister heißt es wörtlich: „Unter dem bedrückenden Eindruck der kritischen Situation des Hauptwerkes der Steyr-Daimler-Puch AG sehe ich mich im Namen der Stadt Steyr und ihrer Bewohner, eingedenk geschichtlicher Er- fahrungen, veranlaßt, mich an Sie mit dem Ersuchen um Unterstützung der Anliegen der Stadt Steyr zu wenden. Ln diesem Zusammenhang erscheint es mir nötig, die Entwicklung, welche zur derzeitigen Krise geführt hat, kurz in Erinnerung zu rufen. Seit seinem Bestehen ist der Hauptbe- trieb des Unternehmens der weitaus domi- nierende Betrieb und somit das wirtschaft- liche Rückgrat der Stadt und der Umland- region. Aufgrund der Erfahrungen der Zwischenkriegszeit, in der Steyr zum größ- ten Notstandsgebiet der Ersten Republik wurde, bemüht sich die Stadtverwaltung mit Erfolg um die Ansiedlung neuer Be- triebe. Obwohl mit Hilfe des Bundes und des Landes Oberösterreich seit dem Ende der siebziger Jahre in Steyr rund 2500 neue Arbeitsplätze etabliert wurden , hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt laufend verschlechtert, so daß der Arbeits- Bürgermeister Hein- rich Schwarz und die Betriebsräte der Sle)lr- Werke baten Bundes- kanzler Vranitzkv um die Hilfe der Bundesre- gierung bei der Bewäl- tigung der wirtschaftli- chen Schwierigkeiten der Stadl Steyr. Im Bild (v. I.) Vizebürgermei- ster Wippersberger, Ar- beiterkammerpräsident Frevschlag, Bürgermei- ster Schwarz, Bundes- kanzler Dr. VraniLZkv. der Obmann des Ange- stelllenbetriebsrates der Steyr- Werke. Rudolf marktbezirk Steyr mit Ende Juli 1987 _die höchste Arbeitslosenrate des Bundeslan- des Oberösterreich aufwies. Laut jüngsten Erhebungen beträgt der Stellenandrang rund 8,5 Arbeitssuchende auf eine offene Stelle. Bestimmt wurde diese Entwicklung weitgehend durch die laufenden Personal- reduzierungen im Bereich der Steyr- Da imler-Puch AG, wo sich im Standort Steyr der Belegschaftsstand im vergleich- baren Zeitraum um rund 4500 Mitarbeiter verringert hat. Nunmehr wurde ich in Kenntnis gesetzt, daß in nächster Zeit im N utzfahrzeugbe- reich , welcher in Steyr und St. Valentin angesiedelt ist, 880 Mitarbeiter gekündigt werden müssen. Begründet wird diese Maß_r:iahme von der Unternehmensleitung mit Uberkapazitäten und überhöhten Fer- tigungskosten gegenüber der Konkurrenz. Diese Meldung ist für die Stadtverwaltung aus zwei schwerwiegenden Gründen be- stürzend. Zum einen ist der Verlust des Arbeitsplatzes für jeden Betroffenen tra- gisch, da die Region Steyr kaum freie Arbeitsplätze anzubieten hat. Zum ande- ren hat der geplante Personalabbau für die gesamte Wirtschaft der Stadt infolge des Kaufkraftverlustes und für den Gemein- dehaushalt infolge rückläufiger Steuerein- nahmen drückende Folgen. Die Bemühungen der Stadt um die Ansiedlung neuer Betriebe werden aber einerseits durch die äußerst angespannte Finanzlage der Stadt und andererseits durch das Fehlen von Grundreserven in- folge des eng begrenzten Gemeindegebie- tes äußerst erschwert. Nunmehr bestünde die Gelegenheit, von den Steyr-Werken das etwa 50.000 Quadratmeter große Reit- hoffer-Areal zu erwerben, welches in der Folge Interessenten für Betriebsneugrün- dungen angeboten werden könnte. Über die Ankaufmodalitäten finden derzeit Ver- handlungen statt. Die Stadt Steyr wird aufgrund der Größe der Liegenschaft nicht in der Lage sein, die Kaufsumme aus eigener Kraft aufzubringen und hat sich deshalb an Bund und Land Oberöster- reich um Hilfe gewandt. Von letzterem wurde durch Landeshauptmann Dr. Rat- zenböck bereits die grundsätzliche Bereit- schaft zur Förderung signalisiert. Meine Bitte geht konkret dahin, dieses große und für die Stadt Steyr lebenswichtige Projekt in der Bundesregierung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu unterstützen und zu vertreten. Ich erlaube mir aber auch, auf ein zweites gravierendes Problem der Stadt hinzuweisen, nämlich eine für eine Indu- striestadt unzureichende verkehrsmäßige Aufschließung. Dies desha lb, weil es sich gezeigt hat, daß ansiedlungswillige Betrie- be aus diesem Grund der Stadt wieder den Rücken gekehrt haben. Da bezüglich einer besseren Erschließung durch die Bahn wegen der Lage an einer Nebenstrecke nur geringe Möglichkeiten gegeben sind, ist eine bessere Anbindung an die großen Fernverkehrsrouten und an den oberöster- reichischen Zentralraum für die Zukunft gesehen eine Lebensfrage. Ich ersuche daher, auch diesen Anliegen der Stadt die Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist mir klar, daß es für die Bundesre- gierung nicht nur die Probleme der Stadt Steyr gibt. Ich ersuche jedoch um Ver- ständnis, daß ich als Bürgermeister zum jetzigen Zeitpunkt die Stimme erhebe, denn für jeden Steyrer Bürger ist der Gedanke erschreckend, daß sich die Ereig- nisse der Zwischenkriegszeit noch einmal wiederholen könnten." Pimsl. der stellvertretende Obmann des Arbeilerbetriebsrates der Steyr-Werke, Leopold Tatzreiter, und Betriebsrat Oberreiter. Foto: Hartlauer 4/252 sft'yr

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