Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1989

rend die Mutter am Feuer hantierte. Ich Jfühlte plötzlich Kräfte, die eine Betätigung erforderten. Der Zeigefinger meiner Rechten ertastete die Jutehülle des Sackes und bohrte so lange dagegen, bis sich die Fäden auseinanderschoben und ein Loch entstand. Diese Tätigkeit wird sich wohl auf mehrere Tage erstreckt haben , wobei ich zwischendurch immer wieder einschlief. Aber sie war zielstrebig, denn allmählich riß ein Gewebefaden nach dem anderen und es entstand ein Loch, ein kreisrundes Loch, in dem etwasDürres rauschte. Die tiefe Zufriedenheit, die mich dabei überkam, währte jedoch nicht lange, denn auch meine Mutter mußte beim Schütteln meines Unterbettes den Schaden bemerkt haben und drehte den Laubsack einfach um. Das war das erste Ungemach, dessen ich mich en tsinne, das sich in mein Leben einschlich, die Zerstörung eines selbstgeschaffenenWerkes. Nichtunterkriegen lassen, mußte ich damals im Unterbewußtsein gefühlt haben, und so begann ich meine Tätigkeit an der Unterseite des Laubsackes von neuem. Daß ich dafür kein strafendes Wort von seiten der Mutter empfing, fiel auf das Guthaben meines kleinen Lebens. Das nächste, an das ich mich später erinnern konnte, ich saß auf einer Wiese und freute mich, wenn die Heuschrecken auf meinen Zugriff emporhüpften. Es war ein sonniger Junitag, die Mutter arbeitete nebenan am Acker. Ich glaube, ich habe im späterem Leben nie mehr eine solche Uberfülle von Wonne empfunden über eine blühendeWiese, wie damals, a ls ich die Namen der Blumen noch gar nicht kannte, wie Margarite, Steinnelke, Glockenblume und Zittergras, und wenn ich auch manches Köpfchen knickte, geschah dies nicht aus Zerstörungstrieb, sondern aus dem Verlangen Besitz zu ergreifen von all dem Schönen. Darüber muß ich eingeschlagen sein, doch als ich erwachte, fühlte ich zugleich den Tätigkeitstrieb in mir. Aber ich konnte nur krabbeln, selbständigmich aufrichten vermochte ich noch nicht . So rutschte ich ein wenig ungeduldig hin und her, bis ich eine Gießkanne erreicht hatte, die mich meinem Wunsch aufrecht zu stehen, näher bringen sollte. Schon hatte ich sie erfaßt und zog mich ~aran empor. Doch, sollte man dies für möglich hal - ten, ich war stärker als die Kanne, sie hielt meinem Zugriff nicht stand und kippte. Das kalte Naß ergoß sich auf mich. Da lag ich nun, völlig verschreckt, daß etwas Böses über mich hereingebrochen war. Auf mein Geschrei eilte die Mutter herbei, zog mir die nassen Hüllen vom Körper, und da starn;l ich nun in holder Nacktheit, plötzlich die warmen Sonnenstrahlen genießend, die sichwie versöhnend auf meinenKörperlegten.DasZüngleinan der Waage war wieder in den Urzustand zurückgekehrt . Mein Vater arbeitete in der Försterei beim Holzschlag, er kam immer erst zumWochenende heim. Mit derMutter beriet er dann, was mit dem empfangenen Lohn angeschafft würde, insbesondere, welche Verbesserungen am Haus am dringensten seien. Mich aber setzte er aufs Knie und pfiff ein lustiges Lied . So genoß ich das Gute und Schöne s•eit frühester Kindheit ohne zu begreifen, daß es im Leben des Menschen, wie in der ganzen Welt ein Hoch und Tief gab, dem wir ausgeliefert sind und es letzten Endes an uns liegt, es zu meistern. Eines Tages nahm mich die Mutter am Arm, drückte mein Köpfchen an ihre Wange, ich fühlte, daß sie naß war und bei der Berührungmeines Mundes salzig schmeckte. Sie öffnete die Tür zum guten Zimmer. Dort lag mein Vater, er hatte seinen guten Anzug an und schien zu schlafen. Aber seine Wangen waren nicht rosigwie sonst und die Lippen fest aneinander gepreßt. Das ist dein Vater, sagte die Mutter, sieh ihn dir gut an, du wirst ihn nicht mehr sehen. Dann drückte sie meine Händchen zusammen und sprach das Gebet, das sie mir jeden Abend vor dem Einschlafen vorgesungen hatte. In der Mauernische brannte ein Öllicht . Im Holzschlag verunglückt, so sagte man mir später einmal .War es eine unbegreifliche Bangigkeit, die mich erfüllte, oder das Trostliche des Gebetes, das mir sagte, daßjetztallesgutsei, gut für den friedlich schlummernden Vater? Das Leben ging weiter und da ich merkte, daß es für die Mutter oft schwer war, bemühte ich mich gut zu sein, um alles in die rechte Waage zu bringen. Als ich das zweite Jahr zur Schule ging, ereilte uns die Schreckensnach43

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