Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1989

richt , daß unsere Kaiserin durch Mörderhand gefallen sei. In unserem Klassenzimmer hing ihr Bild, zu dem wir immer inBewunderungundVerehrung aufsahen , das feine Gesichtchen, die dunkle Haarkrone. Zum ersten Mal in meinem Leben erfaßte ich den Begriff Bosheit in seiner ganzen Tiefgründigkeit , ich war davon so sehr erschüttert, daß ich ziellos umherirrte und zu jedermann, den ich begegnete, sagte, die Kaiserin ermordet. In kindlicher Unbeholfenheit und vielen Rechtschreibfehlern verfaßte ich einen Brief, . .. an den Kaiser. Er wurde nie abgeschickt , aber meine Mutter verwahrte ihn lange, denn er zeugte in kindlichenWorten von einer Sühnebereitschaft, da solch ein Unglück über unser Land gekommen sei. Damit ist die Geschichte meiner Kindheit zu Ende, aber der Anfang einer Erkenntnis gegeben, daß der Ausgleich alles Geschehens letztlich an uns liegt , denn wir müssen über uns hinaussehen. Ich habe in meinem späterem Leben die Kriege und Umstürze erlebt, den Verlust nicht nur an Materiellem, besonders aber an geistiger und moralischer Substanz, das Böse triumphiert, das Gute lächerlich gemacht . In unserer Hand liegt es den Ausgleich zu schaffen, damit das Zünglein an der Waage seinen Ruhepol erreicht. Die Frau sah zu mir auf, die Weisheit des Alters blickte mich an. Ich beugte mich über ihre Hand und küßte sie. 44 Kindermund „ Also, Kind, du mußt in den Ferien bei Tante Emmi artig sein und darfst nicht zuviel essen .MitvollemMagenkann man nämlich nicht schlafen ." „Das macht nichts, Mutti, ich schlafe doch immer auf dem Rücken ." * „Wie weckte der Prinz das Dornröschen, Michael? - Nun , was gibt dir d_eine Mutti jeden Morgen?" ,,Einen Löffel Lebertran ." Ute Stasua: _______ Als der Mond in der Küche Besuch machte Immer, wenn der Mond in die Küche schien, konnten alle Gegenstände miteinander reden. ,,Der Herd ist der Fleißigste unter uns", sagte der Tisch. ,,Was du schon alles gekocht und gebacken hast! Damit könntest du wohl alle Menschen in einer großen Stadt füttern ." ,,Ja, ja", brummte der Herd, ,,meine Kochplatten und mein Backrohr haben schon so Manchem Freude gemacht. Wenn ich nur an die viele Marmelade denke! Die Gläser, die ich im Laufe der Jahre gefüllt habe, gäben sicher einen himmelhohen Turm, wenn man sie aufeinanderstellte". „Das stimmt", klapperten die Töpfe und ihre Deckel, ,,wirwissen das ambesten". ,,Seit es aber mich gibt", rief die Tiefkühltruhe, ,,hast du nicht mehr so viel zu tun . Ich kann alles lange Zeit aufbewahren, ohne daß es eingekocht werden muß". ,,Ach, deshalb bleibt immer noch genug zu tun", riefen die Geschirrtücher, ,,schließlich muß das Eingefrorene auch gekocht werden". ,,Was aber", meldete sich der Mülleimer unter dem Spülbecken , ,,was aber geschieht mit dem Abfall?" Da lachte der Mond und sagte : ,,Der Abfall, der kommt auf die Müllhalde. Dort veranstalten dann die Mäuse eine Party und einen Lumpenball". ,,Jetzt erzählst du aber Märchen", meinten die Herdplatten. Der Mond lächelte. ,,Dann will ich euch sagen , was mit dem Zeug geschieht , das in denMülleimer geworfen wird. Der ganze Abfall kommt in eine Fabrik. Dort trennt man Glas, Papier, Metall und alles andere und macht alles mögliche daraus : Dünger für die Pflanzen, Glas für die Küche, Papier und Stoffreste kommen in die Papierfabrik und aus Metallabfällen machen sie wieder neue Herde." Da rief das Backrohr : ,,Jetzt schwindelst du aber schon wieder!" Doch diesmal hatte der Mond die Wahrheit gesagt .

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