Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1985

viele Geheimnisse, zarte und andere. Vom Geld gar nicht zu reden! Der Briefträger, der Tag für Tag von Türe zu Türe geht, von Mensch zu Mensch, - ist er nicht der erste, der wichtigste Bote im Dienste des Nächsten, ein wahrer Apostel der Menschlichkeit? Von ihm hängt es ab, wie der Morgen, wie der ganze Tag aussieht. Deshalb muß er Würde haben, das heißt, einen Bart. Dem aber, der ihn vertreten sollte, stand noch ein leichter Flaum unter der Nase. Sebastian Wurz verkroch sich brummend in sein Haus und riegelte die Türe zu, überzeugt, daß der Welt nunmehr eine furchtbare Katastrophe bevorstände. Die Stunden währten endlos. Wie lange ist so ein Tag, an dem man nichts zu tun h~t, als finstere Gedanken zu spinnen! Und wenn die erwartete Katastrophe ausbfü;b, was dann? Zum erstenmal in seinem Leben kam sich Sebastian Wurz überflüßig vor. Die Vorstellung, daß die Welt auch ohne ihn in gewohnter Weise fortgehen könnte, machte ihm Angst. Er fand keine Ruhe mehr. Als die Stunde der Briefzustellung kam, schlich er heimlich ins Dorf, um zuzusehen, wie die Welt in das Chaos stürzte. Er 'hatte sich nicht geirrt. Zum Teufel, wie rannte der Kerl herum? Er SIEGFRIED TORGGLER benahm sich, als wäre das ganze Dorf für ihn eine Art Kreuzworträtsel, bei dem man einmal da, einmal dort, einerlei wo, ein wenig herumprobiert, zufällig etwas errät, dann irgendwo weitersucht und allmählich trachtet, das Ganze in Ordnung _zu bringen. Hatte er ihm nicht dutzendmal eingeschärft: Erst zum Kreuzwirt, dann zum Pfarrhof, dann schräg gegenüber ins Forstamt, darauf zum Kramer und so fort. Und jetzt schoß dieser Kerl verzweifelt zwischen Schule, Gendarmerie und Försterei herum, wie ein Pinscher, der einen Baum sucht und keine finden kann. , Da, mußte etwas geschehen. Aber Sebastian Wurz kannte die Vorschrift. Ein Briefträger durfte in Ausübung seines Dienstes niemals gestört werden. Das Betreten des Postamtes aber war ,ihm für die Dauer seines Urlaubes untersagt. Wie sollte er also an den Mann herankommen? Da schoß ihm ein rettender Gedanke in den Kopf: Sebastian Wurz schrieb einen Brief an sich selbst. ' Die gezückte Uhr in der Hand, erwartete er am anderen Tage die Zustellung. Als dieser Unglücksmensch siebenundzwanzigeinhalb Minuten nach dem von ihm errechneten Zeitpunkt vor seiner Türe eintraf, ließ er, jetzt nicht als Briefträger, sondern als Partei, eine Beschwerde los, daß Sie ist nur eine der vielen Stiegen der alten Stadt, 42 aber die schönste. - Sie ist eine Himmelsleiter, gewoben aus Vogelgezwitscb.er und Himmelsblau, aus Blütenträumen und Frühlingslüften, süß und Tau. . Sie ist eine Sonnenharfe mit tausend glitzernden Saiten im tönenden Tag. Sie ist ein verwunscb.eri.es Einkehrhalten, · ein scb.lummertiefes Zurücksichfi.nden zu · Lercb.enjubel und Amselschlag. -

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