Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1993

seite 200 m. Der rötliche Sandstein schimmertinderspätenNachmittagssonne, und die Feigenbäume über der Zellenmauer hängen voll reifer Früchte. Heute liegt der große Platz lautlos still. Vor 250 Jahren widerhallte das mächtige Kirchengewölbe vom Gesang Tausender Guarani-Indianer. In den Jahren der blühenden Reduktion lebtenhier20.000Menschen, die ihr reiches Gemeinwesen unter der Anleitung eines einzigen weißen Vaters selberverwalteten. Nach derVernichtung der Reduktion wuchs wieder der Urwald darüber. Übernachtung in einem sauberen Bungalow-Motel des argentinischen Automobilklubs, freundliche Bewirtung zu unglaublich niedrigen Preisen. Am nächsten Tag zieht uns von Süden herauf eine schwarze Gewitterfront entgegen. Wir fahren durch gut bebautes Kulturland des Distriktes „Misiones". Maiswirdimmermehrdurchweite Felder von Sojabohnen ergänzt . Bevor wir Posadas erreichen, wo wir den hier über 2 km breiten Parana auf einer Fähre nach Paraguay überqueren wollen, bricht das Unwetter los. Ein Glück, daß uns die tiefen Regenbäche hier auf der Asphaltstraße nicht gefährden - auf einer Erdstraße säßen wir bald im knietiefen roten Schlamm unweigerlich fest. Doch in Posadas wird uns gemeldet, daß „drüben" in Paraguay die Erdstraße nach Encarnacion, wo ebenfalls Ruinen mitten im notdürftig gerodeten Urwald stehen, auf Tage hinaus für jeden Verkehr gesperrt ist. Aber noch wartet im Osten jenseits des Rio Uruguay in Sao Miguel eine der schönsten Indianerkirchen auf uns. Wir wenden nach Osten und fahren durch das hier zwischen beiden Strömen nur 50 km breite Argentinien bis an die brasilianische Grenze des Staates Rio Grande do Sul. Der Himmel hellt sich wieder auf . Als der Asphalt zu Ende geht, ist hügelauf, hügelab auch die bald trocknende Erdstraße wieder befahrbar. Eigens unseres Autos wegen verkehrt heute die Fähre über den breiten, seestillen Rio Uruguay. Für den einsamen Grenzposten Sao Xavier sind wir eine gern begrüßte Abwechslung . Mit allen guten Wünschen wagen wir weitere 120 km Erdstraße nach Sao Miguel. Sie wird die härteste Prüfung für unsere Fahrkunst. Zwei tiefe Fahrspuren, dazwischen ein hoher, schon wieder hart gewordener Lehmsockel, drohen ständig mit einem rettungslosen Aufsitzen des Autos. Scheuernd kratzt die Kruste unter dem Autoboden. Nach vier Stunden Fahrt für 120 km atmen wir endlich am Ziel auf. Die Ruinen derKathedrale. Doch Sao Miguel entschädigt uns reichlich für die überstandenen Ängste. Im Gegensatz zu der Urwald-Reduktion San Ignacio ist SaoMiguel eine Gründung auf hochgelegenem, trockenem Campland. P. Antonius Sepp, ein Missionar aus Kaltern in Südtirol, berichtet in seinen Tagebüchern, die 1713 in Ingolstadt gedruckt wurden, wie er mit 3000 Indianern das damals bereits überbevölkerte Land um San Ignacio verließ, den Rio Uruguay auf Flößen überquerte und östlich des Stromes auf weitem Steppenland eine neue Reduktion gründete: SaoJoaoBaptista , 20 km von Sao Miguel entfernt. Er brachte 6000 Rinder mit, und die offene Camplandschaft hallte bald vom Singen der indianischenHirten und demBrüllen der schwarzen Rinderherden wider. Sao Miguel faßte bald 12000 indianische Einwohner, und der Kirchenbau dauerte 12 Jahre. Doch dann stand eine Kathedrale da, die sich in großen europäischen Städten hätte sehen lassen können. Heute imponieren noch die prächtig gegliederte Vorhalle, die breite Fassade und der massive Turm. Noch vor einigen Jahrzehnten wuchsen Bäume aus den Mauern, und der Steinboden des Kircheninnern war schuttbedeckt und vom Urwald zugewachsen. Heute ist die Erhaltung dieses großartigen Denkmals christlicher Indianerkultur gesichert . Noch einmal taucht in meiner Vorstellung der Tag der Vertreibung der weißenVäter herauf. Der Österreicher Florian Pauke schreibt in seinem Lebensbericht: ,, ... In diesem Jahr 1767 geschahe das große Unheyl. Das Volk sammelte sichauf demPlatz, alles war voller Geschrey und Weinen: 'Ach, unsereVäter, wo laufenwirjetzthin, wenn ihr uns verlaßt! Uns bleibt nur noch die Wildnuß' . .." 35

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