Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1989

Der Königstraum Historische Erzählung um den Bayernherzog Tassilo III. Von Prof. Franz Braumann ________ _ ,,Bald wirst du Königin sein!" Tassilo und seine Gemahlin, die langobardische Königstochter Liutbirga standen auf dem Turm des Waldklosters Kremsmünster. Vor zehn Jahren , 777, hatte es der Baiernherzog zur Missionierung der Slawen gegründet, die jenseits der Enns noch schütter zwischen den baierischen Neusiedlern lebten. Liutbirga legte dem Mann die Hand auf den Mund. ,,Sprich es nicht so laut! Überall könnten Lauscher sein - und wenn es dein Vetter König Karl, der Franke, hörte!" Tassilo fuhr mit der Hand durch die Luft, als wollte er unangenehme Gedanken verscheuchen. „Seine Spione sind überall, doch in mein Waldkloster kommen sie nicht. Es ist mein Zufluchtsort, wenn ich mich in der Herzogspfalz beobachtet fühle." Und wie zum Trotz wiederholte er es noch einmal: ,,Bald wirst du baierische Königin sein, Liutbirga !" Seine heimlichen Vorbereitungen, sich von der immer drückender werdenden fränkischen Oberhoheit zu befreien, brachten in der letzten Zeit einenErfolg nachdem andern .Die langobardischenKönigstreuen konnten es nicht verwinden, daß sich der Franke selber zum neuen König der Langobarden eingesetzt und das eingeborene Königshaus entmachtet hatte. Die Alemannen am Bodensee und in Augsburg lebten in guter Nachbarschaft mit den Baiern. Und die Jahre, da er den Slawen-AufstandinKarantanienblutig niederschlagen mußte, lagen fast zwanzig Jahre zurück. Seither wuchs dort unten eine neue Generation heran, die in Frieden mit den Baiern lebte. Tassilo hielt ja auch mit seinen rauhen 36 Baiernkriegern ihren gemeinsamen gefährlichenNachbarn, die Awaren, in Schach. Liutbirga wurde eine heimliche Angst nicht los. So sehr sie die r a sche Entschlußkraft des feurigen Herzogs und Gemahls liebte, so bangte ihr auch vor dem oft unüberlegten Leichtsinn , in den er sich treiben ließ . König der Baiern - der fränkische Herrscher würde es nie zulassen! Um diese gefährliche Aussprache zu einemEnde zu bringen, wollte sie ihren Gemahl Tassilo auf andere Gedanken lenken. ,,Denkst du noch an den KupfergoldKelch, den du mir zu unserer Hochzeit schenktest, Tassilo? Du hast ihn dem Waldkloster zur Aufbewahrung übergeben - ich möchte ihn gern wieder sehen!" Tassilo erinnerte sich und lachte fröhlich. ,,Das war unsere glücklichste Zeit , als wir in Bozen Hochzeit feierten! Der Brautzug durch das Land im Gebirge, die herbstlichenTraubenhänge im Etschtal - die schönste Jungfrau, die es im Langobardenreich zu finden gab!" Der Herzog klatschte in die Hände. Als die Wache eintrat die Tassilo stets begleitete, befahl er: ,,Meine Gemahlin läßt Abt Albo bitten!" Der junge, dunkelgelockte Benediktiner, ein Langobarde wie Liutbirga, erschien an der hohen Eichentür, die mit Kupfer beschlagen war, das jetzt im Gegenlicht der Sonne rot auffunkelte. „Meine Herrin, welchenWunsch darf ich dir erfüllen?" fragte er. ,,MeinHochzeitskelchund die Leuchter aus Kupfergold stehen im Kloster aufbewahrt. Mich gelüstet es, das

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