Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1993

Es ging mühsamer, als ich dachte. Wütend sprang mir der Sturm entgegen. In dem knietiefen Schnee, ohne Sicht , immerhart an derAufstiegsspur - immer wieder mußte ich einhalten und Atem holen. Als ich zu den tiefverschneiten Almen kam, begann es zu dunkeln. Kaum daß ich meine Aufstiegsspur noch sehen konnte. Mit aller Mühe erreichte ich den Hof. · Genug! Bei Nacht und Sturm wollte ich die Abfahrt durch den steilen Bergwald nicht wagen. Der alte Höss würde gewiß für mich eine bescheidene Lie - gestatt haben. Er trug gerade einen armvoll Scheiter in die Stube.Als ermich aus der Finsternis herabkommen sah, knurrte er: „Als wär ' noch nicht genug Sorg' in der Welt", und warf, statt einen Fluch anzuhängen, die Scheiter polternd a uf den Fußboden hin. Ich aß ein wenig und verkroch mich dann auf den weitläufigen Ofenhimmel. Der Alte brachte mir sogar noch eine Decke. Das reichte für die Nacht. Doch ich konnte lange nicht einschlafen . Seltsam, diese uralten Einschichthöfe, die stehen und leben, seit Menschen im Lande sind! Sie sind wie Wesen von Fleisch und Blut , map spürt sie leibhaftig ,undisteineUnruhe in ihnen, wird auch der Fremde davon erfaßt. Ich hörte den Bauer, wie er in die Kammer hinaufstapfte. Was war es nur? Er redete mit seinemWeib. Ich konnte nicht verstehen, was er sprach, es waren kurze abgerissene Worte. Nach einer Weile kam der Alte in die Stube herein . Sorgsam hielt er die knochigenHandum die unruhige Flamme. Das Blut in den Fingern schimmerte rot. ,,Lehrer", sagte er zu mir mit schwerer Stimme, ,,es ist arg. Der Tod ist schon unterwegs und er ist noch so jung, unser Michel." 00 40 Ich erschrak. Dies also war es . Der Michel! Ich kannte den lebfrischen Buben wohl. Es war ein außereheliches Kind seines Sohnes, des Jungbauern, der im Kriege geblieben war. Dieses Enkelkind war der einzige Sproß , der künftige Erbe des Hofes. „Mein Weib sagte, es wäre noch zu helfen. ImDorf unten, der neue Doktor, dem müßte man es sagen, der könnt etwa noch helfen." Der Alte würgte schwer an dem, was er sagen wollte, herum. „Soviel Schnee, Lehrer. Und meine alten Füß'! Nicht durchzukommen." Und dann: ,,Es müßte einer schneller sein als der Tod ... " Ich ging mit ihm in die Kammer hinauf und sah das Kind, wie es hilflos in seinen Schmerzen lag. Die alte Bäurin betete. Sie mochte recht haben. Es gab wohl nur mehr diese einzige Möglichkeit . So fuhr ich denn los, hinaus in die Nacht. Ich weiß selbst nicht mehr, wie ich ins Dorf gekommen bin . Der junge Doktor machte nicht viel Umstände, ein Glück, daß er selbst ein ausgezeichneter Skiläufer war. Wir schnallten die Seehundsfelle an unsere Bretter. Der Sturm hatte etwas nachgelassen. Der Mond trat aus den Wolken. Im Walde waren sogar meine Spuren noch zu erkennen. Kurz vor Mitternacht kamen wir auf den Hof. - Ich weiß nicht, ob das Leben dieses Kindes wirklich nur durch das rechtzeitige Eingreifen des Arztes gerettet worden ist. Möglich, aber das eine weiß ich sicher, daß der alte Höss zu Weihnachten dem kleinen Michel ein Paar Ski gekauft hat, damit der Bub rechtzeitig auf die Bretteln kommt, wie mir der Alte gestand; denn, so meinte er mit einem seltsamen Lächeln in den tausend Falten seines Gesichtes: ,,Es muß doch nicht so ungut auf solchen Bretteln zu leben sein und etwa ist es auch dem Herrgott recht, das mit den 'schnellen Bretteln"'.

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