Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1989

Geschenk.wieder einmal zu sehen und in den Händen zu halten." ,,Es ist unser Schatz und die Bürgschaft, daß der Herzog immer die Hand über unser Waldkloster in dieser Einsamkeit an der Baierngrenze hält - im Augenblick steht alles vor dir, Herzogin ." Als der hohe, schwere Kelch aus vergoldetemKupfer Liutbirga dunkel entgegen funkelte, faßte sie eine schmerzhafte Sehnsucht, einen Tag nur wieder so froh und unbelastet leben zu können, wie damals, da dieses Kunstwerk in jahrelanger Goldschmiedarbeit allein für sie geschaffen wurde. Sie fuhr mit ihren tastenden Händen vom Fuß bis zum Lippenrand des Kelches empor. Sie spürte seine metallene Haut , die rings mit Pflanzenranken in breit schmuckvollen Bändern ausgekerbt war. Sie fühlte die Tierleiber, die sich darin wanden. Ehrfürchtig streichelte sie die fünf ovalen Silberplatten an der Cuppa, die Christus und die Evangeli- ·sten darstellten, Sie hätte noch länger reglos und verzaubert vor der herrlichen Hochzeitsgabe gestanden - hätte nicht in diesem Augenblick jemand mit einem harten Schlag an die Türe geklopft. Tassilo wandte sich zornig herum. Der Wächter stand schon in der Tür. „Kannst du nicht warten?" fuhr er ihn an. ,;verzeih es, Herzog - der Hauptmann der Torwache braucht sofort Antwort! Awarische Reiter stehen vor dem Kloster - sie behaupten, von dir bestellt zu sein!" DieHerzogin fuhr vomKelch zurück, als hätte sie jemand auf die Hände geschlagen. ,,Awaren hast du bestellt - hierher in das Kloster?" fragte siebetroffen und entsetzt. Tassilo war verlegen. ,,Ich wollte es dir noch vorher sagen, Frau: Dieser Awaren wegen bin ich nach Kremsmünster geritten. Auf meiner Herzogpfalz in Ötting werde ich ja doch auf Schritt und Tritt beobachtet." ,,Tassilo, ich bitte, sei vorsichtig!" flüsterte sie bebend. ,,Du weißt nicht, in welche Gefahr du dich begibst!" Der Herzog wollte aufbrausen. Er bezwang sich. ,,Das ist Männersache! Geht jetzt, du und der Abt; laßt mich mit den Awaren allein!" Die Frau schwieg . Sie wußte, wenn sein Gesicht sich verhärtete wie in diesem Augenblick , dann änderte ihn kein Bitten und Beschwören mehr in seinen Entschlüssen . Schweigend verließ sie mit demAbt , der den Kelch vorsichtig wieder in roten Samt wickelte, das Turmgelaß . Endlich allein, trat Tassilo an das Fenster. Er war sehr b laß geworden . Vielleicht hatte Liutbirga mit ihrer Angst recht. Der Frankenkönig hätte keinem seinerHerzoge, die ihm den Vasalleneid geschworen hatten , Verhandlungen mit Völkern erlaubt, die außerhalb des Frankenreiches noch unabhängig lebten. Was er jetzt unternahm, davon durfte Karl nie erfahren! Die Buchen an der hohen Leite östlich des Kremsflusses standen voll blutrotenLaub schimmernd imGegenlicht. Das Gestrüpp darunter ließ keinen Blick durch sein dichtes Zweiggewirr frei. Tassilo lachte krampfhaft: Er hätte keinen sicheren Begegnungsort mit den Abgesandten des awarische;n Cagan, des Königs, wählen können! Als er sich umwandte, standen vier hochgewachsene Männer in der offenen Tür. Liutbirga hatte sie nicht mehr eingeklinkt, und der Wächter hatte die Besucher vor dem Klostertor unten empfangen. Die Awaren waren auf ihren Opanken aus Wildleder lautlos und so rasch die Steinstufen heraufgestiegen, daß der schwerfällige baierische Wächter kaum folgen konnte. Tassilo ging ihnen schweigend entge - gen. Drei Schritte vor den Fremden fragte er: ,,Kennt ihr das Wort!" Bei der Einladung an den Awarenkönig, die ein treuer Bote des Baiernherzogs überbracht hatte, war ein Kennwort vorgeschlagen. Der erste der Awaren, an der prächtigen Awarenspange, die aus Gold und nicht wie sonst aus Bronze gegossen, und mit blau funkelndem EmailGlasfluß eingelegt war, erkannte man den Anführer, er trat einen Schritt vor: ,,Frieden für immer!" Jetzt erst lud sie der Herzog ein, das Gelaß zu betreten. ,,Seid willkommen in meinem Land. Wie war der Ritt?" Der Oberste verstand die Sprache der Baiern. Er wechselte mit seinen 37

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