Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1973

Steyrer l(alender zur VNTERHALTVNC, Wenn ein flüchtiger Besucher so alle fünf oder zehn Jahre durch Steyr fährt , wird er vermutlich den Eindruck gewinnen, daß sich in Steyrs inneren Stadtteilen kaum etwas geändert hat. Vielleicht fällt ihm auf, daß die Mündung der Steyr in die Enns irgendwie anders ist, als sie früher war, oder daß flußabwärts eine neue Brücke erbaut worden ist. überblickt man im Alter lange Zeiträume, dann merkt man erst, wie vieles seit der Jahrhundertwende Änderungen unterlag. Beginnen wir beim Stadtplatz: Er ist zweifellos schöner als früher. Viele Häuser sind stilgerecht instandgesetzt worden, wobei manche bauliche Schönheit ans Tageslicht gekommen ist, wie z. B. das gotische Band am Hause der Bank für Oberösterreich. Der Blumenschmuck wurde viel reicher, Pflaster und Beleuchtung sind tadellos. Früher zog sich über den ganzen Stadtplatz ein breiter ungepflasterter Mittelstreifen, während die beiden Seiten mit den so unbeliebten Katzenköpfen gepflastert waren. Unschön ist allerdings der Umstand, daß der Platz tagsüber mit Autos verstellt ist. Vor dem Kaffee Landsiedl, das sich in dem Lokal befand, in dem heute die Kassenräume der Sparkasse liegen, hat in jedem Frühjahr Herr Landsiedl einen Gartensalon aufgestellt. Das war ein eisernes Gerüst in Form einer Hütte mit einer starken Plache zugedeckt und einem Bretterboden versehen. Rundherum war sie von „Schanigärten" eingefaßt, drinnen standen etliche Tische mit Stühlen. Die Kaffeehausgäste konnten sid1 einbilden, im Freien die frische Luft genießen zu können. Der durch Straßenfuhrwerk verursachte Staub störte kaum, schlimmer war der vom Wind aufgewirbelte. Der Staub wurde durch Auf2 spritzen bekämpft. Auf einem massiven Fahrgestell, das von zwei kräftigen Pinzgauern gezogen wurde, war ein riesiges mit Wasser gefülltes Holzfaß aufgebaut. Rückwärts war eine Pipe angebracht, auf die ein ungefähr eineinhalb Meter langer Schlauch aufgezogen war, der in eine große Brause mündete. An der Brause war ein starker Strick mit Holzknebel befestigt, den der Spritzenmann in Händen hielt. Wenn der Wagen fuhr , machte der Mann große Schritte und schwenkte im Takt die Brause weit nach rechts und links und traf das Verteilen des Wassers so schön, daß die ganze Straßenbreite gleichmäßig benetzt wurde. Mit Granitwürfeln waren die Enge, ein kleines Stück des anschließenden Stadtplatzes, Zwischenbrücken, die Bahnhofstraße bis zur Färbergasse, die Kirchengasse und die Sieminger Straße bis zur Frauenstiege gepflastert. Alle übrigen Straßen hatten Schotterdecken, die von Zeit zu Zeit gewalzt wurden. Aus mir unbekannten Gründen galt damals die Sparkassenseite des Stadtplatzes als die mondänere. Dort spielte sich in den späteren Nachmittagstunden der Wochentage so etwas wie ein Corso ab, zumal die weibliche Jugend diese Zeit gerne benützte, um Besorgungen zu machen. Daher waren auch die jungen Herren zur Stelle. Am Sonntag vormittags, ungefähr von halbelf bis halbzwölf, entwickelte sich in der Mitte des Stadtplatzes der „Bummel" , der bei gutem Wetter immer stark besud1t war, we il sich „ganz Steyr" dort traf . Man blieb beieinander stehen, sprach kürzere oder längere Zeit mitsammen oder ging einmal über die ganze Länge des Stad tplatzes mit hin und her, trennte sich wieder und begrüßte · andere Bekannte. Es war dies für das gesellige Leben eine recht nette Gewohnheit, di e von der 33

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