Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1971

So wird ·man v_erdächtig Eine groteske Gesdtidtte von C. K. Fa/an Der Mann in der Straßenbahn stieß einen Freudenschrei aus und schlug seinem Gegenüber auf die Schenkel, daß es knallte. „Menschenskind! 'Gaston, daß ich dich einmal wiedersehe! Wie geht es dir? Was treibst du jetzt? Wo bist du nur die ganzen Jahre gewesen?" Der He.rr gegenüber richtete sich steil auf und zog die Brauen hoch. ,, Entschuldigen Sie bitte, aber ich heiße weder Gaston, noch erinnere ich mich, jemals Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. " ,, Er ist nod1 genau von der selben . Schüchternheit wie in der Schule. Alter immer faustdick hinter den Ohren 1" ,, Ich bin wirklich · nicht Ihr Gaston!" sagte der Herr und blickte zum Fenster hinaus. „Ja, du hast didi sehr verändert, das muß ich zugeben. Früher . warst du selbs'tverständHch n~cht so dick. . Aber das kommt bekanntlich mit den Jahren von ganz alleine! Haha! Wir waren immer die besten Freunde, jetzt tust du, als hättest du midi vorher nie gesehen." „Das stimmt auch. Ich kenne Sie überhaupt nicht" , sagte der Herr, der Gaston heißen sollte. ,, Ja ja, du bist nicht mehr der Alte, Gaston. Früher warst du ·blond , heute bi st du braun! " „Das ist ja purer Unsinn, was Sie da red~n ! Ich bin nie in meinem Leben blond gewesen!" „Aber Gaston, warum gibst du es denn nicht zu, daß ich dein alter Freund Jacques bin? Ach, und da fällt mir auf. d:.ß du früher eine so tiefe Stimme hattes t. Jetzt aber sprid1st du, als hättest du Kreide g~gessen wi e der Wolf im Märchen. " ,, Ich habe nie anders gesprochen! " protes tier te der Herr, der sich allmählid1 nicht mehr wohl in seiner Haut fühlt e. Die Blicke der Straßenbahngäste richteten sich von allen Seiten auf ihn. „Oh, Gaston! " rief der Mann und rüttelte seinem Gegenüber an den Knien. ,,Gaston, warum mußt du deinen alten Freund Jac_ques verleugnen?" ,, Ich bin ganz einfach nicht Gaston! Lassen Sie mich bitte in Frieden! " · ,, Ich will ja gern zugeben, daß du dich verändert hast, Gaston. Deine Nase ist heute breit. Das kommt wohl von deiner Box-Leidenschaft." ,, Nie habe ich geboxt. Ich hasse Boxen!" schrie der Herr außer sich. ,, Gaston, du bringst mich zur Verzweiflung. Zugegeben, du hast mir damals meine kleine Madeleine ausgespannt, und ich habe sie dir ja auch gern überlassen, weil du so gut boxen konntest. Aber deswegen sollten wir uns doch nach langen Jahren die Hand geben wie zwei alte Freunde. Hier meine Hand Gaston! " Der Herr blickte über die Hand hinweg und sagte sch.irf: ,, Idi habe Ihnen Ihre Braut nicht ausgespannt. Ich habe kei.nem jemals sein Mädchen weggenommen. Und im übrigen kenne ich Sie nicht! " „Gaston, was ist los? Du hast deinen Charakter aber sehr verändert. Früher warst du ill1111er so gutmütig. Hast du etwas zu ve rheimlichen? Willst du mich nicht mehr kennen, weil du etwa im Zuchthaus warst?" Jetzt wollte der Herr seinem Peiniger an die Gurgel springen, aber ein Fahrgast hielt ihn von hinten am Kragen fest. „Gaston, gib doch endlich zu, daß wir . alte Freunde sind. Gaston, warum willst du es denn nid1t zugeben? Oder stimmt etwas nicht mÜ dir? Du hast früher ganz anders ausgesehen, das ist mir ja sofort aufgefallen. Oh, Gaston , bist du etwa unter die Geheimagenten gegangen, unter die Spione? Ver stellst 63

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